EINFACH. ÜBER. LEBEN.. Maxi Hill
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Die Luft war trocken und es wehte ein leichter Wind. Zehn Uhr stand die Sonne nordöstlich über dem Kopf von Christo Rei und ließ die Blüten der violetten Bougainvillea aufleuchten. Ein Anblick, den Arne besonders mochte, der ihn noch Jahre später, als wir endlich auch ohne staatlichen Auftrag in alle Ecken der Welt reisen durften, in verzückte Erinnerung versetzte, auch wenn er den Namen dieser Blüten noch heute nicht aus seinen Hirnwindungen heraus kramen kann.
In Momenten wie diesen konnte sogar Hellen die Widrigkeit des staubigen Weges ignorieren oder wenigstens tolerieren. Auch ihre Augen blieben ungewöhnlich lange an dem Farbenspiel haften, während ihre Lippen den Vergleich zwischen den Schönheiten dieses Landes und den vielen Unannehmlichkeiten zu formulieren versuchten, denen wir hier ausgesetzt waren. Weil ich dazu schwieg, blieb sie stehen und stippte mich heftig an:
»Stell dir vor Maxi, du müsstest immer hier leben? Neben diesem Dreck und der Armut …« Die Blicke ihrer rollenden Augen tasteten mein Gesicht ab, das sich bemühte, so gleichgültig wie nur irgend möglich zu tun.
»Man kann überall leben. Der Ort ist nicht das Wichtigste.«
Es schien, als fragten Hellens Augen, was für mich das Wichtige sei, aber sie war zu sehr damit beschäftigt, dem Unrat auszuweichen, der mit jedem Schritt zunahm, den wir auf den bairro zugingen,.
»Das Wichtigste im Leben ist immerhin, genau zu wissen, was das Wichtigste ist«, vollendete ich meine Gedanken, ohne wirklich auf Hellens Befindlichkeit achtgegeben zu haben. Ich war nicht bei der Sache, meine Unruhe war kaum zu beherrschen, aber irgendwie traf mich ihre Frage. So wenig ich früher daran geglaubt hätte, einmal in diesen Winkel der Welt zu geraten, so sehr bewusst machte mir eben diese Tatsache, dass man immer auf einen plötzlichen Wandel des Lebens gefasst sein musste.
»Arne meint, wegen des Klimas würde er gerne bleiben.«
»Und du?«
»Ich natürlich nicht!«
Meine Worte kamen zu barsch über die Lippen. Es war nicht fair. Ich benutzte Hellen an diesem Vormittag für meine Zwecke, nun sollte ich auch ihre Nachteile ertragen. Mehr noch, ich sollte nett zu ihr sein.
»Es ist doch das uralte Lied: An grauen Novembertagen wünschst du dir den Himmel von Afrika, und wenn du ihn hast, denkst du an nichts anderes, als an erfrischenden Regen. Das Wichtigste ist beides dennoch nicht. «
Hellen stöhnte leise. Dieses Stöhnen kannte man nicht nur von Hellen. Es war ein winziges Indiz des Aufbegehrens unserer, an ihr Geschick gewöhnten Generation.
»Wenn wir wenigstens verreisen dürften wohin wir wollen. Ans Mittelmeer oder in die Alpen. Wäre das nicht klasse, Maxi?«
Ich glaubte ihr, dass sie es nur in die ferne Welt zog, nicht aus dem heimischen System. Sie hatte eine erwachsene Tochter im Alter unseres Sohnes Nico, der verheiratet war aber nicht sorgenfrei, weshalb diese Ehe kein Hort für unser Tochter Ina war.
»Bist du der Landschaft wegen mit Dietmar mitgegangen?« Wenn ich Hellen richtig einschätzte, hatte sie auf alles, was sich im Leben ihrer Ehe je geändert hatte, den größeren Einfluss, auch wenn dieser nur im Abwenden scheinbar nachteiliger Entscheidungen ihres Mannes lag.
Hellen stolperte neben mir her wie ein Huhn im Schnee und antwortete atemlos. »Wir wussten doch nicht, wohin man uns schickt. Ich wäre lieber in ein reiches Land gegangen. Aber wer weiß, vielleicht hätte ich dann nie wieder nach Hause zurück gewollt.«
Das war neu. Hellen schwärmte zwar nicht zum ersten Mal von fantastischen Gegenden der Welt, doch zum ersten Mal war es ihr gelungen, mich neugierig zu machen:
»Heißt nicht gewollt auch nicht gegangen?«
»Wo denkst du hin!« Der Satz kam genauso barsch über ihre Lippen, wie kurz vorher einer von mir. Nur eines war anders. Hellen trug jetzt nicht die Züge ihrer ständigen Abscheu gegen dieses Stückchen Land, gegen Schmutz und fehlende Hygiene zur Schau. Ihre Augen begannen zu leuchten wie die Bougainvillea.
