Aus dem kalten Schatten. Christine Bendik

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Aus dem kalten Schatten - Christine Bendik

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Moonshine-Walks hier im Hause würdig vertreten hatte. Aber jetzt war nicht der Moment und sie ließ den Umschlag in ihre Handtasche wandern, um den Brief später in Ruhe zu lesen.

      Im Flur herrschte ein Kommen und Gehen. Es waren »Schnuppertage«. Junge Designer nutzten die Gelegenheit, einander persönlich kennenzulernen, und Jade hatte auch schon den einen oder anderen Blogger oder Influencer in Avas heiligen Hallen entdeckt. Versteckt in der Raucherecke zog ein blutjunges Ding eine Line.

      Aus der Ankleide trat Jade die altbekannte Geruchsmischung aus Schweiß und Eau de Toilette entgegen. Sie warf ein lockeres Hallo in die Runde. Die feiste Garderobiere Margie Fox, das Tattoo-Model Serah Conally sowie vier Jade unbekannte Mädchen sahen sie an.

      »Ist Suzan nicht da?«, wollte sie wissen. Ihr Blick fiel auf die neuen Wandposter von der New Yorker Great Bridal, der Hochzeitsmesse, und einem weiteren von der brünetten Suzan, die Jade, nur in einer etwas jüngeren Variante, verblüffend ähnelte. Sie trug Cocktailkleid und hatte verruchte Smokey Eyes. Fast meinte Jade, den feinen Duft von Chopard Oh la la zu riechen, Suzans Lieblingsparfüm. Sie lächelte von diesem Poster herunter, als wäre sie lebendig und als riefe sie Jade zu: »Nice, dich zu sehen. Wie lange bleibst du und machen wir was Schönes zusammen? Baden? Coney Island?«

      Margies Stimme, zusammen mit dem Klingelton von Jades Handy, ließen Jade zusammenzucken.

      »Suzan Wickles?« Margie zuckte mit den Schultern. »Hat sich heute noch nicht hier blicken lassen.« Die Brille war ihr auf einer feinen Schweißbahn hinab auf die Nasenspitze gerutscht. Ein Maßband hing um ihren Hals und ein paar bunte Stecknadelköpfe ragten wie winzige Luftballons aus ihrem Mund, sodass Jade ihr Nuscheln kaum verstand. Sie starrte sie einen Moment lang an, wartete, bis das Handy verstummte. Bestimmt war es wieder der Fremde. Er hatte es heute schon zweimal probiert.

      »Seltsam«, murmelte sie, mit trockenem Mund und ignorierte Margies fragenden Ausdruck, das Klingeln des Handys betreffend. »Suzan sagte mir noch … ich meine, hat sie nicht gleich noch einen Termin?« Ein Gefühl, dumpf und dunkel, breitete sich in ihr aus, wie eine düstere Ahnung oder – ein tiefes inneres Wissen?

      »So ist das mit den jungen Leuten«. Margie bastelte an der kleinen Schleppe von Serahs champagnerfarbenem Kostüm. »Zuverlässigkeit? Spießig. Pünktlichkeit? – Pah!«

      Jade, erleichtert über das Verstummen des Handys, trat in eine der Umkleidekabinen. »Die Rede ist hier von Suzan«, schickte sie empört nach draußen in Richtung Margie. Keine war so korrekt wie sie. »Hoffentlich ist sie nicht krank?« Sie merkte selbst, wie ihre Stimme kippte. Sie verließ die Kabine und reichte Margie den babyblauen Jumpsuit zum Lüften. Neben ihr ratschte ein Reißverschluss und Serah, auf einem Hocker sitzend, mit der Fleischmütze als Unterlage für eine Perücke und in ihrem engen Kleid, jammerte.

      »Ich werde ersticken in dem Teil.«

      »Es ist eine 36, eine Nummer mehr, als du sonst trägst. Soll ich vielleicht Stoff ankleben? Da passen noch ein, zwei Kilo locker rein. Ist doch nichts dran an dir. Wo ist dein Busen, dein Arsch?« Margies rabiate Seite. Aber Serah steckte so etwas weg wie »ein Tütchen Luft« – ihr eigens kreierter Spruch. Probleme existierten nicht und wenn doch, einfach aussitzen, bis sie von selbst verpufften.

      »Sag Suzan, ich warte in der Kantine auf sie«. Bevor Jade sich umwandte, warf sie Margie noch einen Luftkuss zu. Serahs Blick mied sie wie der Teufel das Weihwasser. Sie hatte nur beiläufig die neuen Tattoos registriert, die schon bis zur Halskuhle reichten. Kam jetzt das Gesicht an die Reihe, ging das Kunstwerk seiner Vollendung zu? Jade fand ja, dass noch ein Nasenring fehlte. An dem Ava oder Margie sie über den Catwalk führen konnten. Seit sie das Tattoo-Studio leitete, schien sie völlig durchzudrehen, was die Körperbemalung betraf. Serah, ihre um knapp ein Jahr jüngere Schwester.

