Erleuchtet. Emmi Ruprecht
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Nachdem die Stille ein paar Sekunden angehalten hatte, traute ich mich, vorsichtig meine Augen wieder zu öffnen. Die Luft schien rein zu sein. Aber wo war ich hier bloß hingekommen?
Noch immer ziemlich benommen sah ich mich um. Nach und nach fügte sich ein Puzzleteilchen zum nächsten: Das weiße Bett mit der weißen Bettdecke, die weiße Wand, der graue Linoleumfußboden, der praktische Nachttischwagen auf Rollen zu meiner Linken, daneben ein Infusionsständer, der kleine Sperrholztisch mit grauer Tischplatte unter dem Fenster, flankiert von zwei unbequem aussehenden, hellblauen Plastikstühlen, und zu meiner Rechten ein ebensolches Bett wie das, in dem ich mich befand. Erleichtert nahm ich zur Kenntnis, dass es nicht belegt war. Dahinter sah ich hellblaue Einbauschränke und links davon eine Tür, die sicher in eine Nasszelle führte. Jedenfalls hoffte ich das, denn ich wusste – jetzt da mir klar war, dass dies wohl doch nicht der Himmel, sondern ein Krankenhaus war – dass ich irgendwann, vermutlich recht bald, aufs Klo gehen wollen würde.
Scheiße! Was war passiert?
Ich versuchte mich zu sammeln. Mein Kopf brummte. Außerdem fühlte er sich anders an als sonst ... irgendwie ...
Ich hob meine linke Hand und versuchte, mein Gesicht zu berühren. Die rechte brauchte ich, um mich am Bett festzuhalten. Sicherheitshalber.
Aua! Was war denn das?
Meine linke Hand schien festzuhängen! Entsetzt schaute ich auf meinen Handrücken und entdeckte die gut zugepflasterte Infusionsnadel, die hineingebohrt worden war, und die zu der klaren Flüssigkeit in dem Beutel am Ständer führte.
Oh Gott!
Ich schauderte bei dem Gedanken, wie tief diese Nadel wohl in meiner Ader steckte – die war doch sicher viel zu dünn für so etwas! – und beschloss, meine Linke auf gar keinen Fall mehr zu bewegen. Also musste nun doch meine rechte Hand das Bett loslassen. Glücklicherweise schien diese unversehrt zu sein. Willig gehorchte sie meinem Befehl und tastete nach meinem Kopf.
Ein Schock fuhr mir durch die Glieder. Meine Haare! Wo waren meine Haare?! Ich fühlte nur so etwas wie ... Stoff?
Mittlerweile war ich wach. Auch ohne Kaffee und trotz Brummen im Kopf. Fast panisch schlug ich die Decke zurück. Was war mit meinen Beinen?
Am Ende des Bettes erblickte ich meine Unterschenkel und meine Füße, deren Zehen ich sofort probehalber bewegte. Klappte einwandfrei.
Erleichtert ließ ich mich wieder ins Kissen sinken.
Au! Mein Kopf!
Jede Bewegung schmerzte und hallte dröhnend im Innern meines Schädels nach. „Lieber nicht rühren und einfach liegen bleiben“, dachte ich.
Doch nur einen Moment später drängten sich furchterregende Gedanken in mein Bewusstsein: Wie sah ich aus? War mein Gesicht noch da? Was, wenn ich durch einen Unfall total entstellt wäre und aussähe wie das Phantom der Oper unter seiner Maske? Und aufs Klo musste ich jetzt auch! Deshalb half alles nichts und die Infusionsnadel konnte mich nun auch nicht mehr schrecken. Mühsam setzte ich mich auf, ergriff resolut den Infusionsständer und erinnerte mich daran, dass Tom Hanks in „Streets of Philadelphia“ damit sogar tanzen konnte ...
Was für eine völlig überflüssige Information, die mein Gehirn da ausspuckte! Konnte es sich nicht wenigstens in diesem wirklich existenziellen Moment auf das Wesentliche konzentrieren?
Dann stand ich auf. Und setzte mich gleich wieder. Scheiße, war mir schwindelig! Nur mühsam konnte ich einen Brechreiz unterdrücken. Aber egal: Ich wusste, wo das Klo war – jedenfalls war ich ziemlich sicher, dass es sich hinter der Tür neben dem Wandschrank befand. Und da musste ich jetzt hin! Dort gab es sicher auch einen Spiegel ... außer, das fürsorgliche Krankenhauspersonal hatte ihn vorsichtshalber abgehängt, um mir den furchtbaren Anblick zu ersparen, der mich erwartete, wenn ...
