Aus dem kalten Schatten. Christine Bendik

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Aus dem kalten Schatten - Christine Bendik

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du mal her?«

      Sie betrachtete ihn: dunkle Stoffhose, helles Shirt, Bärtchen, Männerdutt. Eine blauschwarze Strähne zerschnitt seine Stirn. Die Sonnenbrille hatte er am Ausschnitt befestigt. Seine Haltung drückte Stolz und Selbstsicherheit aus. Er kannte seine Wirkung auf Frauen sehr genau, und an einem anderen Tag hätten sie sich längst geküsst.

      In ihrer Affäre ging es vor allem um Sex. Ein wenig vielleicht um die Vertrautheit aus Kindertagen, sogar bei Joe. Und es hatte bei Jade eine Zeit mit Schmetterlingen im Bauch gegeben. Die Erinnerung an noch weiter entfernte Tage zauberte ihr flüchtig ein Lächeln auf die Lippen. Sie waren einmal ein Team gewesen. Zusammen mit Joe Wiseman hatten Jades Bruder Flynn, ihre Schwester Serah und sie sogar Blutsbrüderschaft geschlossen – die vier vom Township, wie man sie damals nannte, bis das schreckliche Unglück passierte, die Duncan-Kinder auch noch ihren Vater verloren und Hals über Kopf aus Cherry Hill wegzogen, zu Pflegeeltern.

      Sofort wurde sie wieder ernst. Wie auch immer, es mochte ihn Überwindung gekostet haben, hier aufzutauchen. Joe war kein großer Redner, schon gar keine Stütze, wenn’s einem einmal dreckig ging. Er wollte das Leben locker und easy – das war immer schon so. Jade nahm darauf Rücksicht. Normalerweise. Dies hier war eine Extremsituation und Jade durchdrungen von Schrecken und Schmerz.

      Sie trat auf ihn zu. »Kannst du mich kurz in den Arm nehmen?«

      Er zog sie zu sich heran, an seine Seite, und sie schloss die Augen, doch die Bilder blieben präsent. Bilder von Suzan, dem Walk auf der Messe, und …

      »… einem Hochzeitskleid …«

      »Hochzeitskleid?« Joe stutzte.

      Ups. Da hatte sie wohl zu laut gedacht. Sie hatte das Kleid von der vergangenen Great-Bridal-Messe, das sie damals selbst getragen hatte, sofort wiedererkannt. Warum hatte Suzan es an? »Und warum nicht ihre normalen Klamotten?«, bohrte Jade weiter und starrte zu Boden.

      Joe fasste nach ihren Schenkeln, wo sich der Saum ihres bequemen Rockes wölbte, den sie gegen die Jeans eingetauscht hatte. Ein kaltes Prickeln durchfuhr sie. Alles, was sie gerade benötigt hätte, wäre eine Umarmung gewesen. Ein Zeichen des Mitgefühls. Eine liebe Kollegin, eine Freundin war tot …

      Gänsehaut überzog ihre Beine und sie drehte sich instinktiv weg. Joe entließ sie aus seinem Arm und murmelte aus dem Mundwinkel heraus.

      »Hör auf, dir deinen hübschen Kopf zu zerbrechen, das bringt doch nichts ein. Überlass das besser den Bullen.« Er nahm die Ray Ban vom Ausschnitt des Shirts und kaute auf den Bügeln herum. Jade erkannte eine gewisse Betroffenheit in seinen Augen und eine Portion Hilflosigkeit.

      »… und Margie ist das mit dem Kleid auch aufgefallen«, fügte sie trotzig an. »Sie meinte …«

      Mit zwei Fingern verschloss er ihr den Mund. »Mal was anderes: Ist noch von dem guten Hauswein im Kühlschrank?«

      Sie musste ihn angestarrt haben wie einen Einarmigen mit zwei Händen. Jedenfalls merkte sie, wie ihr Lächeln gefror. Wie konnte er einfach zur Tagesordnung übergehen? Oder war das seine unbeholfene Art, sie zu trösten?

      »Joe …«

      »Schluss jetzt«, entschied er. »Du wirst noch ganz krank davon. Also?«

      »Ja«, sagte sie schroff, »für mich bitte kein Glas«, und er stand auf, um den Wein zu holen. Sie wagte einen letzten Versuch.

      »Margie meinte«. Das war längst ein geflügeltes Wort in der Szene. Wer immer sich mit Sorgen plagte – Margie hatte eine Meinung dazu, stets zur »Hilfe« bereit. Sie war die Mutter Teresa des Lofts. Nur in neugierig und intrigant.

      Mit einem gut gefüllten Glas trat Joe auf Jade zu und hielt es ihr an den Mund.

