GLOVICO. Ekkehard Wolf
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Agnieszka Malik hatte das möglicherweise nicht wahrhaben wollen. Das war Russland. Im Westen - und als Polin fühlte sie sich dem Westen zugehörig, auch wenn viele im Westen, insbesondere ihre unmittelbaren westlichen Nachbarn, das anders zu sehen beliebten - im Westen hatte sich dieses System bisher nicht durchgesetzt. Jedenfalls wenn man den Medien glauben schenken wollte. Obwohl – ja obwohl – der Begriff für diese Art von Kriminalität – Mafia – ja eigentlich nicht wirklich ein Wort der russischen Sprache war. Insofern war dieser Fall auch als eine Art Probelauf zu verstehen, der demonstrieren sollte: „Seht her, das klappt nicht nur bei uns, das klappt genauso gut auch bei euch.“ Insofern war den Verantwortlichen klar, dass gehandelt werden musste und das sehr energisch. Dass es aufgrund der Tatumstände nach menschlichem Ermessen tatsächlich unmöglich sein würde, der Täter habhaft zu werden, machte das Dilemma nicht wirklich kleiner.
Da waren berufsmäßige Killer am Werk gewesen, die ihre Aufträge so ausführten, wie es von ihnen verlangt wurde. Diese Leute verhielten sich professionell, machten ihren Job, hinterließen üblicherweise keine verwertbaren Spuren, tauchten dann wieder in der Versenkung ab. Zwischen ihnen und den Tätern gab es keinerlei Berührungspunkte. Die übliche Methode der Polizei, dem Täter über sein mögliches Motiv auf die Schliche zu kommen, versagte hier ebenso, wie die Täterermittlung über Spuren, die zurückgelassen wurden.
Im vorliegenden Fall beschränkten sich die Hinweise auf die drei Geschosse, die durch den Kopf der Getöteten in deren Körper eingedrungen waren. Dass es jemals gelingen würde, die dazu gehörige Waffe zu finden, erschien auch den optimistischsten Ermittlern in Anbetracht der Weitläufigkeit der norwegisch-schwedischen Seenlandschaft äußert unwahrscheinlich.
Auch ohne den Einschüchterungseffekt waren so konstruierte Straftaten bereits schwer genug aufzuklären. In diesem Fall, wo die Tat im Ausland begangen worden war, dürften die Wetten darauf abgeschlossen werden, dass das Kamel wohl eher durch das Nadelöhr schlüpfen werde. Es wäre daher unter dem Strich klüger gewesen, wenn man so hätte tun können, als ob es sich eben nicht um ein Verbrechen handelte, sondern zum Beispiel um den sprichwörtlichen, bedauerlichen kleinen Unfall. Aber diesen Ausweg hatten die Täter im Fall von Agnieszka Malik und ihren Begleitern Tomas und Kristof gezielt verbaut, indem sie dafür sorgten, dass auch nicht der geringste Zweifel am Tathergang aufkommen konnte. Nur so bekam der Fall die gewünschte Öffentlichkeit. Nur so konnten die Auftraggeber sicher sein, dass ihre Entschlossenheit und Fähigkeit zur Durchführung jedweder Aktion über jeden Zweifel erhaben war. Die Provokation war unübersehbar und zugleich auch die mit ihr ausgesprochene Herausforderung. Das konnte und durfte natürlich nicht ungeahndet bleiben, auch oder gerade weil nicht klar war, warum die Auftraggeber es in diesem Fall für nützlich erachtet hatten, den Sicherheitsbehörden den Fehdehandschuh mit solcher Energie vor die Füße zu werfen.
Der Polizeioffizier, der mit der Bearbeitung des Falles offiziell betraut wurde, beneidete sich folglich nicht um diesen Job. Er hatte sich nicht danach gedrängt. Aber auch sonst hatte sich niemand gedrängt und so war dann die Wahl auf ihn gefallen. Seinen Vorgesetzten war die Wahl nicht schwer gefallen. Unter den in Frage kommenden Leitern war er der einzige Ledige gewesen. Er war nicht auf den Kopf gefallen und hatte das Auswahlkriterium unschwer durchschaut.
„Das bedeutet zwar nicht unbedingt eine Anerkennung deiner besonderen Fähigkeiten und ist damit auch nicht einmal ansatzweise schmeichelhaft, dafür aber rational richtig, denn damit reduzierten sich in seinem Fall die Möglichkeiten zur Einschüchterung.“
Der frisch gebackene Leiter der Sonderkommission hatte keine Mühe dies anzuerkennen. Bei der Auswahl der Mitglieder seiner Einheit ließ er ähnliche Gesichtspunkte gelten. Dies hatte zur Folge, dass der Sonderermittlungsgruppe schließlich zumindest keine Person angehörte, die über eigene kleine Kinder erpressbar war.
