EINFACH. ÜBER. LEBEN.. Maxi Hill
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»Nao conheces tambèn?«, fragte ich fonetisch vermutlich unkorrekt, denn ich hatte nur halbherzig und nur autodidaktisch Portugiesisch gelernt. Doch das störte diese Menschen nicht. Es war ja auch nicht ihre Sprache. Eindringlinge hatten sie ihren Vätern und Großvätern und Urgroßvätern auferlegt. Unter sich sprachen sie die Sprache ihrer Väter. Keiner von uns kannte sich aus mit den Volksstämmen und deren Sprachen, so, wie wir DDR-Bürger die große Welt nicht kannten, nicht kennen durften. Aber mehr als irgendwo sonst spürte man hier das großherzige Bemühen zu akzeptieren, wie ein jeder in der Lage war, sich verständlich zu machen.
Die Augen des Jungen huschten hastig hin und her, von uns zum patron und zurück. Nein. Er habe auch noch nie ein Nashorn gesehen, sagte es lächelnd. Die Kinder in den bairros kannten die afrikanischen Tiere weniger gut, als die Kinder in Europa.
Der Boss saß unbeweglich auf einem Holzklotz im Schatten und rauchte, die Beine weit auseinandergestellt, die Ellenbogen auf die Schenkel gestützt, seinen Oberkörper nach vorne gebeugt. Arne ging zu ihm und versprach, später auch das Krokodil noch zu holen, wenn es fertig sei. Dem Jungen steckte er behände ein paar Bonbons zu, in der Hoffnung, der Boss würde sie ihm lassen. Ein einziges Bonbon hatte hier den gleichen Schwarzmarkt-Preis wie ein Stangenbrot aus dem staatlichen Handel.
Der Mann hatte in seiner Trägheit nichts bemerkt, während die Augen des Jungen zu glühen begannen. Unruhig scharrten seine Füße im Staub, doch er beugte sich tief über das Krokodil aus hellem Holz und schnitzte weiter.
»Ate logo«, rief Arne zum Abschied. Er zwinkerte dem Jungen zu und zog das Zaunfeld aus Draht und Binsen wieder ordentlich vor den Ausgang. Kaum waren wir außer Sichtweite, zupfte Hellen Arne am Ärmel und wetterte in ihrem unverwechselbaren Jargon: »Schade um die Bonbons, Arne. Der Alte lässt die dem Jungen nicht. Da wette ich.«
Im Innersten wusste ich, dass es so sein konnte, aber Wasser auf die nie verstummende Mühle von Hellens Lamento zu kippen, behagte mir nicht. Wenn ich schwieg, hielten ihre Tiraden meist nicht lange an. Also schwieg ich in der Gewissheit, auch niemals im Leben gewusst zu haben, wohin unsere Soli-Spenden flossen. Immer hatten wir gehofft, sie mögen die Bedürftigen erreichen. Ohne diese Hoffnung, ohne das Vertrauen in die Instanzen, funktioniert keine Solidarität. Auch nicht die gewaltige, pflichtgemäße der sechzehn Millionen Menschen meines Heimatlandes.
Schon bald hörten wir hastige Schritte und ein Schnaufen dicht hinter uns.
»Amigo, obrigado! Amigo!« Der Junge war uns gefolgt, in seiner Hand glitzerte es bunt. Er lachte breit und deutete auf eine armselige Hütte am Ende des holprigen Weges.
»A minha casa.«
Er lehnte seinen Körper gegen den Pfosten am Stacheldrahtzaun und schob das lose Feld einen Spalt breit zurück. Geschmeidig wie eine Katze wand er sich hindurch und lief zu den Frauen, die vor der Hütte mit wuchtigen Schlägen Maismehl oder Hirse stampften. Die jüngere, hochschwangere Frau im zerfetzten Kittel trug ein Kleinkind auf den Rücken gebunden, dem das ständige Auf und Ab das Wiegenlied ersetzte. Die Frauen blickten ernst, keine hielt inne. Nicht einmal beim Anblick der bunt verpackten Bonbons erhellten sich ihre Gesichter, die runzelig und matt aussahen, wie vertrocknete Mangos. Wortlos nahm die ältere entgegen, was der Junge ihr reichte und trug es in die Hütte. Diesen Moment nutzte die jüngere, um ihren Körper einen Moment zu strecken. Mit einer Hand den Rücken stützend, ließ sie ihre Augen blitzschnell den Stand der Sonne suchen, ehe das rhythmische Schlagen erneut den stark gewölbten Bauch und gleichsam das Baby auf dem Rücken erschütterte.
