Wind über der Prärie. Regan Holdridge
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„Jetzt geht’s noch ein letztes Mal durch die Stadt“, sagte Hardy Retzner auf Deutsch mit breitem, österreichischen Akzent. „Und dann heißt es endgültig ‚Lebewohl!‘“
„Sie werden doch nicht sentimental werden?“, fragte Friedrich streng, doch es gelang ihm nicht recht, seine eigenen Gefühle unter Kontrolle zu halten. Auch er verspürte einen Abschiedsschmerz im Herzen. Wenn er ehrlich war, hätte er nichts dagegen einzuwenden gehabt, hierzubleiben, doch ihr Ziel hieß Westküste. Nur deswegen war er in dieses fremde Land gekommen, deshalb hatte er Deutschland den Rücken gekehrt.
Sie gingen nun hinter dem Wagen und seine Augen wanderten hinüber zu seiner Tochter, die eifrig voranstapfte. Er sah sie zum ersten Mal an diesem Tag – er stutzte.
„Was...?“ Mit drei schnellen Schritten stand er bei ihr und packte sie unsanft am Arm. „Was, in aller Welt, trägst du für fürchterliche Sachen?“, zischte er wütend, damit nur sie ihn verstehen konnte. „Woher hast du dieses...dieses sündige Zeug?!“
Selbstbewusst warf Julie den Kopf zurück. Nur sie selbst wusste, wieviel Mut ihre Worte sie kosteten: „Ich trage praktische Kleidung zum Laufen, Vater!“
„Die anderen Frauen, die keinen Platz mehr auf einem Wagen gefunden haben, können sich auch anständig anziehen!“ Ein ungeheurer Zorn ergriff von Friedrich Besitz. Er schüttelte seine Tochter heftig, ohne zu merken, dass die Gespanne an ihnen vorbeizogen und sie zurückblieben. „Sofort wirst du in den Wagen klettern und dich umziehen!“
„Nein!“, rief Julie trotzig. Sie fühlte sich tief verletzt von der Behandlung durch ihren Vater, die alle anderen nun mitbekamen. „Wenn ich diese Sachen nicht tragen darf, gehe ich keinen Schritt weiter, sondern bleibe hier! Ich kann selbst entscheiden, was ich anziehe und was nicht! Ich bin in deinen Augen immerhin erwachsen genug, dass du mich verheiraten willst!“
Friedrich starrte sie einen Augenblick fassungslos an. Noch nie hatte sie es gewagt, so mit ihm zu sprechen! Wutentbrannt und völlig außer sich hob er den Arm. „Du wirst es nicht noch einmal wagen, so mit deinem Vater zu sprechen!“
Erschrocken wollte Julie dem Schlag ausweichen, doch jemand anderer kam ihr zuvor. „Bitte, Pastor!“ Geistesgegenwärtig packte Hardy Retzner Friedrich am Handgelenk. „Das ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt! Wir müssen weiter!“
Die beiden Männer wechselten einen langen, herausfordernden Blick.
„Bitte, Pastor“, sagte der Österreicher noch einmal. „Wir haben keine Zeit für solche Kleinigkeiten!“
Einen Moment schien es, als würde sich Friedrichs Zorn nun gegen ihn richten, doch schließlich gab er nach. „Sie haben recht!“, stieß er, nur schwer beherrscht hervor. „Lass uns das heute Abend klären, wenn wir lagern. Wir sollten uns, glaube ich, wirklich beeilen!“
Längst waren fast alle anderen Wagen an ihnen vorbeigefahren und um die scharfe Linkskurve des Weges, hinter den ersten Häusern, verschwunden. Sie fingen an zu laufen, dann zu rennen, um ihren eigenen wieder einzuholen. Auf der Hauptstraße hatten sich rechts und links Neugierige versammelt, um den Abzug der Siedler zu verfolgen. Einige winkten, andere standen einfach nur da und schauten. Außer Atem erreichten Friedrich, Julie und Hardy Retzner ihrn Planwagen, wo Luise sie bereits aufgeregt empfing.
„Wo steckt ihr denn? Wir haben uns schon Sorgen gemacht! Um Gottes Willen, Juliane! Wie siehst du denn aus? Friedrich, unternimm etwas! Sie kann doch so nicht herumlaufen!“
„Später!“, rief ihr Mann und seufzte resigniert. „Nicht jetzt!“ Er rückte sich seinen breitkrempigen, schwarzen Hut zurecht und stellte auf einmal fest, dass es aufgehört hatte zu regnen.
