Erleuchtet. Emmi Ruprecht

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Erleuchtet - Emmi Ruprecht

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hatte die dem Telefonat folgende Stunde mit einer Abfolge emotionaler Abgründe verbracht, wie ich sie in dieser Intensität noch nicht gekannt hatte. Zunächst war da die Schockstarre gewesen, die ich minutenlang, immer noch mit dem Hörer in der Hand, auf meinem Sofa zugebracht hatte, obwohl Siegbert – oder in Zukunft wohl doch eher Herr Dr. Gärtner – längst aufgelegt hatte, nachdem er mir noch einen schönen Abend gewünscht hatte. Ich hatte mich gefühlt, als wäre ich von einer Dampfwalze überrollt worden, und war unfähig gewesen zu begreifen, dass sich das, was ich zuvor erlebt hatte, tatsächlich abgespielt hatte. Nachdem ich begann, das Erlebte wenigstens für möglich zu halten – schließlich hielt ich den Telefonhörer noch in meiner Hand – wurde meine Empörung darüber geweckt, wie das Leben, dieses unaussprechlich hintertücksche Luder, mir so einen grausamen Streich hatte spielen können. Wie sehr wollte es mich denn noch demütigen? War ich nicht bereits ausreichend am Boden zerstört? Meine Empörung wanderte vom Leben weiter zu Herrn Dr. Gärtner, der durchaus, wie ich fand, schon etwas früher seinen Teil dazu hätte beitragen können, das Missverständnis aufzulösen. Anschließend überfiel mich siedend heiß die Scham über meinen unter diesen Umständen unsagbar peinlichen Monolog, der auf der Annahme gründete, ich hätte es mit einem heimlichen Verehrer und nicht mit einem altruistischen Menschenversteher zu tun. Und schließlich quälte ich mich mit der Frage, wie unendlich jämmerlich und verzweifelt ich am vorherigen Freitag gewirkt haben musste, wenn der einzige Mann, der mich hatte kennenlernen wollen, ein Psycho-Pate war, der Mitleid mit einer total kaputten Existenz hatte!

      An dieser Stelle hatte ich mir einen weiteren Aperol Spritz gemixt, dem Universum zugeprostet und mich für das aufmunternde Selbstbildnis, das es mir gerade großzügig beschert hatte, bedankt. Mehr brauchte es meiner Meinung nach nicht, um mich tief in den schauderhaften Sümpfen der gnadenlosen Realität zu versenken und daran zu verzweifeln. Und hier schloss sich der Reigen und ich begann von vorne, das Leben, das unaussprechlich hintertücksche Luder, zu verfluchen.

      Nachdem ich diese Abfolge von Einsichten in mein zweifellos groteskes Schicksal einige Male mithilfe weiterer Prosecco-Mischungen durchexerziert hatte, kam ich zu dem Schluss, dass ich – wenn ich schon in den Augen anderer eine bemitleidenswert kaputte Existenz war – diesen Zustand auch mit Würde tragen konnte. Und das bedeutete, dass eine Klarstellung der Situation gegenüber Herrn Dr. Gärtner unbedingt nötig war! Zumindest sollte mir das dabei helfen können, dieses traumatische Telefonat zu verarbeiten. Da ich glücklicherweise noch krank geschrieben war und mich nicht gleich am nächsten Tag zurück in die vom Wahnsinn umjubelten Hallen meiner Arbeitsstelle begeben musste, war auch der vom Herrn Doktor vorgeschlagene Termin um 16 Uhr für mich realisierbar.

      Nachdem ich diesen Entschluss gefasst hatte, hatte ich endlich ein wenig entspannen und recht angetüdelt auf meinem Sofa einschlafen können.

      Und nun stand ich um 15:59 Uhr vor dem Eingang dieses quietschgelb gestrichenen Hauses und wartete. Während ich wartete, sah ich mich um: Oberhalb der Tür war ein JingundJang-Zeichen angebracht, das mich durchdringend musterte. Links von mir, an einem Balken des Vordachs, hing ein Windspiel, welches wegen Flaute gerade nicht spielte. Rechts vom Eingang plätscherte Wasser über ein paar Keramikkugeln und verschwand in einem kleinen Becken.

      „Aha“, dachte ich, als ich mit Befremden diese Anzeichen esoterisch geprägter Gestaltungskultur wahrnahm.

      Ich warf einen Blick auf das Schild links neben der Tür, welches das Haus als „Zentrum für ganzheitliche Heilkunst“ auswies. Darunter waren Namen von Therapeuten sowie eine beeindruckende Anzahl von unterschiedlichen Professionen vermerkt: Von Ayurveda über Basenfasten, Energiearbeit, Focusing, Heilsingen und Kerala Fußmassage bis hin zu Ohrakupunktur, Schröpfen, Tarot-Beratung und Zungendiagnostik – um nur eine bescheidene Auswahl zu nennen – war alles vertreten, was ich nicht mit mir in Verbindung bringen konnte. Ich nahm es entsprechend distanziert zur Kenntnis.

