Wind über der Prärie. Regan Holdridge

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Wind über der Prärie - Regan Holdridge

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konnte und was er in der Praxis bereits liegen hatte und somit entbehren konnte.

      „Ich...ich bin nicht sehr weit gekommen“, gab sie gedehnt zu. „Dann hat meine Mutter mir verboten, weiterzulesen.“

      „Hmm“, machte Doktor Retzner und kratzte sich nachdenklich am Hals. Er hatte befürchtet, dass ihre Eltern auf diese Art reagieren würden oder womöglich noch schlimmer, wenn sie den Inhalt des Buches genauer betrachteten, aber es half nichts. Wenn sie über die natürlichsten Vorgänge in ihrem Leben nicht Bescheid wusste und keine Ahnung hatte, was in ihrem Körper vor sich ging, konnte er sie auch nicht zu einer Gebährenden schicken.

      „Also gut“, meinte er schließlich. „Dann lassen Sie uns das gemeinsam ansehen. Ich verstehe die Bedenken Ihrer Eltern. Unter normalen Umständen dürften Sie dieses Buch tatsächlich nur dann lesen, wenn Sie bereits verheiratet wären und ein Kind bekommen hätten. So jedenfalls ist es bei uns geregelt: Keine Frau darf eine Ausbildung zur Hebamme machen, wenn sie nicht weiß, wovon sie spricht und das, nun...“ Er hüstelte und rang um die richtigen Worte. Es wäre tatsächlich einfacher gewesen, wenn sie zumindest im Ansatz wüsste, was zwischen Männern und Frauen alles vor sich ging. „Nun ja“, fuhr er schließlich fort. „Dies hier sind besondere Umstände, in diesem Land ist alles ein wenig anders und die medizinische Versorgung ist längst nicht so gut gewährleistet, wie in der alten Heimat. Da kann man nicht immer darauf Rücksicht nehmen, was eine junge, unverheiratete Frau wissen darf und was nicht.“

      Bereitwillig und neugierig zugleich öffnete Julie die Tasche und holte das dünne Buch heraus. Das schien ja ein ganz schwieriges Thema zu sein, wenn sogar er ihr eine derartige Rede hielt! Sie reichte es Doktor Retzner, der kurz darin blätterte und die entsprechende Seite aufschlug.

      „Hier“, sagte er und schob es ihr auf dem Behandlungstisch zu. „Das hier müssen Sie wissen.“

      Julie betrachtete die beiden, auf der Doppelseite abgebildeten Zeichnungen und schluckte, peinlich berührt – sie stellten eine nackte Frau und einen nackten Mann dar, doch in ihrem Bäuchen waren seltsame Kringel und Kreise und Linien eingezeichnet.

      „Das da“, fuhr Doktor Retzner im sachlichen Tonfall eines strengen Schulmeisters fort, „ist das, was diese Menschheit nicht aussterben lässt – die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane.“

      Regungslos starrte Julie auf die Abbildungen. Sie wagte weder, den Blick zu heben, noch richtig zu atmen. Sie kaute auf ihrer Unterlippe und wartete. Hier öffneten sich ihr ganz neue Ansichten über das Leben und die Dinge, die darin geschahen. Sie spürte, wie nervös Hardy Retzner mit jedem weiteren Satz wurde und hoffte, er würde nicht doch von seiner Idee abkommen, sie in die tiefsten Geheimnisse der Menschheit einzuweihen.

      Der Doktor griff zu einem Bleistift und deutete auf jedes einzelne Organ, das in den beiden Körpern eingezeichnet war. Er benannte sie beim Namen und erläuterte ihre Funktion und mit jeder Minute, die verstrich, glaubte Julie, verschlimmerte sich ihr Schwindel. Sie tastete nach dem Behandlungstisch, um sich daran festzuhalten. Ihr Herz schlug laut und deutlich unter ihren Rippen, während Doktor Retzners Worte mehr und mehr Licht in den unerfindlichen Vorgang des Kinderkriegens brachte.

      „Waren Sie je dabei, wenn Ihre Mutter eines ihrer Geschwister zur Welt gebracht hat?“, fragte er plötzlich.

      Irritiert hob Julie den Kopf. Seine sanften, grünen Augen betrachteten sie mit einem verständnisvollen Lächeln.

      „N...nein“, stotterte sie zerstreut und räusperte sich. „Wir sind immer zu Nachbarn geschickt worden, bis...bis sie gesagt haben, der Klapperstorch wäre da gewesen.“

      „Der Klapperstorch!“ Doktor Retzner lachte leise auf.

