Wind über der Prärie. Regan Holdridge
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„Übermorgen?“, fragte Julie und ein Schreck durchfuhr sie. Sie fasste Doktor Retzner am Handgelenk. „Aber...was wird aus Hugh? Er wird eine solche Anstrengung noch nicht schaffen!“
Der Österreicher seufzte tief, während sich seine Stirn in bedenkliche Falten legte. „Wir müssen den Frühling und den Sommer nutzen, um so weit als möglich vorwärts zu gelangen.“ Er überlegte kurz. „Er wird im Wagen mitfahren müssen und jemand anderer wird seinen Platz einnehmen und zu Fuß gehen...“
„Das werde ich tun!“, entschied Julie sofort. „Nikolaus ist zu klein und Mutter hält das auch nicht durch, aber, wenn ich meinen Rock anziehe, Sie wissen schon, den zum Reiten und die Stiefel dazu, dann...“
„...dann wird mich Euer Vater vor aller Augen erschießen“, vollendete Doktor Retzner voller Sarkasmus und verzog das Gesicht. „Ich halte das für keine sehr gute Idee!“
„Aber ich!“, rief Julie störrisch und raffte ihre Röcke. „Er wird es einsehen müssen, wenn er nicht Huberts Gesundheit aufs Spiel setzen will oder vielleicht sogar sein Leben und das tut er ganz bestimmt nicht! Niemals! Verlassen Sie sich nur auf mich!“
Doktor Retzner ächzte leise. „Hoffentlich“, murmelte er, nur zu sich selbst. „Hoffentlich täuschen Sie sich da nicht, Julie-Mädchen!“
Diese jedoch hörte ihn nicht mehr, denn sie war bereits losgestapft durch den Morast und die Pfützen, zurück Richtung St. Louis, um ihren Eltern und Brüdern die Nachricht zu verkünden, sofern Friedrich und Nikolaus schon zu Hause waren. Und dann würde sie in die Praxis laufen und ihre Lieblingskleidung waschen. Oh, wie freute sie sich! Raus aus diesen unpraktischen, nervtötenden Unterröcken, die nur schwer und umständlich waren und andauernd im Weg umgingen! Raus aus diesen Schnürstiefeln, die so unbequem waren, dass sie sie geradezu verteufelte! Ha, was würden ihre Eltern für Augen machen! Sie in einem knöchellangen Reitrock, der zwischen den Beinen wie Hosen getrennt war, und dazu in Cowboystiefeln – nie zuvor hatte sie erfahren, welch herrliche Freiheit solche Kleidung bedeutete. Welch entzückende Aussichten! Julie strahlte in sich hinein. Entschlossen schritt sie vorwärts. Jawohl, überraschen würde sie ihre Familie! Übermorgen früh würde sie eher aufstehen als die anderen und wenn sie dann nachkamen – voilá! Was würden sie für Augen machen! Das Risiko einer Bestrafung würde sie auf sich nehmen. Diesmal stand sie auf der vernünftigen Seite, auf der des Siegers und sie würde gewinnen! Dieses Mal würde sie nicht dulden, dass ihr Wille gebrochen wurde, diesmal nicht!
Schon in aller Früh am nächsten Morgen, kaum, dass es hell genug war, um die Hand vor Augen erkennen zu können, erklangen die ersten Hammerschläge von der Scheune her. So gut wie alle Pferde benötigten neue Hufeisen und Miklós und ein weiterer Ungar hatten alle Hände voll zu tun, wenn sie bis zum Abend damit fertig werden wollten. Die beiden waren die einzigen, die dieses Handwerk gut genug beherrschten, um die Pferde für die lange, unvorstellbar harte Reise vorzubereiten. Auch viele der restlichen Auswanderer, die bisher nicht zu ihnen gehört hatten, machten sich daran, ihre Kutschen auf Vordermann zu bringen und ihre Zelte abzubrechen, in denen sie die vergangenen Wochen zugebracht hatten. Sie wollten sich ihrem Treck anschließen und nicht länger in St. Louis herumsitzen und auf den nächsten warten. Vor allem die Leinenstoffe der Planwagen hatten mit all der Nässe an manchen Stellen Risse und Löcher bekommen, die geflickt werden mussten. Die Räder brauchten Schmiere und die Geschirre der Pferde mussten gereinigt und gefettet werden.
