Aus dem kalten Schatten. Christine Bendik

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Aus dem kalten Schatten - Christine Bendik

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suchte Pauls Blick. »Ich teile deine Theorie. Sie muss noch gelebt haben, als der Kerl zustach.«

      Erst als Ava aufstöhnte, wurde Paul klar, was sie angerichtet hatten. Ava war definitiv keine Kandidatin für die deutlichen Dienstgespräche. Ruhig, sachlich und diskret bleiben, egal was kommt. So wenig wie möglich preisgeben und nach außen dringen lassen. Die Basics lernte man früh im Beruf. Darin enthalten war bei Befolgung ein gewisser Eigenschutz vor den unberechenbaren Emotionen der Leute.

      »Craig, würdest du bitte?«

      »Klar, Chief. Kommen Sie, Mrs Davi, wir gehen schon mal rein.«

      »He Boss?«, rief einer der jüngeren Ermittler von der anderen Baumseite her. »Ich hab da was für Sie.« Automatisch drehte Paul sich zu ihm um, nur um festzustellen: Er war gar nicht gemeint. Er spielte nicht mehr in dieser Liga, die Zeit als Detective war lange vorbei und er zum Bürohengst mutiert, zu einem, dem man die Fälle in schriftlicher und digitaler Form unterbreitete. Es stimmte, was Craig sagte. Man lebte weniger gefährlich. Doch im Grunde seines Herzens war Paul der Macher geblieben. Auch wenn er nur zufällig in die Sache hier hineingeschlittert war: Wie konnte er stillhalten und darauf warten, dass andere den Job erledigten, Beweismittel sicherstellten, Puzzleteil für Puzzleteil aneinanderfügten und den Täter dingfest machten?

      Dass er in der Chefetage saß, lag nur an den Frauen. An Jade, die schon zu Uni-Zeiten nichts mehr von ihm hatte wissen wollen, sodass er sich neben belanglosen Frauengeschichten in die Arbeit gestürzt hatte. An seinem verstorbenen Töchterchen Florina, dem er ein besseres Leben hatte bieten wollen, als er es in seiner kargen Kindheit in Minnesota gehabt hatte. An seiner Ehefrau Mia, die der Kaufsucht erlegen gewesen war, gern schöne Kleider getragen, Gäste eingeladen und das Haus mit hübschen Dingen ausgeschmückt hatte, um die Tatsache zu verdrängen, auf welch dünnem Eis sich ein einfacher Cop wie Paul bewegte. Dass jeden Tag und jeden unbedachten Moment irgendein Irrer ein Messer zücken konnte …

      »Ich muss dann«, sagte Stanton. »Halt die Ohren steif, Paul! Mrs Davi, Officer!«

      Paul warf einen letzten Blick auf Suzan, um sich danach ebenfalls in Richtung Ausgang zu wenden und das Einsatzteam seine Arbeit machen zu lassen. Mehrere Männer waren mit der Bergung der Leiche mittels einer Bahre beschäftigt. Ein jäher Windzug ließ blau-lila Blüten auf ihr Haar regnen. Die Szene hatte etwas kindlich Verspieltes und gleichzeitig bot Suzan ein Bild des Schreckens und der maßlosen Grausamkeit.

      Im Nest unter dem Vordach suchte er beim Verlassen des Hofes nach dem Goldzeisigjungen. Er hatte kein Glück. Das niedliche Ding hatte inzwischen wohl seine Flügel entdeckt.

      Manhattan

      Jade

      9:00 Uhr

      Vom Treppenhaus her kamen Stimmen auf, laut und erregt. Jade und Ava folgten ihnen in Windeseile und fanden sich gleich darauf im Erdgeschoss wieder. Feueralarm fegte durch die Flure wie ein wild gewordener Drache.

      »Was verflucht …« Jade blieb keuchend stehen. Ava war hinausgeeilt, um mit den Feuerwehrleuten zu reden. Sich zitternd am Treppengeländer festhaltend, starrte Jade durch die Scheiben auf den Vorplatz. Zwei Einsatzwagen standen dort und irgendwo musste es brennen. Doch Jade sah nicht das geringste Flämmchen.

      Zwei Mädchen rannten an ihr vorüber. »Endlich mal was los in dem öden Kasten«, sagte die eine ganz aufgeregt zur anderen. Jade aber schloss die Augen, um ruhigeren Atem bemüht.

      Vermutlich hatte keiner von diesen Leuten hier je einen Brand hautnah miterlebt. Sie hatten ja keine Ahnung, was es mit einem machte, vor haushoch lodernden Flammen zu stehen, beißenden Rauch in den Lungen, Angst um sein nacktes kleines Leben.

