Aus dem kalten Schatten. Christine Bendik

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Aus dem kalten Schatten - Christine Bendik

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Außerdem wurde Jade den Verdacht nicht los, dass sich hier doch einige von diesen verlausten Obdachlosen herumtrieben, mit denen Suzan ehrenamtlich zu tun gehabt hatte.

      »Nun sperr dich nicht so«, beharrte Ava. »Sag ihr Lebewohl. Und dann lass uns hineingehen, Jadie. Die Polizei ist unterwegs, sie wird sich um alles Weitere kümmern.« Dann bot sie Jade ihren Arm an. Innerlich unbeteiligt, begegnete Jade noch vor dem Ausgang dem verstörten Blick eines Mädchens in dreckigen Jeans. Wo hatte sie sie schon gesehen? Egal. Alles war egal.

      »Ich hätte es verhindern müssen«, murmelte sie, während sie den langen Flur entlanggingen. »Ich hätte sie beschützen müssen.« Jetzt war es zu spät.

      »Unsinn, niemand ist schuld!«, schimpfte Ava, der sie folgte, mit tattrigen Schritten und dumpfem Schädel, ihre Hand in ihrer Armbeuge, wie ein Tanzbär an der Leine. Ob ihr unterwegs jemand Bekanntes begegnet war? Sie hätte nicht einmal einen weißen Elefanten bemerkt. Irgendwann, es war in Avas Büro und nach dem zweiten Bourbon, gingen bei ihr alle Schleusen auf. Sie schluchzte, bis ihr der Rotz aus der Nase lief. Suzan nicht wiedersehen. Nie mehr nervtötendes Gequengel. Kein Kuss, keine Umarmung, kein freudiges »Nice«.

      »Warum«? Die Frage stellte nicht nur sie sich. Sie stand über den Köpfen aller, denen sie heute begegnet waren. Ava schenkte von dem guten Whiskey aus der sonst verschlossenen Bar nach. »Trink«, forderte sie Jade auf. »So ist es gut. Und jetzt rufen wir Joe an, Honey. Er wartet in der Kantine auf dich. Kaffee und Kuchen gehen heute aufs Haus.« Damit ließ sie Jade allein.

      Als ob sie auch nur einen Bissen hinunterbrächte! Aber die Energie für den Widerspruch fehlte. »Joe wartet«, klang es in ihr nach, als sie Avas Schritte über den Flur hallen hörte. Natürlich wussten alle Bescheid über sie beide. In Wahrheit wussten sie nichts. Ava glaubte doch allen Ernstes, Joe würde Jades Tröster spielen! Kannte sie Joe?

      Sie schüttelte den Kopf. Tat sie nicht.

      9:25 Uhr

      Etwas in ihr zwang sie, sich mit dem Stuhl, in den Ava sie gedrückt hatte, Richtung Fenster zu drehen. Durch die bodentiefen Fensterscheiben sah sie einen Polizeiwagen auf dem knapp bemessenen Parkplatz halten. Zwei Männer stiegen aus und Ava ging auf die beiden zu. Den einen, von gedrungener Gestalt und mit klaren, klugen Augen, beachtete sie kaum. Den anderen mit dem dunklen Schopf starrte sie wie elektrisiert an. Er hatte die Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen und es war ein paar Jahre her, dass der Zufall sie noch einmal in sein Revier geweht und sie sich wiedergesehen hatten. Doch sie hätte ihn unter Hunderten wiedererkannt.

      Aber nein, sie würde da jetzt nicht hingehen und ein paar Worte mit ihm wechseln. »Mach erst mal reinen Tisch«, hatte sie ihm damals empfohlen, als er sie um ein Date gebeten hatte. Er könne wiederkommen, wenn er frei sei. Ob sie dann noch auf ihn warten würde, würden sie sehen.

      Scharf zog sie die Luft ein. Beinahe wäre er ihr wieder gefährlich geworden, doch sie war sich zu schade, um als Geliebte im Schatten zu stehen. Und falls er es ernst mit ihr meinte? Sie in seinem Leben willkommen hieß, anstatt im Wartezimmer der Gefühle? Das wäre fast noch tragischer gewesen. Eine feste Beziehung gab ihr Beruf einfach nicht her. Und Liebe, pah! Ihre Pflege-Eltern, Geza und Ray Guthrie, die sich nie mit vollem Herzen zur Adoption durchringen konnten, hatten als Vorbilder ganze Arbeit an ihr und ihren Geschwistern geleistet, wahlweise mit ihren bösen Zungen oder mit tagelangem, biestigem Schweigen. In ihrer Ehe hatten sie ihr täglich vor Augen geführt, was das Zusammenleben mit einem anderen Menschen bedeutete: Respektlosigkeit und seelischen Schmerz.