Doktor Retzner packte seine Instrumente zusammen und verabschiedete sich von seinem Kollegen Stankovski, der ihn nur äußerst ungern ziehen ließ. Außerdem steckte er Julies frisch gewaschenen Reitrock und die glänzend geschrubbten Stiefel ein, um sie ihr zu bringen, auch, wenn er es noch immer für keine sehr glückliche Idee hielt. Danach würden Friedrich und Nikolaus ihn bei den Mulis und dem Wagen brauchen und somit wäre der restliche Tag damit zugebracht, ihre Weiterreise vorzubereiten.
Die Stunden flogen dahin, bald wurde es Mittag, dann Abend. Ein kalter Wind kam auf und trieb dunkle Wolken über sie hinweg, ehe die Dämmerung einsetzte und auch die letzten Verbliebenen ihre Arbeiten einstellen mussten. Ein letztes Mal half Nikolaus beim Misten der Ständer, was ihn ein wenig traurig werden ließ. Auch Miklós schwieg an diesem Abend und erzählte keine seiner Geschichten.
Friedrich und Hardy Retzner kontrollierten noch einmal die Waagscheite und Deichsel ihres Wagens, ehe sie sich auf den Weg zum Pfarrhaus und zum Abendessen machten. Diese Nacht würde der Österreicher bei ihnen in der Küche schlafen, damit er keinesfalls den Aufbruch verpasste. Die beiden Männer schlenderten nebeneinander her, jeder in seine Gedanken versunken. Hier und dort brannte eine Lampe vor einem der Häuser, ansonsten herrschte eine geradezu andächtige Stille, als wüsste jeder in der Stadt, dass es nun erstmal wieder ruhiger werden würde, ohne die Neuankömmlinge vor den ersten Häusern. Allerdings würde der Zustand nicht lange andauern und bald würden die nächsten Trecks aus dem Osten die letzte Station vor dem unendlich erscheinenden, ungezähmten Westen der Vereinigten Staaten erreichen und alles würde wieder von vorn beginnen: Einige wenige blieben, doch die meisten zog es weiter, in der Hoffnung, auf bessere Bedingungen oder Bodenschätze, auf ein Stück gutes Land, eine eigene Ranch.
„Heute hat dieser Charlie schon die erste Rate, wie er es nennt, kassiert“, bemerkte Friedrich auf einmal und verschränkte die Hände auf dem Rücken.
„Die Rate?“, fragte Doktor Retzner ahnungslos. „Wofür eine Rate?“
„Na, seinen Lohn dafür, dass er uns weiter nach Oregon bringt!“, erwiderte Friedrich ungeduldig und schüttelte kurz den Kopf über so viel Begriffsstutzigkeit. „Für den Weg, der uns noch bevorsteht, damit er auf uns achtet, damit uns nichts zustößt! Allmählich frage ich mich, ob wir diesen Trail nicht auch alleine gefunden hätten!“
„Ah, geh!“ Der Österreicher machte ein ungläubiges Gesicht. „Das kann er doch nicht machen!“
„Natürlich kann er!“, entgegnete Friedrich. „Oder denken Sie, er bringt uns zu seinem Vergnügen über die Rocky Mountains? Nein, nein, schön wäre es gewesen!“
„Wieviel wollte er denn?“
„Fünf Dollar pro Familie!“ schnaubte Friedrich entrüstet. „Stellen Sie sich vor, fünf Dollar! Wenn Hubert nicht das Geld bei der Eisenbahn verdient hätte...gar nicht auszudenken!“
„Da werden wohl einige Siedler auf halber Strecke liegenbleiben oder sie stehen bei diesem Herrn in der Kreide“, kommentierte Doktor Retzner trocken.
„Ich hab’ einem jungen Ehepaar aus Norwegen ebenfalls die Rate bezahlt“, erzählte Friedrich bedacht. „Sie hätten sonst wohl ihren Wagen verkaufen und damit entweder hier zurückbleiben oder zu Fuß gehen müssen.“
Hardy Retzner räusperte sich. „Das würde ich wohl Ihrem Beruf zuschreiben.“
„Wie darf ich das verstehen?“
„Nun, ich hätte es ihnen nur gegen einen schriftlichen Vertrag geliehen!“
Friedrich stieß ein verächtliches „Pah!“ aus. „Das ist typisch Mediziner! Kein Vertrauen in die Menschheit und die Ehrlichkeit der einfachen Leute!“
Doktor Retzner wollte protestieren, doch er kam nicht dazu, weil Friedrich ihn ruckartig am Oberarm fasste. „Sagen Sie mir die Wahrheit, Hardy, die ganze Wahrheit. Ich werde sie Luise nicht verraten, sie würde sie vermutlich nicht verkraften, aber ich will es wissen, ich muss es wissen!“ Die beiden Männer schauten sich fest