Gabriel Schillings Flucht. Gerhart Hauptmann
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Читать онлайн книгу Gabriel Schillings Flucht - Gerhart Hauptmann страница 3
Lucie
(zuckt mit den Achseln):
Nach diesem Brief, Ottfried, allerdings. Freilich, sicher kann man es, wie die Sachen mit Schilling liegen, nicht voraussagen. Er scheint ja in einer Krisis zu sein, aber sag' mal selbst, sein Verhältnis zu Hanna Elias ist schon manchmal in einer Krisis gewesen; und doch renkte sich alles immer wieder zu unsrem beiderseitigen Mißfallen ein. — Du weißt ja, was sie für Mittel hat! Wenn sie es absolut will, daß er bei ihr bleibt, na, so geht sie zu Bett und kriegt vier Wochen lang Nasenbluten. —
Mäurer:
Äh, ich mag sie nicht! Ich bin in keiner Beziehung, nicht wahr, ein Weiberfeind; sie brauchen auch, weiß Gott, um mir zu gefallen, nicht alle deutsche Gänse zu sein. Aber diese Hanna macht mich ganz wild. Wenn ich sie ansehe, fast leichenhaft wächsern, wie sie ist, dann begreife ich nicht, wie sie leben kann, und hoffe, sie muß jeden Augenblick abschieben. Keine Ahnung! Sie lebt; sie denkt nicht daran und wird uns alle womöglich noch einbuddeln.
Lucie:
Ja, Ottfried, das kann ganz gut möglich sein.
Mäurer:
Verzeih mir's Gott, wenn keine Aussicht vorhanden ist, daß sie in Bälde das Zeitliche segnet, dann muß mit Schilling erst recht was geschehn; dann muß man erst recht mit ihm einen letzten, rücksichtslosen Versuch machen. Dazu ist er zu gut, um an dieser Schürze zugrunde zu gehn.
Lucie:
Wer weiß, vielleicht ist deine telegraphische Einladung gerade zur rechten Stunde gekommen.
Mäurer:
Merkwürdig, dieser ruhige, schlichte Mensch, der mehr als wir alle in seinem gelassenen Wesen gefestigt schien, ist durch diese Person ganz aus der Bahn gerissen. Als sie auftauchte, dacht' ich das Gegenteil. Seine Heirat mit Eveline war Unsinn. Sie hat ihn sich, weil er immer gegen die Äußerlichkeiten des Lebens gleichgültig war, wenn man ihn nur ungestört malen ließ, einfach angetraut. Und da war er mit einemmal ihr Ernährer. Hanna hat mehr Reiz, mehr Selbständigkeit, und so glaubt ich am Anfang, sie würde für seine Kunst das Rinascimento des vierten Jahrzehntes sein. Statt dessen stellt sie seine Existenz als Künstler und Mann überhaupt in Frage.
Lucie:
Woraus erhellt, da sie ebenfalls von orientalischer Faulheit ist, daß Weiber, die nichts zu tun haben, bloß Unfug stiften; und ich habe mir deshalb fest vorgesetzt, ich will diesen Winter sehr viel Kolophonium für meinen Geigenbogen verbrauchen.
Mäurer:
Hast du die tausend und abertausend Stare und Schwalben auf den Strohmützen der Fischerkaten drüben in Vitte gesehn? Diese Aufregung, dieser Eifer, diese entzückende Reiselust! Packt es dich da nicht auch wieder mächtig?
Lucie:
Wenn ich am Meer sein kann, mit dir allein, und an einem versteckten Platz, wo uns niemand beunruhigt, so weißt du ja, daß ich sträflich bedürfnislos und zufrieden bin. — Weißt du übrigens, was mich der Fischer gefragt hat?
Mäurer:
Nun?
Lucie:
Ach Unsinn, nichts! — Bloß, ob du ein Onkel von mir bist. — Ich habe gesagt, ich bin deine Großmutter.
Mäurer:
Was die Menschen doch wie die Teufel neugierig sind! Aber laß das, Schusterchen, ärgere dich nicht! Klatsch macht man durch absolute Verachtung unschädlich! Hör' lieber zu, was ich beschlossen habe. Nämlich, dem guten Schilling gegenüber ist mein Gewissen nicht ganz rein. Moralische Urteile sind eigentlich nur Bequemlichkeit; und doch hab' ich mich dieser Bequemlichkeit dem Freund gegenüber, als ich seine Handlungsweise nicht recht mehr verstand, leider schuldig gemacht. Wenn es ginge, möchte ich das gern jetzt wieder ausgleichen. Aber das ist vielleicht Selbstbetrug. Ich bin vielleicht nur gut aufgelegt und möchte mein Wohlbefinden noch steigern.
Lucie:
Nun, ein ganz, ganz schlechter Kerl bist du ja gerade nicht.
Mäurer:
Keinesfalls sehr viel schlimmer, als andere! — Das Stück Geld unterm Großmast, was nicht nur nach dem Aberglauben der Fischer darunter gehört, hat Schilling leider immer gefehlt; er wäre sonst zweifellos besser gesegelt. Und man ist in Geldsachen ja leider, wo Not an Mann ist, auch nicht immer durchweg zum Anstand geneigt. Aber jetzt, wo die Bremer nicht knausrig gewesen sind, will ich mal alles wieder gut machen. Ihr müßt beide mit mir nach Griechenland.
Lucie
(lustig):
Herrlich. Deine Brille funkelt ja förmlich, wie du das sagst. Und dein Haar sieht dabei schon wie eine Flamme auf einem Opfertiegel in Delphi aus.
Mäurer:
Also will ich dir auch gleich mal was weissagen: jetzt schwöre ich dir, daß Schilling kommt.
Lucie:
Und ich glaube es auch, ich kann es bestätigen, daß er drüben auf dem Fußsteige durch das Moor schon mehrmals gewafelt hat.
Mäurer
(beobachtet in die Ferne):
Wirklich, ein Mensch kommt über das Moor gelaufen.
Lucie:
Vor kaum zehn Minuten hat der kleine Dampfer von Stralsund drüben in Grobe angelegt. — Das ist er.
Mäurer:
Er rennt wie ein Bürstenbinder. Teufel noch mal, das könnte wahrhaftig der Maler Schilling mit seinem Rucksack und seinem Pastellkasten sein! (Er ruft.) Ku ui!
Lucie:
Da will ich euch erst mal allein lassen!
Mäurer
(blickt aus, zieht sein Taschentuch, schwenkt es und ruft):
Ku u i! Ku u i!
Lucie
(ruft schon von weitem):
Was ist denn das für ein Ruf?
Mäurer:
Ku u i! So rufen die afrikanischen Buschleute.
Lucie:
Er bleibt stehen. (Sie will fort.) Adieu!
Mäurer:
Adieu, mein Kind, adieu! Ich will mal kurzen Prozeß machen. Wenn er es nicht ist, komm ich dir nachgerannt.
Mäurer
(läuft nach rechts hin ab).
Lucie
(blickt noch immer über