Aus dem kalten Schatten. Christine Bendik

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Aus dem kalten Schatten - Christine Bendik

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Höflichkeit, Professionalität, Respekt.

      »Bessere Hälfte? So gut wie«, gab Sower an ihrer Stelle Antwort. »Es ist Marybeth. Kommt regelmäßig zum Abendessen vorbei.«

      So nannte er das also. Erst jetzt betrachtete Paul sie näher. Die Frau mit dem olivfarbenen Teint sah verhärmt aus. Die lang gezüchteten Haare wuchsen nur spärlich und es fehlte an Glanz, und wo sonst der Eckzahn links oben saß, klaffte ein schwarzes Loch.

      Bilder von New Yorks nächtlichen Straßen kamen Paul. Von Menschen, die sich um Tonnen scharten und die Hände über ein wärmendes Feuer hielten. Und er dachte an diese Stadtstreicherin – wie hieß sie noch gleich? Manchmal hatten sie ein paar freundliche Worte gewechselt. Sie hatte ihn angerührt, mit ihren traurigen braunen Augen. Und hatte sie nicht ein Kind? Mit den Jahren hatte er hilflos mit ansehen müssen, wie sie dem Alkohol verfiel. Wie Marybeth verdiente sie sich ein Zubrot durch Hausbesuche. Ob sie noch lebte? … Falls die Leber mitgespielt hatte …

      Er merkte, dass er Marybeth anstarrte, und blickte schnell weg, und während Craig eine Notiz in sein Smartphone tippte, die den Sachverhalt seines Einsatzes hier in Stichpunkten festhielt, trat Paul bereits wieder zur Tür. »Kleiner Tipp meinerseits«, sagte er noch. »Künftig auf die Lautstärke achten. Dann klappt’s auch mit den Nachbarn.«

      »Leute gibt’s«, murmelte Craig, als sie im Wagen saßen. Paul zuckte mit den Schultern.

      »Ich fand die beiden ganz niedlich, im Vergleich zu den Messerstechern und Vergewaltigern.« Delikte, deren Anzahl sich pro Jahr in New York im vierstelligen Bereich bewegte.

      »Ehrlich?«, moserte Craig indessen. »Das Zuckerstückchen würde ich nicht mal mit der Beißzange anfassen. Die war doch mindestens vierzig.«

      »Merkst du was, Craig? Wenn mich nicht alles täuscht, habe ich eine Fünfzig gesehen, auf deiner letzten Geburtstagstorte.«

      »Bei mir ist das doch …«

      »… etwas anderes?«

      »Nun fahr schon los«, brummte Craig. »Und mach die Lichter an. Rose wartet.« Und die war süße zwanzig.

      Einen Teufel würde Paul tun! Ob Craig die Polizeisirene öfter für seine Zwecke missbrauchte?

      »Rose wartet? Spinnst du?«

      »Schu-he«, stotterte Craig. »Absatz ab.« Und dann murmelte er irgendetwas von »seine Schuld« und dass er vergessen hätte, das edle Paar Pumps heute Morgen in den Kofferraum zu legen.

      »Tussiletten, hm? Knöchelkiller? Craig Murdock! Deine Rose spielt doch schon wieder in einer anderen Liga. Wie wär’s mal mit was Solidem?« Kurz sah er Jade Duncans Gesicht vor sich. Das mit ihnen beiden hatte genauso wenig gepasst. Er schluckte hart. »Noch mal zum Mitschreiben: Du bringst Roses Schuhe zum Schuster? Mit dem Dienstwagen? Mensch Craig, das kann dich deine Marke kosten.«

      »Du wirst mich doch nicht verpfeifen? Hey. Warst doch selbst mal ein Cop.«

      »Hieß die Kleine nicht gestern noch Mary? Und neulich erst Adeline? Was erzählst du den Frauen? Du wärst der Urenkel von Columbo? Inkognito in der Stadt, und ’ne Villa in Hollywood?«

      Ein scharfer Schmerz durchzog Pauls Wange, schlimmer noch als gestern Abend. Sein Weisheitszahn pochte. »Warum tue ich mir das an? Ich könnte längst im Büro sitzen!«

      »Weil dein Kühler futsch ist? Weil du deinen alten Kumpel vermisst? Und den Highway?«

      Da war etwas Wahres dran. Er sehnte sich nach diesem persönlichen Eingreifenkönnen. Für Gerechtigkeit zu sorgen. Unmittelbar und direkt. Doch das sagte er Craig nicht.