»Ich freue mich auf mein Zuhause.« Sie streckte ihre Hände in die Luft und spreizte die Finger: »Noch neun Monate, Maxi. Neun. «
Sie konnte nicht verbergen, was ihr bei dem Gedanken an zuhause durch den Kopf ging. Doch dann war es doch ungewöhnlich. Hellen, die beinahe ausschließlich von Hausfrauensorgen bewegt wurde, begann ein Loblied auf die Sozialleistungen in der DDR zu singen. Zu guter Letzt legte sie einen Finger auf die Lippen und sprach von ihren westdeutschen Verwandten, von denen niemand wissen durfte.
»Die loben unser Sozialsystem, aber bei uns leben will keiner von denen da drüben.«
Noch viele solche Worte holperten aus ihrem Mund, wie ihre Füße über den ausgetretenen Weg. Mir schien es, als müsste ich sie auffangen, bremsen. Ich hatte keine Lust, mit Hellen über diese Dinge zu reden. Sie redete sonst nie über Politik. Warum heute, wo meine Sinne fest auf ein bestimmtes Ziel gerichtet waren. Meine Unlust war nicht zu überbieten, dennoch ging ich auf Hellen ein:
»Jeder wünscht sich das, was er nicht hat. Wir die Reisefreiheit und deine Westverwandten mehr Sorge um den Menschen. Das ist wie mit dem Himmel von Afrika und dem gewohnten Novemberregen.«
Hellen war stehen geblieben und zupfte sich mit staunenden Augen herumfliegende Samen von der Bluse.
»Eines hab ich nie verstanden, Maxi. Die nennen es Demokratie und sind stolz darauf. Und wir tun dasselbe, obwohl doch Welten dazwischen liegen.«
Angesichts der immer drückenderen Hitze und der Mühsal, die uns das Laufen bereitete, vermied ich es, jeglichen Anschein von Interesse zu hinterlassen. Hellen hatte trotzdem gesiegt. Im Stillen dachte ich nach. Auch wenn ich mir manchmal wünschte, in einigen Dingen des Lebens freier entscheiden zu können, weniger biegsam den Erwartungen der Obrigkeit zu entsprechen, so ruhte doch jene Ahnung in mir: Die mündigen Bürger in der freiheitlichen Demokratie, auf die so manch einer von uns neidisch schielte, könnten einer gnadenlosen gesellschaftlichen Konfrontation ausgesetzt sein. Parteiengerangel. Machtkampf. Ellenbogengesetz. Wir hingegen hatten keine andere Wahl, dafür aber die gutgläubige Hoffnung, die Zuversicht auf eine friedliche Welt, auf die Solidarität mit benachteiligten Völkern, auf den Siegeszug der Menschenwürde auf diesem Planeten und den Stolz, auf neuen Wegen der menschlichen Gesellschaft zu schreiten.
Während mein Kopf den Schlagabtausch zwischen dem goldenen Westen mit seinem Wirtschaftswunder und dem unschätzbaren Sozialwunder im Osten führte, liefen unsere Füße durch den Staub der realen afrikanischen Welt. Dieser Staub umhüllte bereits unsere Schuhe und kroch langsam bis zu den Knöcheln. Ich musste mich zwingen, nicht auffallend schneller zu laufen, war ich doch kribbelig auf den Moment, den ich beabsichtigt, aber Hellen verheimlicht hatte.
Nachdem ich im Durcheinander von Trampelpfaden und Hütten beinahe die Orientierung verloren hätte, quälte der trocken-muffige Geruch eines Abfallberges unsere Nasen. Hier war die Stelle, an der wir in Richtung Damm abzubiegen hatten, um jene Hütte zu finden, nach der ich suchte. Prompt wollte Hellen zurückgehen und begann mit ihrem Gezeter von tückischen Krankheiten, die man sich auf diesen Wegen holen könne. Nicht umsonst sei uns nahegelegt worden, diese Gegenden zu meiden. Wegen der jämmerlichen Volkskunst sollten wir dieses