      Ohne Concealer und Make-up und völlig verheult fühlte sie sich plötzlich nackt und bloßgestellt. Es war sicher eine gute Idee, augenblicklich die Beine in die Hand zu nehmen und von hier zu verschwinden, bevor sein Blick doch noch in ihre Richtung ging. Sie konnte und wollte jetzt mit niemandem reden und schon gar nicht mit ihm.

      10:00 Uhr

      Brooklyn, Williamsburg

      Joe hatte sie nicht vorgefunden, das Gebäude in aller Eile verlassen und war mit dem Taxi ins Hotel gefahren. Weinend auf ihrem Bett kauernd, über dem ein Gedankenkarussell zu kreisen schien – aus lauter Wortfetzen bestehend: Walk, Hochzeitskleid, Blut, Mord und Suzan, liebe, gute Suzan … – fühlte sie sich einer Panikattacke nahe. Ihr Atem ging viel zu schnell und sie spürte Schweiß auf ihre Stirn treten. Wimmernd sah sie sich um. Ein Wall aus Taschentüchern flankierte sie und es war kein Ende des Weinkrampfes abzusehen. Sie war mit vielen Hoffnungen im Gepäck nach New York gekommen, und eine davon war gewesen, Suzan wiederzutreffen, die sie seit Wochen nicht gesehen hatte.

      Jemand klopfte, das Karussell im Kopf stoppte abrupt. Ihr war schlecht und sie wankte zur Tür. Beim Öffnen blickte sie in Joe Wisemans Augen: tintenblau und unergründlich wie der Brant Lake. Wie üblich meldete sich, flüchtig, dieses nicht tot zu kriegende Gefühl von Heimat bei seinem Anblick, von unbeschwerter Kindheit, von »Barfuß im Regen« und einer »bunten Tüte« vom Kiosk. Und das, obwohl sie sich erst vor zehn Tagen in Mailand zu einer Session getroffen hatten.

      »Hi, Joe«, murmelte sie. »Komm doch rein.« Er drückte ihr einen vorsichtigen Kuss auf die Wange und ein Präsent in die Hand, unter dessen Stanniolverpackung sie eine preisgünstige Lidschattenpalette vermutete – irgendein Werbegeschenk. In puncto Geschenken hatte Joe nie viel Einfallsreichtum an den Tag gelegt, schon damals nicht, wenn er mit den selbst gepflückten Blumen aus den benachbarten Vorgärten zum Kindergeburtstag erschien.

      Mit spitzen Fingern schob er das eine oder andere Taschentuch beiseite, nahm auf der Bettkante Platz und blickte Jade an. »Wo warst du gestern Abend, Babe? Hab dich vermisst.«

      Jade legte die Schachtel mit der roten Schleife ungeöffnet auf die schmale Ablage des Schreibtischs und ging, an Joe vorbei, langsam zum Fenster. Durch die weißen Fadengardinen sah sie hinab zum Sidewalk, wo eng umschlungen ein junges Pärchen stand.

      »Jetzt bin ich ja hier«, murmelte sie. Sie drehte sich zu ihm um. Er lächelte zögerlich.

      »Flug verpasst? Kommst du direkt von zu Hause? Was macht mein Berlin?«

      »Wartet schon lange auf deinen Besuch«. Sie hatte es so leise gesagt, dass sie nicht sicher war, ob die Antwort zu Joe vorgedrungen war. Früher hatte er sie mehrmals im Jahr in ihrer Wahlheimat Deutschland besucht, aber mit der Zeit waren die Besuche spärlicher geworden. »Im Ernst, Joe!«, fügte sie an, diesmal schon lauter. »Mir ist gerade nicht nach Smalltalk.« Sie deutete auf ihn. »War das Avas Idee?«

      »Tut mir leid.« Er machte eine kurze Pause, nach Worten suchend. »Ich bin doch auch traurig«, sagte er. »Wir alle.«

      »… Wie sie da hing … das kriege ich nie mehr aus meinem Kopf«, hörte Jade sich murmeln.

      »Es tut mir so leid.«

      »Mir tut es leid für Suzan.«

      »Das hat sie echt nicht verdient.«

      Sie war selbst erstaunt über die Heftigkeit, mit der sie sich ruckartig wegdrehte. »Komm schon, Joe!«, fuhr sie ihn an. »Du hast Suzan so oft zum Teufel gewünscht …« Energisch presste sie ihren Rücken an das Fenstersims.

      »Meine engste Vertraute war Suzan nie, das gebe ich zu«, erwiderte der Gespiele aus fernen Kindertagen. »Aber so was wünscht man seinem ärgsten Feind nicht. Was denkst du nur von mir? Dass mir die Sache am Hintern vorbeigeht?«

      »Engste Vertraute? Kein gutes Haar hast du an ihr gelassen!« Wieder rollte eine Träne.

      Sein Mundwinkel zuckte leicht. Eine Hand

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