Doktor Stankovski und seine Frau hatten sich vor dem Praxisgebäude eingefunden und winkten. Als sie Doktor Retzner erblickten, eilten sie ihm entgegen und drückten ihm einen großen, verschlossenen Korb mit Proviant in die Hände.
„Für Sie, mein Lieber!“, versicherte der alte, grauhaarige Arzt. „Möge Gott Sie beschützen auf all Ihren Wegen und mögen Sie dort ankommen, wo Sie es sich wünschen!“
„Vielen, vielen Dank!“ Der junge Österreicher hatte Mühe, seine Rührung zu verbergen. Er lächelte. „Das wäre doch nicht nötig gewesen!“
„Reden Sie nicht“, meinte Doktor Stankovski. „Schauen Sie lieber, dass Ihr Wagen nicht ohne Sie die Stadt verlässt!“
„Oh, ja, natürlich!“ Hardy Retzner reichte ihm kurz die Hand, danach der Frau und dann musste er fort, wenn er nicht wollte, dass sie sahen, wie er gegen die Tränen ankämpfte. Sie waren in den wenigen Wochen so herzlich zu ihm gewesen, hatten ihn behandelt wie ihren eigenen Sohn und das, obwohl er bis heute kein vernünftiges Wort Englisch zustandebrachte. Wie sollte er ihnen das je vergessen?
Er wandte sich um und eilte hinter den vorbeiziehenden Wagen her, deren eisenbereifte Räder tiefe Rillen in der aufgeweichten Erde der Hauptstraße hinterließen.
Der Treck rollte durch die Stadt, an den Häusern vorbei und den Menschen, die darin lebten. Hugh hielt die Zügel fest in der Hand. Es war ihm nicht recht, dass Julie anstatt seiner jetzt nebenher laufen musste, aber es half nichts. Er selbst war dazu nicht in der Lage, dazu fehlte ihm einfach noch die Kraft nach der schweren Erkrankung. Auf einmal stellte er fest, dass sie auf Höhe des einen, bestimmten Saloons angekommen waren. Eine Gruppe Mädchen stand davor und beobachtete die vorbeiziehenden Wagen. Seine brauen Augen glitten hastig über sie hinweg und fanden, wonach sie suchten. Suzie lächelte und schwenkte ein buntes Taschentuch. Vorsichtig, kaum merklich und nur für sie verständlich hob er kurz die Finger seiner linken Hand. Sie nickte ihm zu, ihre Blicke trafen sich ein letztes Mal und dann waren sie vorüber, der Saloon lag hinter ihnen. Hugh schluckte und starrte regungslos geradeaus. Er registrierte, dass seine Mutter neben ihm redete, doch er hörte ihr nicht zu. Sein Kopf schwirrte. Er hatte sie lieb gewonnen, sehr lieb sogar. Suzie, dachte er und musste lächeln. Erinnerungen an erregende, befriedigende Nächte drängten sich in seine Gedanken, doch er zwang sie zurück. Niemals würde er sie vergessen, das wusste er, aber ebenso war ihm bewusst, dass er sie vermutlich niemals wiedersehen würde. Zu weit lag Oregon entfernt und irgendwann würde er ein anderes Mädchen heiraten und dann war sie nichts mehr, außer einem schönen, prägenden Erlebnis aus seiner Vergangenheit. Sie war eine gute Lehrerin in Sachen Liebe gewesen, doch schon jetzt begann ihr Bild zu verblassen, bis sie nur noch ein nettes, verschwommenes Bild in seiner Erinnerung darstellte. Genau, wie diese Stadt, in der sie einige Wochen verbracht hatten und die nur eine Zwischenstation vor ihrem eigentlichen Ziel war, vor dem Land, ganz im Westen, das Oregon genannt wurde.
Der Treck
Die ersten dreizehn Tage regnete es beinahe ohne Unterlass und zwischendurch fiel in höheren Lagen sogar Schnee, wobei ein eisiger Wind blies, je näher sie den Rocky Mountains kamen. Wie weit sie auch vorwärtsdrangen, die dunklen Wolken schienen sie zu verfolgen und nicht aufhören zu wollen, ihnen das Leben schwerzumachen. Endlich, am Abend des vierzehnten Tages, als sie in einem kleinen, grünen Tal ihr Lager aufschlugen, durch das ein schmaler Bach floss, der an einigen Stellen über die Ufer getreten war, hörte es auf und die Sonne kam zum Vorschein.
„Seien wir lieber froh, dass wir nicht eingeschneit worden sind“, kommentierte Hardy Retzner in seiner eigenen, trockenen Art und zog sich den feuchten Regenmantel aus. „Sauber sehen wir alle miteinander aus!“
Julie blickte an sich hinab und musste ihm stumm rechtgeben.