Aus dem kalten Schatten. Christine Bendik

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Aus dem kalten Schatten - Christine Bendik

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Jacarandabaum, geschätzte zehn Meter hoch, dominierte den Innenhof. Irgendwann vor vielen Jahren mochte er als zartes Pflänzchen in ein kleines Erdloch versenkt worden sein und heute durchbohrten seine Wurzeln den Asphalt. Eine Menschentraube stand sprachlos davor.

      Pauls Hals wurde eng. Er erkannte die Umrisse einer Frauengestalt, die wie eine skurrile Frucht mit dem leicht nach hinten geneigten Baumstamm verwachsen schien. Er hatte nicht gewagt, nach dem Namen zu fragen. Was, wenn er das tote Mädchen kannte? Wenn es Jade war? Von der Figur her passte es. Dazu eine ähnliche Haarfarbe …

      Vor ihm ging Craig und stieß ein ungläubiges »Jesus« aus.

      »Bitte, Leute«, hörte er Ava sagen, als er sich, an Craig vorbei, einen Weg durch die Menge bahnte. »Seid doch vernünftig. Geht zurück an die Arbeit.« Sie unterstrich ihre Ansage an die Zuschneider und Näherinnen, die Stylisten und Visagisten, mit einem hektischen Wedeln ihrer Hand.

      »Tun Sie, was Misses Davi sagt«, sprang Craig der Chefin zur Seite. »Hier gibt es nichts zu sehen.«

      Paul befürchtete doch. Einige der Mitarbeiter zogen ab und eine kleine Schneise entstand zwischen den Schaulustigen, die Paul den Weg zu dem Opfer frei machte.

      Nur nebenbei registrierte er den würzigen Blütenduft, der die fast tropische Frühsommerluft schwängerte. Langsam wanderte sein Blick über die am Boden verstreuten Klamotten, aufwärts zu den nackten Beinen des Mädchens, weiter über den Kleidersaum nach oben. Er starrte in ihr Gesicht. Sein Anblick verschlug ihm den Atem, doch ohne, dass er es verhindern konnte, produzierte seine Kehle einen quiekenden Ton. Das hier war nicht Jade, und er schämte sich nicht dafür, dass er Erleichterung empfand.

      »Ist es nicht schrecklich?« Ava schluchzte auf und presste die Hand vor den Mund. »Wer tut denn so was?«

      »Hübsches Ding«, entfuhr es Craig und aller Augen schauten auf ihn. Ava ließ einen erstickten Laut hören. Paul blickte Craig tadelnd an.

      »Eins meiner fähigsten Mädchen. Suzan Wickles«, fuhr Ava fort. »Hatte eine große Karriere vor sich. Sie war erst siebzehn. Nein, achtzehn. Gerade ein paar Tage. Wir wollten groß feiern, alles bis ins Detail geplant … Wird wohl eine Trauerfeier.«

      Ein Seil um den Brustbereich verband die Tote mit dem Baumstamm. Zusätzlich waren die Handgelenke mit Tüchern an einem der tief herunterhängenden Äste befestigt. Eine von Strass-Steinen in der Sonne glitzernde Augenmaske, die unpassend zu dem Hochzeitsoutfit wirkte, hing an einem dünnen Gummi um ihren Hals, und um den Mund herum gab es Heftpflasterspuren, was auf eine vonstattengegangene Knebelung hinwies, die später wieder rückgängig gemacht worden war. Wahrscheinlich aus dem Grund, weil das Mädchen gewürgt und sich erbrochen hatte. Spuren von Mageninhalt auf ihrem weißen Kleid zeugten davon.

      Der Kopf war auf ihre Brust gesunken und eine Haarsträhne hing ihr wirr wie ein Spinnennetz in die Stirn. Etwas Schwarzes klebte an ihrer Hüfte. Sah bei näherem Betrachten aus wie der Saugrüssel eines Falters.

      »Gott, was für ein Baby!«, ging es Paul durch den Kopf. Ihr Schmollmund schien eben noch sagen zu wollen: »Ich will nach Hause, zu meiner Mom«. Was hatte Ava Davi erzählt? Gerade mal achtzehn? Kein gutes Alter, um mutterseelenallein um die Welt zu reisen. Um ständig auf Diät zu sein.

      Um zu sterben.

      Leichenflecke waren sichtbar, vor allem an den Beinen.

      »Drei Messerstiche in der Herzgegend«, stellte Craig fest. »zentimetertief. Akkurat gesetzter Abstand. Messer – oder Dolch? Könnten symbolischen Charakter haben.«

      Paul nickte. Um die Wunde herum sprossen rote Flecke auf dem Kleid wie ein Tintenbild. Auch aus Suzans Mund rann ein Faden bereits geronnenen Blutes, woraus Paul schloss, dass sie schon einige Stunden als Leiche hier draußen verbracht hatte.