Auf dem säuberlich gefegten Boden türmte sich ein kleiner Haufen gelber Kolben. Zwei kleine Mädchen saßen davor und puhlten den Mais mit ihren wundgescheuerten Fingern. Ein anderes Kind, vermutlich ein Junge, spielte im Dreck. Einen Vater sahen wir nicht. Es dauerte nicht lange, bis der freundliche Junge sich wieder durch den Drahtzaun zwängte und seine dunkle, von Schwielen durchfurchte Hand auf den Arm meines Mannes legte. Ich konnte meinen Blick nicht lösen vom Anblick der Kinderhand, die sich so deutlich von der Haut des weißen Mannes abhob, der in den Augen des Jungen ein weiser Mann zu sein schien. Oder ein reicher? Es war nicht nötig zu grübeln, was für das Kind, das vermutlich seine Familie zu ernähren hatte, als wertvoller galt.
»Eu Enkembe«, sagte er mit strahlenden Augen, die scheu zu den Frauen hinüber blitzten, deren dumpfes Schlagen mit den Stöcken wieder den erbarmungslosen Takt ihres Lebens bestimmte. Der Junge blieb stehen, ohne ersichtlichen Grund. Er schien ruhig, nur die nackten Füße, die bis zu den Knien mit hellem Staub bedeckt waren, scharrten unruhig über den trockenen Weg. Arne strich dem Kind über das krause Haar, das hart und knotig aussah, aber nicht schmutzig und nicht verfilzt.
»Eu Arne, deste Maxi, a minha Esposa. Deste Amigos Allemaes«, stelle er uns der Reihe nach vor, um irgendetwas zu erwidern. Dann fiel ihm ein zu fragen, warum der Junge keines der Bonbons probiert habe. Enkembe zog die Schultern bis zu den Ohren und er erklärte, er habe nicht das Recht, darüber zu entscheiden. Sein Vater würde es tun, später. Er wies mit dem Kopf in die Richtung, wo sich die Männer dem Stumpfsinn und den magischen Steinbildern hingaben, während den Frauen die Last der harten Arbeit blieb. Dieses weibliche Fügen in die Tradition machte mich ebenso betroffen wie das ganze Elend ringsum. Zuerst hatte ich gedacht, dass diese unerträgliche Wirklichkeit ein Traum sein musste, man wischt sich die Augen und sieht wieder klar. Wenn ich nachts darüber nachgedacht hatte, war mir unsere Anwesenheit in diesem Land so sinnlos erschienen. Wenngleich Arnes Arbeit einen Sinn machte, so war es doch nur ein winziger Tropfen auf heiße, brodelnde Lava. Von mir fiel nicht einmal dieser Tropfen auf die Erde. Wenn ich aber bei Tage meine Augen mit dem Elend quälte, dann schien das kleinste bisschen Hilfe so wichtig und so zwingend. Das Elend zu sehen und sich einzubilden, nicht helfen zu können, erkannte ich bald als Selbstbetrug.
DER MUT EINER UNWISSENDEN
Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, warum wir hier waren. Wenn es um Solidarität ging, warum halfen wir denen nicht, die in der allergrößten Armut vegetierten. So wie diese Hoffnungslosen Opfer unverständlicher Fehlentscheidungen waren, so wurde ich mehr und mehr Opfer meines Gewissens. Ich hatte nichts dagegen, dass wir Frauen seit Anbeginn unseres Aufenthaltes allerlei Solidaritätsgeschenke bastelten, dass wir nähten und strickten. Dass wir Kuchen buken und Säfte kochten, wenn es ein Kinderfest in der Stadt oder in einem großen Betrieb auszugestalten galt. Ich hatte auch nichts dagegen, einigen Leuten aus der Stadt all das abzugeben, was uns aus der staatlichen Versorgung geboten wurde, aber nicht unserem Geschmack entsprach. Das betraf unseren angolanischen Freund Marco ebenso wie die junge Frau, Dida, eine aus der Putzkolonne für das Treppenhaus des Laureano. Marko war eines Abends zu Arne gekommen, weil er einen Brief aus der DDR übersetzt bekommen haben wollte. Marko war eins Basketball-Spieler bei der angolanischen Nationalmannschaft. Nach einer schweren Verletzung wurde er in Bad Saarow geheilt und unterhielt noch immer Briefverkehr mit Schwestern und Ärzten. Er hatte zu uns großes Vertrauen, und bisweilen erwartete er auch, etwas geschenkt zu bekommen.
Dida hingegen brachte immer das kleinste ihrer vielen Kinder mit zu Arbeit, und bisweilen saß das kaum einjährige auf dem puren Beton und knabberte an einem rohen Fisch herum, was mir einen Stich bis unter die Kopfhaut versetzte. Warum sollte ich nicht auch Dida etwas von dem abgeben, was wir ohnehin nicht selbst aßen.
Ich konnte auch all den Leuten, die zum Tauschen in unser Haus kamen, abgeben, was ich erübrigen konnte. Der Gegenwert war maximal etwas Handgeschnitztes oder frische Gartenfrüchte, zu denen wir ansonsten keinen Zugang hatten. All diese Leute litten nicht so, wie die Elenden im bairro in unvergleichlicher Weise zu leiden hatten.
Die simple Einsicht, durchaus Gutes zu tun, aber nicht an der notwendigsten Stelle, nagte an mir.