      »… Nur kurz ins Büro bringen! War das zu viel verlangt? Stattdessen: zu unchristlicher Zeit aus den Federn und eine neunschwänzige Katze am Morgen«, brummelte er. »Außerdem würde ich aktuell deiner erlauchten Gesellschaft sogar eine Wurzelbehandlung vorziehen«. Er wunderte sich über sich selbst. Anscheinend war er auf Krawall gebürstet. Er schrieb es seinen Schmerzen zu.

      Craig sah ihn an. »Klingt verdammt ungesund. Lass uns mal die Plätze wechseln.«

      »Was hast du vor?«

      »Per Dienstwagen zum Zahnklempner, was sonst«, knurrte Craig, als wäre es derselbe Vorgang wie Roses Schuhreparatur.

      Pauls Wange war heiß und pochte, als sie in die 7th Ave einbogen, an deren Ende die Praxis lag. Vor einer Ampel hielt eine junge Frau im rosa Cadillac. Ihr Lächeln erinnerte ihn an Jades. Ihm war zugetragen worden, dass sie gerade in New York weilte.

      Das Blinken des Funkgeräts riss Paul aus seinen Gedanken. Was der Kollege der Einsatzzentrale zu melden hatte, machte etwas mit ihm. Ein Schalter legte sich um und er drückte die Aus-Taste. Dann warf er eine Tramadol ein, schon die zweite heute.

      »Einsatzort ist Manhattan«, hatte die Funkstimme gesagt und die komplette Adresse genannt, was Paul unwillkürlich elektrisierte.

      »Mach dich auf einen knurrenden Magen gefasst, Craig Murdock.« Er schielte zu Craig hinüber. Frühstück fiel definitiv flach, und nicht nur wegen des kranken Zahns. »Und auf Roses schlechte Laune. Könnte dauern heute.«

      In dem Fall sprachen sie von Mord.

       Paul

      Manhattan

      9:30 Uhr

      »Hier lang, Officers«, sagte die Frau, dürr wie ein Ast, in einem Kleid im Stil der Sechzigerjahre, die sich als Ava Davi, die Eigentümerin des Lofts, vorgestellt hatte. Sie war brünett gefärbt mit grauen Haaransätzen, blass und schmallippig. Paul hatte von ihr gelesen und er wusste, dass Jade ein gern gesehener Gast in ihren berühmten Ateliers war.

      »Den Rest des Hauses hat der Verkäufer mir großzügig zur Verfügung gestellt«, so hörte er, »solange sich kein Mieter findet. Aber das meiste spielt sich hier auf der dritten Etage ab.« Hinter seinem Rücken räusperte sich Craig und sagte, geräuschvoll sein Funkgerät verstauend, »die CSI ist unterwegs, Chief.«

      »Gute Arbeit, danke, Craig.«

      Aus den Augenwinkeln glaubte Paul, eine Gestalt über den Flur huschen zu sehen, schmal, geschmeidig, zielstrebig. Jade? Die Hoffnung starb zuletzt, und er wünschte, dass es so wäre. Dass Jade im Haus wäre. Dass sie lebte.

      Er trat in den Hof, wo ihn bleierne Stille empfing. Nur ein frühes Goldzeisigpärchen, das unter dem Vordach der Treppe brütete, protestierte schnatternd bei seinem Erscheinen. Ein Junges saß am Nestrand und flatterte, das Schnäbelchen offen, mit den Flügeln.

      »Ein Leben kommt und eines geht«, schoss es Paul durch den Kopf. Unter dem Vordach hervor erfasste er mit einem Blick eine Steinmauer, ein an die Ateliers grenzendes Nebengebäude mit Lagerhalle und unter seiner Dachschräge einige Requisiten, die hier draußen eine Art letzte Ruhestätte gefunden hatten: die Statue eines griechischen Gottes, ein Karussell mit bunt lackierten Pferdchen, ein Pfauenthron aus filigranem Flechtwerk, ein Kleiderständer mit ausgemusterten Schnittteilen, über den eine Plane gezogen war. Eine Hollywoodschaukel.

      Sein Blick wanderte weiter, während er die Stufen hinabschritt.

      »Es ist gleich hier vorne«, sagte Ava. »Der Hausmeister hat sie entdeckt. Ich hatte Mr Faulkner gebeten,

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