Hilde! Reiß dich zusammen!
Also probierte ich es noch einmal: Ich stellte beide Füße fest auf den Boden, packte den Infusionsständer, atmete tief ein und wieder aus und stand auf. Jetzt passte es. Ich ging ein paar Schritte. Auch das funktionierte. Ich ignorierte das fast hubschraubergleiche Dröhnen in meinem Kopf und das Schwindelgefühl, das mich sofort wieder aufs Bett zwingen wollte, denn ich musste ins Bad, und zwar dringend. Also stieß ich alle Bedenken beiseite, ob ich wirklich dazu in der Lage wäre, den Weg bis dahin zurückzulegen, und hangelte mich zwischen Infusionsständer und Bett durchs Zimmer. Ich riss die Tür auf. Wo war denn hier der Lichtschalter? Verdammt noch mal, warum waren die zu blöd ... ah, gleich rechts neben der Tür, fast verdeckt von dem Handtuch, welches an einem Haken darüber hing.
Ich schaltete das Licht an und ... Gott sei Dank!
Mein Blick war in den Spiegel gefallen, und der Anblick war nicht schön, aber ich erkannte mich auf Anhieb wieder. Bis auf ein etwas verquollenes Gesicht und völlig verlaufene Wimperntusche war auch alles gut. Der restliche Kopf – okay – da war ein Verband, aber das hatte ich schon geahnt. Jedenfalls schien ich noch Haare zu haben! Vielleicht nicht am ganzen Kopf – keine Ahnung, was sich unter dem Turban befand – aber wenigstens ein paar schauten unter den weißen Stoffstreifen hervor.
Erleichtert seufzte ich. Und dann gab es kein Halten mehr und ich reiherte, was das Zeug hielt, ins Waschbecken.
+
Zwei Tage später war ich wieder zuhause. Endlich!
Ich stand mitten in meinem Wohnzimmer und sah aus dem Fenster in den trüben Mainachmittag. Nun, da ich wieder in meiner vertrauten Umgebung war, die genauso aussah wie an jenem Abend, als ich sie verlassen hatte, erschien mir die Zeit im Krankenhaus fast wie ein schlechter Traum und komplett irreal. Hatte es meinen Klinikaufenthalt wirklich gegeben?
Erleichtert hatte ich heute Mittag meine Entlassungspapiere und den Brief an meinen Hausarzt, der mir eine Gehirnerschütterung und eine Platzwunde bescheinigte, vom Stationsarzt entgegengenommen. Glücklicherweise hieß das, dass ich wieder nach Hause konnte! Sofort hatte ich meine wenigen Sachen zusammengepackt, das Krankenhaus verlassen und ein Taxi gerufen. Vor ein paar Minuten hatte es mich vor dem Haus abgesetzt und ich hatte die drei Stockwerke bis zu meiner Wohnung erklommen. In den letzten zwei Tagen hatte ich nichts so sehr herbeigesehnt wie diesen Moment, wenn ich endlich wieder in meiner Wohnung, in meinem Leben sein würde!
Huch! Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Ich?
Nun stand ich hier, in meinem Wohnzimmer, blickte aus dem Fenster auf den Baum vor dem Haus und daran vorbei auf die gegenüberliegende Straßenseite, wo sich ebenfalls eine Altbauwohnung an die andere reihte, und konnte mich nicht rühren. In den letzten zwei Tagen hatte ich wohl verdrängt, in was für einem Zustand ich mich befunden hatte, als der Unfall im Park geschah. Die wenig anheimelnde Krankenhausatmosphäre sowie die nicht vorhandene Privatsphäre – ein Krankenhauszimmer ist ein öffentlicher Raum, in den jeder jederzeit, bestenfalls angekündigt durch ein kurzes Klopfen eine Zehntelsekunde vor Aufreißen der Tür, eindringen kann – hatten mich von tiefer gehenden Reflektionen über das Geschehene abgehalten. Meine gut besuchte Bettnachbarin, die mir noch am selben Nachmittag, als ich im Krankenhaus erwacht war, zugeteilt wurde, ebenfalls.
Aber jetzt, hier, in meinem alten, vertrauten Leben, da gab es nichts mehr, was mich ablenkte. Es hätte so gut getan, einfach losheulen zu können,