      Die Hitze des Tages staute sich innerhalb der Mauern und Paul tupfte sich mit einem Zipfel seines Taschentuchs den Schweiß von der Stirn. In seiner Hosentasche fand er zwei Paar Vinylhandschuhe, die er vorhin dem Handschuhfach des Streifenwagens entnommen hatte. Routiniert zog er sie über, unterdessen Craig erneut an die Vernunft einiger Hartnäckiger appellierte, doch bitte die Polizei ihre Arbeit machen zu lassen und freundlichst das Feld zu räumen.

      »Wissen Sie, wir sind sonst wenig bis gar nicht hier draußen«. Ava flüsterte fast. »Die Hoftür ist abgeschlossen. Die meisten Fotografen, mit denen ich zusammenarbeite, bevorzugen unser hauseigenes Fotostudio. Dabei sind die Lichtverhältnisse ideal. Und jetzt, wo der Baum so schön blüht … ein toller Hintergrund für ein besonderes Shooting.«

      Sie zog ebenfalls ein Taschentuch hervor und schnäuzte sich kräftig. Pauls Hände begannen in den sterilen Handschuhen zu schwitzen, während er vorsichtig die Leiter nach Spuren abtastete. Er meinte, vorhin einen ganz bestimmten Namen eines Fotografen aus Avas Mund gehört zu haben. Klar und deutlich stand Joe Wisemans Visage vor ihm: der Typ, der einfach die älteren Rechte gehabt und damals Jade frisch von der Uni weg entführt hatte. War der Wahl-New-Yorker hier vor Ort?

      »Das geplante Shooting im Hof war also die berühmte Ausnahme?«, spann Paul den Faden weiter und fixierte Ava dabei. Ob dieser Ort unter freiem Himmel eine besondere Rolle bei der Tat gespielt hatte?

      »Kommt nicht alle Tage vor«, antwortete Ava, »dass meine drei Besten … im Gesamtpaket …«

      »Die da wären?«

      »Suzan Wickles, Jade Duncan und Serah Conally. Letztere im Übrigen Jade Duncans Schwester.«

      Paul nickte abwesend. Serah Duncan, wie sie damals noch hieß, hatte Jade ein paarmal von der Uni abgeholt, er erinnerte sich dunkel an sie: sehr dünn, sehr schüchtern und sehr korrekt in ihrer Art, in Richtung »verkniffen«. Ob das heute noch so war? Manchmal drehten sich Leute im Laufe ihres Lebens um hundertachtzig Grad – nicht nur rein äußerlich. Der schüchterne Lockenkopf, der viel zu lange an Moms Rockzipfel hing, wurde zum glatzköpfigen Draufgänger und die Rebellin, die auf jeder Demo gegen alles und jeden zu finden war, heiratete ganz spießig und kaufte ein Häuschen im Grünen. Serah, das war ihm noch präsent, hatte eine Ausbildung als Krankenschwester am Mount Sinai Hospital, unweit der Uni, absolviert. Dass sie Model geworden war, war ihm neu.

      »Serah Conally«, wiederholte er. »Verheiratet?«

      »Witwe. Ihr Mann, Marc Conally ist leider sehr jung und ganz tragisch verstorben. Lebensmittelvergiftung.«

      Paul wechselte einen Blick mit Craig. Ava fuhr fort.

      »Serah führt sein Tattoostudio weiter. Ziemlich erfolgreich, wie man so hört. Hier in New York.« Das erstaunte ihn dann doch. »Das heißt, das Modeln ist nicht ihr Hauptgeschäft.«

      Paul reizte es, die Leiter hochzusteigen zu dem toten Mädchen und den Tatort aus anderer Perspektive zu betrachten. Er unterließ es, um nicht unnötig Spuren zu verwischen. Inzwischen badeten seine Hände im eigenen Saft und er fragte sich, wann endlich die nächste Ladung schweißabweisenden Labormaterials in der Zentrale eintraf.

      Ava nickte. »Hin und wieder werden Tattoo-Models gebucht. Momentan brauche ich sie aber für einen speziellen Kunden, der früher mal Hochzeitsmessen betreute. Er war bei dem Walk damals ganz vernarrt in mein Trio. Sie hätten so was Geheimnisvolles und Mystisches.«

      »Sie meinen Suzan, Serah und Jade?«

      »Damals war es ein ganz besonderes Trio. Suzan lag mit Grippe flach. Flynn Duncan sprang kurzfristig ein. Das ist der Bruder der Duncan-Frauen. Als Bräutigam passte er gut ins

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