„Wir können das nicht auf uns sitzen lassen,“ hatte der Hauptmann seinen Kollegen der Sonderkommission zur Begrüßung gleich beim ersten Treffen klar gemacht, „sonst machen die endgültig, was sie wollen.“
Darüber, dass die Chancen der Ermittler diesen Fall aufzuklären, nicht besonders rosig waren, machte er sich gleichwohl keinerlei Illusionen. Von seinen Kollegen nahm er an, dass sie die Angelegenheit mit ähnlichen Augen betrachteten. Laut sagen würde das natürlich niemand. Tomeck Miller entschied sich daher dafür zweigleisig zu fahren. Einerseits würde es darauf ankommen herauszufinden, wo sich seine Kollegin vor ihrem Tod aufgehalten hatte und andererseits galt es zu klären, welche Ermittlungen als so brisant eingestuft wurden, dass man es für nötig hielt, sie öffentlich hinzurichten. „Weshalb und woran“, so fragte er sich, „hatte Agnieszka Malik so verdeckt ermittelt, dass sich darüber keinerlei Hinweise in den Akten finden ließen?“
Auch in Norwegen sorgte der ganze Fall in der sonst so ruhigen Gegend für erhebliches Aufsehen. Ein kaltblütiger Mord, begangen von Menschen in Polizeiuniform an einer Polizeibeamtin aus Polen und ihrem Fahrer, so etwas passierte schließlich nicht alle Tage. Aber weder die bereits gleich in der Nacht eingeleitete Großfahndung hatte zu greifbaren Ergebnissen geführt, noch hatten die Ermittlungen der zur Lösung dieses Falles gebildeten Sonderkommission der Kriminalpolizei Erkenntnisse zu Tage gefördert, die eine Identifizierung der Täter erlaubt hätte. Es blieb bei der Anfangsvermutung, dass diese wohl im Dunstkreis der osteuropäischen organisierten Kriminalität zu suchen seien. Sowohl deren Ein- wie auch die Ausreise, so wurde vermutet, war über die schwedische Grenze erfolgt. Von dort aus konnten die Täter über Finnland weiter in ihr Heimatland gereist sein. Seit der EU-Mitgliedschaft Polens und der baltischen Staaten zum 1. Mai 2004 waren die Grenzkontrollen Schwedens und Finnlands gegenüber den Bewohnern der neuen Mitglieder von einem Tag auf den anderen spürbar gelockert worden. Die Zusammenarbeit zwischen den Polizeibehörden der Nachbarländer hatte sich keineswegs mit vergleichbarer Geschwindigkeit entwickelt. Die unendlich lange Grenze zwischen Norwegen und Schweden war auch in der Vergangenheit nie wirklich auch nur annähernd wirksam zu kontrollieren gewesen. Dafür gab es bis dahin allerdings auch keinen Anlass. Die Ermittlungen stießen demzufolge schnell an ihre Grenzen und beschränkten sich bereits nach wenigen Wochen auf die Sammlung von sachdienlichen Hinweisen. Die gesamte Angelegenheit wäre damit vermutlich recht bald zu den Akten gelegt worden. Dass der Vorgang wenig später eine gänzlich unerwartete Wendung nehmen sollte, lag an Hartmut von Dormann. Der Kriminalreporter mochte sich nicht dazu entschließen, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Er hatte hierfür sehr persönliche Gründe.
Die traurige Nachricht von der Ermordung seiner polnischen Vertrauten erhielt der britische Experte für Datensicherheit Jonathan Bird am späten Abend des Tages, an dem seine Frau und er wieder in England angekommen waren. Als die Hunde vor dem Haus in der Nähe des dänischen Dörfchens Lönstrup angeschlagen hatten, war das Gespräch zwischen den Beteiligten auf einen Schlag verstummt. Alle Anwesenden hatten sich fragende Blicke zugeworfen. Als das Gebell nicht aufhörte, hatten der Franzose und Günther Rogge mit ihren Nachtsichtgeräten das Gebäude verlassen und sich einen Überblick darüber verschafft, was sich in der Umgebung abspielte. Dank der Restlichtverstärker war es nicht schwierig gewesen, mehrere Gestalten ausfindig zu machen, die damit beschäftigt waren, um einige der Häuser herumzuschleichen, die sich etwa drei- bis vierhundert Meter links von dem Haus befanden, in dem sich die kleine Gruppe aufhielt. Als die beiden Beobachter feststellen mussten, das sich die Unbekannten auf den Weg zu ihnen machten, war Rogge