      Es gelang ihr nicht, die Bilder von damals zu vertreiben. Ihre Nanny und ihr eigener Vater, den sie liebevoll Daddy-one nannte, waren in einer lauen Sommernacht bei lebendigem Leibe verbrannt, als Jade fünf Jahre alt gewesen war. Damit war sie zur Vollwaise geworden, denn Mom war bereits kurz nach Serahs Geburt für immer gegangen.

      Sie sah ihren Bruder Flynn und seinen Freund Joe aus der Nachbarschaft, Serah und sich selbst vor sich, das unzertrennliche Kleeblatt des Viertels. In den weit aufgerissenen Augen der Mädchen das lichterloh brennende Abbild der katholischen Kirche St. Ignatius Loyola. Und sie hörte noch ihre eigenen verzweifelten Rufe. »Daddy! … Dada! …« So hatte sie ihre Nanny, Dara, genannt. Wie sie ausgesehen hatte, das war eines der wenigen Dinge, an die sie sich deutlich erinnerte: braune Augen, braunes Haar und ein olivfarbener Teint, fast so dunkel wie Jades Ankleidepuppe.

      Der Alarmton stoppte. »Was ist denn passiert?«, fragte Jade ein Mädchen, das von draußen hereinkam. Ihre Knie zitterten immer noch.

      »Sie haben … irgendwas mit Suzan Wickles … ehrlich? Keine Ahnung. Jemand hat wohl den Alarmknopf gedrückt.«

      Jade spürte ihr Herz bis zum Hals schlagen. »Kein Feuer?« Das Mädchen zuckte mit den Schultern und ging weiter. Selbst von Brandgeruch war keine Spur, auch wenn seit Wochen derartige Trockenheit und Hitze herrschten, dass man auf den Kühlerhauben Spiegeleier braten konnte.

      Aber … und das drang erst jetzt zu ihr vor: Was hatte das Mädchen gesagt – mit Suzan sei etwas passiert? Jade spürte, wie ihr Hals eng und ihre Hände kalt wurden. Zwei Feuerwehrleute bewegten sich Richtung Hauseingang, und Ava kehrte mit ihnen, kreidebleich, ins Gebäude zurück. Sie sah Jade nicht in die Augen, als sie an ihr vorüberging.

      »Ähm, Jadie … für dich gibt’s hier heute nichts mehr zu tun«, murmelte sie, mit dem Blick krampfhaft am Boden. »Fahr nach Hause. Wir telefonieren.« Sie konnte Jade nichts vormachen. Ihre monotone Stimme … und Suzan … was war hier los?

      »Wohin gehst du?«, wollte sie wissen und heftete sich Ava und den Männern frech an die Fersen.

      »Verschwinde, Jade!« Wenn Ava unter Druck war, konnte sie irgendwie … gewöhnlich werden.

      »Einen Teufel werd ich! Rede mit mir! Was ist mit Suzan?«

      »Ist wirklich kein schöner Anblick«, warnte Ava sie noch, aber dann gab sie, selbst reichlich genervt, den Widerstand auf und ließ es geschehen, dass Jade ihr in den Innenhof folgte.

      9:10 Uhr

      Die plötzliche Konfrontation raubte ihr fast den Verstand. Für einen Moment schwankte sie und war einer Ohnmacht nahe. Zwei Schritte vor Suzans Leiche war sie wie angewurzelt stehen geblieben, weil sie Angst hatte, sie zu berühren oder ihrem starren Blick hautnah zu begegnen. Weil ihr das vielleicht die letzte Hoffnung nahm, dass das hier nur ein böser Traum sein könnte.

      Jade merkte, wie wieder ein Zittern durch ihren Körper ging und sie schlug die Hände vor das Gesicht. Gestern noch, am Telefon, hatte Suzans freches Mundwerk nicht stillgestanden. Doch je länger Jade da stand, desto stärker drang die Wahrheit zu ihr vor. Suzans Schweigen hatte so etwas verdammt Endgültiges. Es machte Jade betroffen, dann traurig, dann wütend. So wütend, dass sie sie am liebsten bei den Schultern gepackt und »Hör-auf-mit-dem-Quatsch-das-ist-nicht-lustig« zu ihr gesagt hätte. Aber da stand schon Ava hinter ihr.

      »Du kannst nichts mehr tun.« Worte, scharf wie Messerklingen, obwohl sie bemerkte, dass Ava selbst am ganzen Leib zitterte.

      »Lass mich. Wir sind Freundinnen«, knurrte sie Ava an, die erstaunliche Kräfte im Umklammern ihres Armes entwickelte. Köpfe flogen zu ihnen herum, Blicke musterten sie. Da standen Leute, die Jade

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