      » … Zu mir meinte Margie«, fuhr er leise fort, »du bräuchtest dringend etwas Trost. Also?«

      Ihr war nicht klar, welche Frage noch offen war. Also Sex oder Also-was-meinte-Margie? Sie wendete ihren Kopf zur Seite, um dem Glas und dann Joes gespitztem Mund zu entrinnen. Sein Kuss landete, warm und feucht, auf ihrem Hals. Ein Mensch war gestorben, nein, mehr noch, viel mehr. Eine der besten Freundinnen, die ihr das Leben geschenkt hatte. Eine mit Tiefgang. Nichts vermochte ihr ihren Verlust so sehr zu verdeutlichen wie Joes oberflächliches Grinsen.

      »Also runter in die Bar«, erwiderte sie schnell. Rotwein war womöglich gerade nicht hilfreich. »Ein doppelter Bourbon wär jetzt gut.« Sie würde fortführen, was sie bei Ava begonnen hatte, und falls sie dann, mit genug Alkohol intus, noch dazu fähig sein würde, würde sie ihren Koffer packen, um keine Minute zu verschwenden. Um sofort nach den Shootings, am Ende der Woche, nach Hause, nach Cherry Hill, zu Flynn zu fliehen. Dorthin, wo sie aufgewachsen war und wo eine vertraute Gegend ihr ein Gefühl von Heimat vermittelte. Nur weg von hier, aus dieser Stadt. Von diesem Ort des Schreckens.

      Der Gedanke an ihren Halbbruder trieb ihr ein sanftes Lächeln auf die Lippen, während sie Joe den Flur entlang zum Aufzug folgte. Mom hatte Flynn mit in die Ehe gebracht und Daddy-one, wie Jade ihren Vater noch heute liebevoll nannte, hatte nie wirklich Zugang zu ihm gefunden.

      Die großzügige Villa hatten die Töchter geerbt, doch es war Flynn, der ihr heute Leben einhauchte. Sie freute sich schon auf Flynns kleine Chirurgen-Anekdoten aus dem Schönheitsbusiness und die größeren aus seinem turbulenten Junggesellenleben. Nein, halt: aus seinem Leben mit der neuen Flamme. Und auf sein Sorgen vertreibendes Lachen, ansteckend wie ein Grippevirus.

      Manhattan

      Montag

      Paul

      Er sollte in seinem Bürostuhl sitzen. Den Fall Suzan Wickles vom Schreibtisch aus verfolgen. Stattdessen schloss er sich in diesem Moment Craig und Ava Davi an und folgte ihnen hoch in den Umkleideraum. Etwas trieb ihn, was vermutlich sämtlicher Ratio entbehrte. Es war die Sorge um Jade, deren Leben, wie er wusste, irgendwie mit Suzans verstrickt gewesen war.

      Seine »Beauty«, so hatte er sie genannt. Lange her. Schön war sie zweifellos, mehr denn je, das Haar etwas dunkler, in Richtung Kastanienbraun. In gleichem Maße schien sie ihm selbstverliebt. Da waren neue Züge in ihrem Gesicht, die er nur mit ganz viel gutem Willen lieben könnte: Eitelkeit und eine gewisse Arroganz.

      Die meisten Abteilungen waren offen gehalten. Wie in einem Wespennest schwirrten die Menschen von einer Wabe zur anderen. Paul hatte Interessantes in Erfahrung gebracht. An die fünfzig feste Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bildeten das Basisteam dieser ganz besonderen Ateliers, in denen vom Entwurf über den Zuschnitt bis zur fertigen Kollektion alles unter einem Dach stattfand.

      »Ich arbeite mit zwei Designern zusammen«, hatte Ava berichtet. »Wir liefern die Entwürfe und kaufen die Stoffe ein.« Sie beschäftigte Fotografen und Modejournalisten und betrieb daneben die Agentur, die Models auch an die Konkurrenz vermittelte. Auf den ersten Blick ließ sie sich in die Kategorien »professionell« und »mitarbeiter- und kundenfreundlich« einsortieren. Auf den ersten Blick sah er bei ihr kein Motiv für Mord. Zwei Leute standen in seinem Fokus: Joe Wiseman und Margie Fox, jene zwei Menschen, die Suzan vermutlich zuletzt gesehen hatten.

      In der Umkleide reihten sich linker Hand acht Kabinen mit puderfarbenen Georgettevorhängen aneinander. An der gegenüberliegenden Wand befand sich ein Tisch, bestückt mit einer Lampe und mit Schneiderutensilien, einem Kleid mit Schleppe, lässig darübergeworfen, daneben ein Kreide-Saummarkierer. Unter dem Tisch ein Abfallkorb,

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