      Unter diesem aufwändig gestalteten Schild war noch ein sehr viel kleinerer, im Gegensatz zu dem obigen auffallend schmuckloser Hinweis angebracht, welcher auf meinen Lebensretter hinwies: Dr. Siegbert Gärtner, Psychotherapie und Hypnose, 1. Stock. Ich fand, dass selbst Hypnose im Zusammenhang mit den oben genannten Aktivitäten geradezu spießig wirkte.

      Ich hatte meinen Lebensretter bei unserem ersten Zusammentreffen nur als dunkle Gestalt mit einem hellen Schein um den Kopf herum wahrgenommen. Auch das Telefonat hatte keinerlei Aufschluss darüber gebracht, wie dieser Mann tatsächlich aussah, dem ich gleich gegenüberstehen würde. Nicht einmal sein Alter konnte ich schätzen. Meine diesbezügliche Annahme beruhte einzig und allein auf seinem Vornamen „Siegbert“, und demnach musste er mindestens hundert sein. Dass er mir darüber hinaus unsympathisch sein würde, wusste ich seit unserem gestrigen Telefonat.

      Angesichts von Windspiel, Heilsingen und Co. entstand nun in meiner Fantasie das Bild eines kleinen, dicken, einen verwanzten Wollpullover tragenden Mannes mit Nickelbrille, ausgebeulter Cordhose und komplett abgelatschten Gesundheitsschuhen, der einen selbstgetöpferten Becher mit Tee vor sich hertrug, aus dem es ab und zu tropfte, weil er ihn in Ermangelung ausreichender Aufmerksamkeit und Körperspannung ständig gefährlich schräg hielt. Herr Dr. Gärtner wurde mir mit jeder Sekunde, die ich vor der Tür wartete, unsympathischer!

      Ich schärfte mir erneut ein, mich auf gar keinen Fall auf eine Therapie oder Ähnliches einzulassen. Zwar hatte mein Lebensretter das gestern Abend ziemlich uncharmant so verfügt, doch ich zog es vor, einfach nur das durch meine Fehleinschätzung entstandene Missverständnis auszuräumen, mich dafür zu bedanken, dass er mich aus dem Wasser gezogen hatte, und dann wieder zu verschwinden. Das Ganze war mir zwar unangenehm, weil Herr Dr. Gärtner einen ganzen Termin für mich freigehalten hatte und sicher erwartete, neue Kundschaft akquiriert zu haben, doch ich plante in dieser Angelegenheit hart zu bleiben. Und vielleicht sollte ich jetzt, solange auf mein Klingeln noch keine Reaktion erfolgte, einfach die Gelegenheit nutzen und wieder verschwinden? Ich hatte es versucht – ehrlich! Aber wenn niemand öffnete – was konnte ich dafür?

      Kaum hatte ich das gedacht, da ertönte auch schon der Türsummer. Es war Punkt 16:00 Uhr. Ich seufzte. Schade! Hätte das Schicksal nicht einmal etwas unkompliziert in meinem Sinne regeln können? Aber vermutlich hätte mich dann doch irgendwann das schlechte Gewissen gepackt, weil ich einen verabredeten Termin nicht ordnungsgemäß wahrgenommen hatte. Also fügte ich mich der Vorsehung und drückte die Tür auf. Was hatte ich noch gleich sagen wollen? Ach ja: „Guten Tag, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Wie, Sitzung? Nein, nein, das ist wohl ein Missverständnis ...“

      In dem kleinen, orangefarben gestrichenen und mit Terracotta-Fliesen ausgelegten Eingangsbereich fiel mir zunächst ein rotes Etwas aus Ringen, Puscheln und Federn auf, das von der holzgetäfelten Decke hing. Vielleicht ein Fliegenfänger, nur ohne Fliegen? Hm. Ich berührte es vorsichtig mit den Fingerspitzen, doch es schien nicht klebrig zu sein. Seltsam. Oder sollte es möglicherweise böse Geister fernhalten? Ich grinste. Dann könnte ich so ein Gerät bei mir im Büro ausprobieren und schauen, ob es auch gegen meinen Chef wirkte!

      Unter dem seltsamen Etwas, gleich neben der Tür, die weiter in das Hausinnere führte, stand ein Regal mit Schuhen. Altmodische, ausgeblichene rote Damenstiefel aus Wildleder – wann waren die denn mal modern gewesen? – standen neben klobigen, ausgetretenen Herrensandalen. Darunter befanden sich ein Paar Turnschuhe und dunkelblaue Ballerinas mit Schleifchen. Gleich daneben bemerkte ich ein Schild: „Bitte ziehen Sie die Schuhe aus, um keine schmutzigen Energien in den inneren Raum zu tragen. Danke!“

      Ich stutzte. Galt das auch für Besucher? Solche wie mich? Sollte ich wirklich meine Schuhe ausziehen, oder machte ich mich damit in den Augen des Psychotherapeuten, den ich aufzusuchen gedachte, erneut verdächtig, weil sich diese Aufforderung natürlich nur an den Heilsing-Kreis richtete und nicht an normale Menschen? Und würden meine Schuhe noch dort stehen, wenn ich die Praxis wieder verlassen wollte? Wer garantierte das? Wie sollte ich im Falle eines Falles ohne Schuhe nach Hause kommen? Ich überlegte einen Moment lang, ob ich es ohne Aufsehen

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