      Jade öffnete die Tür. Die Gören im Hintergrund begannen zu quengeln. Wieso denn die eine unbedingt das rote Kleid tragen müsse, und die andere hätte das schöne blaue? Es passe so gar nicht zu ihrem Haar. Und nein. Eher würde sie in den Hudson gehen, als sich gleich im Salon ihre tolle Mähne in eine verfickte Kurzhaarfrisur umstylen zu lassen. Sie mache sich doch nicht zum Affen! Und so weiter und so fort. Jade war froh, als sie endlich draußen stand.

      Ava kam ihr entgegengeeilt, in anthrazitfarbenem Overall aus weicher Mikrofaser, pinkfarbenem Seidenschal und mit falschen Wimpern, Marke extradicht.

      »Sie ist weg«, rief sie händeringend aus. »Verschollen.« Sie seien vor einer halben Stunde schon verabredet gewesen. Sie habe überall nach Suzan gesucht, sie sei im ganzen Haus nicht auffindbar.

      Erneut wählte Jade Suzans Nummer, verschickte eine SMS – nichts.

      »Ihr seid doch befreundet.« Avas Stimme kippte. »Hat sie irgendwas gesagt, eine kleine Verspätung …«

      »Tut mir leid.« Jade und Ava starrten einander für eine lange Sekunde an. Sie wussten beide, dass Verspätungen fürs Geschäft tödlich waren. Wie sie auch wussten, dass Suzan nicht der Typ war, der leichtfertig einen wichtigen Termin verpasste.

      Und als wäre das nicht genug der Sorge, surrte erneut Jades Handy. Automatisch stieg ihr Puls, als sie das Ding aus der Tasche zog, um es auszuschalten. Sie brauchte gar nicht erst auf das Display zu schauen, sie wusste, wer da anrief: ein schräger Typ namens »Unbekannt«. Der sie auf Schritt und Tritt zu verfolgen und zu beobachten schien.

      Ein ganz schreckliches Gefühl stieg in ihr auf: Ungewissheit, gepaart mit Angst. Avas besorgter Gesichtsausdruck, die vermisste Suzan, der Anrufer. Das alles machte etwas mit Jade. »Da ist was Schlimmes passiert«, murmelte sie. Und da hörten sie auch schon die Sirenen.

      New York/Little Italy

      Montag

      Paul Stroud

      »Schneidet ihm endlich den Schniedel ab!«, rief ihnen noch eine genervte Männerstimme aus einer anderen Wohnungstür hinterher. Dann folgten Bureau Chief Paul Stroud und sein Kollege Craig Murdock dem Mann in dem erdbeerroten Lederslip in sein Wohnzimmer, wo schon sein weibliches Gegenstück in einem schwarzen Body wartete. Handschellen baumelten an seinem Handgelenk und eine Kippe hing halb aufgeraucht in seinem Mundwinkel.

      Paul nahm seine Hand vom Holster, in dem die »Smith & Wesson« auf ihren Einsatz wartete. Das hier sah ihm eher nach einem der üblichen, fruchtlosen Einsätze aus, die er von früher kannte. Die Wohnung gab keinerlei Hinweise auf einen »Ehekrach« her, das Wohnzimmer war ordentlich aufgeräumt, in den Schränken und auf den Regalen Nippes und Plastikblumen in Glasvasen. Ein paar Folterwerkzeuge lagen, ordentlich sortiert wie ein OP-Besteck, auf dem Wohnzimmertisch.

      »Mister Sower«, sagte er. »Uns liegt Meldung vor über häusliche Gewalt.«

      »Unsinn. Wir tun es nie ohne Codewort, ehrlich. Meine Sugar braucht nur ´Aus, Sugar` sagen, und Schicht ist im Schacht.«

      Das weibliche der beiden Zuckerstücke, in seinen frühen Vierzigern, nickte heftig, ohne den Blick von Sower zu lassen, und Paul hatte Schwierigkeiten, der glimmenden Kippe auszuweichen, als Sower sich ihm in einer vertraulichen Weise näherte. Scharfer Schweißgeruch stieg Paul in die Nase.

      »Ich könnte meinen Arsch verwetten«, geiferte Sower, »dass ich die Petze kenne.« Mit dem gereckten Kinn zeigte er Richtung Hausflur. »Der Alten sollte man’s mal so richtig besorg…«

      Ehe er blumig ausschmücken konnte, holte Craig tief Luft und wandte sich an die Frau.

      »Mrs Sower?«

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