      Julie atmete tief durch. Sie wusste beim besten Willen nicht, wie sie auf dieses neue Wissen reagieren sollte. Nun wurde ihr auch endlich klar, weshalb ihre Mutter zuerst immer einen solch dicken Bauch bekommen hatte. Die Kinder wurden nicht einfach vor der Türe abgelegt. Sie kamen auf ganz andere, ganz natürliche Weise zu Welt – wie alles ganz natürlich war, was mit dem menschlichen Körper zusammenhing. Sie schüttelte kurz den Kopf. Ihre Unsicherheit schwand allmählich und dafür erwachte das wissenschaftliche Interesse an diesem Thema in ihr. Weshalb war das so und nicht anders? Warum hatte die Natur es genau auf diese Weise eingerichtet?

      „Eigentlich ist das sehr ungerecht“, sagte sie schließlich, nach einer langen Pause, und schaute Doktor Retzner fest in die Augen. „Wir Frauen müssen die ganze Arbeit leisten.“

      Einen Augenblick verschlug es ihm die Sprache über so viel Nüchternheit und Sachverstand, dann lächelte er. Was konnte er darauf schon erwidern? Sie sprach die Wahrheit, mit ihrem unschuldigen, vielleicht ein wenig naiven und kindlichen Vorstellungen von Liebe und Glück.

      „Ja, das stimmt.“

      „Und diese Blutungen, alle paar Wochen, die haben auch damit zu tun, nicht wahr?“, fragte sie jetzt, ohne Hemmungen. Sie wollte mehr über das erfahren, was sich in ihrem Körper abspielte. Sie wollte wissen, was dort vor sich ging und weshalb.

      „Richtig“, bestätigte Doktor Retzner in stiller Bewunderung. Jedes andere Mädchen wäre vielleicht beschämt nach Hause gelaufen, nach allem, über was er jetzt gesprochen hatte, aber sie nicht, nein, nicht Julie Kleinfeld. Sie war anders, offener und mit einem gesunden Menschenverstand ausgestattet und an allem interessiert, was sich ihr an neuen Erkenntnissen bot.

      „Wenn eine Frau diese Blutungen einmal nicht mehr bekommt, eine verheiratete Frau, meine ich“, fügte er schnell hinzu, „kann sie mit großer Sicherheit davon ausgehen, guter Hoffnung zu sein.“

      „Aha!“, machte Julie und betrachtete die beiden Zeichnungen. Sie konnte sich zwar beim besten Willen nicht vorstellen, wie ein Säugling durch diese winzige Öffnung aus einer Frau hinauskommen sollte, doch es schien ganz offensichtlich recht gut zu funktionieren. Sie überlegte.

      „Haben Sie das alles begriffen?“, wollte Doktor Retzner wissen.

      Julie legte den Kopf schief. „Nun ja“, begann sie zögernd. „Fast alles.“

      Er lächelte ihr ermutigend zu. „Sie können mich alles fragen, Julie-Mädchen! Was haben Sie nicht verstanden?“

      „Um ganz offen und ehrlich zu sein...“ Sie zog unangenehm berührt die Schultern hoch. Es kostete sie einige Überwindung, ihre Frage auszusprechen. Mit jedem Tag der vergeht, dachte sie, versündige ich mich mehr und irgendwann werde ich meinen Eltern nicht mehr in die Augen sehen können. Laut jedoch sagte sie: „Sie haben mir zwar erklärt, wie das Kind in der Gebärmutter heranwächst...“ Sie brach ab.

      „Aber?“, hakte Doktor Retzner vorsichtig nach. Er wollte sie nicht drängen und gleichzeitig verlangte sein nüchterner Verstand von ihm, ihr schonungslos alles zu erzählen, auch, wenn er damit vermutlich den Zorn ihrer Eltern auf sich zog, sollten sie es herausfinden. In seiner Überzeugung allerdings besaß auch ein Mädchen das Recht, über die natürlichsten Vorgänge der Menschheit zu erfahren – ganz gleich, in welcher Position die Kirche dazu stand.

      Julie schluckte. Es kostete sie einige Überwindung, es auszusprechen. „Aber...nun ja, was ich nicht verstehe ist, wie es dort überhaupt hineinkommt!“

      Er erstarrte. Er hatte diesen Punkt absichtlich ausgelassen, in der Hoffnung, sie würde sich die logische Folgerung selbst zusammenreimen. Offenbar tat sie das nicht, konnte es vermutlich auch gar nicht. Er stieß einen tiefen Seufzer aus. Es half nichts, er musste sie darüber aufklären. Er konnte ihr das nicht vorenthalten, wollte er sie nicht bei einer der Frauen in eine peinliche Situation

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