Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser. Gerstäcker Friedrich
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„Der Henker soll die Küste holen!“ brummte der Steuermann; „weiß es Gott, da ankere ich lieber hier mitten im Kanal.“
„Bei der Mark elf!“ schrie der Mann vorn.
„Elf?“ fuhr der Kapitän empor; „was ist das – bist du gewiss? – Steht klar bei eurem Anker da vorn.“
„Alles klar, Kapitän!“ rief der zweite Steuermann zurück.
„Bei der Mark sieben!“
„Nieder mit eurem Anker!“ gellte der schrille Ruf des Kapitäns über Deck, und zu gleicher Zeit rasselte die Kette donnernd durch die Klüsenlöcher. In demselben Augenblick aber auch, und noch ehe der Anker den Grund erreicht haben konnte, zitterte das Schiff bis in seinen Kiel hinab von dem furchtbaren Stoß, den es erhielt, und der Kapitän musste sich an den Kompasskasten halten, um nicht vorn überzustürzen.
„Heiliger Gott, wir sind verloren!“ schrie eine Stimme vom Bug aus, und eine See wusch hochaufbäumend an dem gestrandeten Schiff über Deck und schleuderte ihre Flut in die noch offenen Luken des Zwischendecks hinab.
Ein gellender Wehschrei antwortete von dort her, und in der nächsten Minute stürzten die halb entkleideten Passagiere aus Kajüte und Zwischendeck jammernd und wehklagend an Deck.
„Wir sind verloren – wir sind verloren!“ tönte der gellende Ruf von den bleichen Lippen, und Männer, das, was sie gerade im ersten Augenblick gefasst, Frauen, ihre Kinder auf dem Arm oder an den zitternden Händen, drängten dem höher gelegenen Quarterdeck zu, um Rettung, Hilfe von dem Kapitän zu erflehen.
„Die Luken zu – hinunter mit Euch!“ schrie dieser aber, der rasch seine Geistesgegenwart wiedergewonnen hatte, als eine neue Woge sich an der Seitenwand des Schiffes brach und ihre Flut die steilen Zwischendeckstreppen niederwusch – „die Luken zu – wir füllen sonst das Schiff – hinunter mit den Passagieren, sag' ich!“
Ja, der Befehl war wohl gegeben, aber wie auszuführen? – Nicht allein die eindringende Flut, sondern auch die wiederholten Stöße, die das seinem Untergang geweihte Schiff erhielt, und die es dermaßen erschütterten, dass sich weder Passagiere noch Matrosen auf den Füßen halten konnten, weckten auch den festesten Schläfer aus seinem Schlummer und donnerten ihm die furchtbare Wirklichkeit in das betäubte Ohr: – wir sind verloren! Wieder ein Stoß, der mit einer Wucht gegen den Kiel traf, als ob die Planken voneinander bersten müssten, und schäumend, schmetternd wälzten die mehr und mehr emporgerüttelten Wogen über Deck, wieder und wieder einzelne der Passagiere, die sich nach oben retten wollten, von den Treppen hinunterwaschend. Die Matrosen suchten jetzt die Klappen auf die Luken zu werfen, die übersteigende See zu verhindern, hineinzuschlagen, aber der von den Passagieren hatte noch ein Kind unten, der eine Schwester oder Mutter, und die Leute, in der Verzweiflung des Augenblicks ihrer Sinne kaum mächtig, warfen die Matrosen zurück und hielten den Eingang frei und offen.
„Sie wollen uns nicht herauf lassen – da unten sollen wir ersaufen und ersticken, während sie sich in den Booten retten!“ schrien sie dabei. „Nein, die Boote nieder – wir haben unsere Passage bezahlt – wir müssen ins Land gesetzt werden. Herr Kapitän, um Gottes willen, die Boote nieder!“
Der Kapitän hatte indessen mit vollkommener Ruhe die Wassertiefe um das Schiff her untersuchen lassen, und es blieb bald keinem Zweifel mehr unterworfen, dass sie auf einer weiten gleichhohen Sandbank aufsaßen, wo sie nicht hoffen durften, so bald wieder frei zu kommen. Ja, im Gegenteil schien die Bank in Lee höher, als zu windwärts, und jeder Stoß, den das unglückliche Schiff von den anprallenden Wogen bekam, setzte es höher und fester hinauf.
Die Passagiere, die jetzt über Deck schwärmten, ließen endlich, da sich keiner weiter von ihnen im untern Raum befand, die Luken schließen, die untersuchten Pumpen ergaben aber gleich darauf sieben Fuß Wasser im Raum; das Schiff hatte jedenfalls bei den furchtbaren Stößen einen Leck bekommen, und Rettung schien jetzt nur in den Booten möglich.
Aber, guter Gott; wie waren die zu benutzen? Die kleine Jolle hing allerdings unter den eisernen Krahnen, aber Dollen und Ruder fehlten und konnten in der jetzt herrschenden Verwirrung gar nicht gleich gefunden werden, und das große Boot, die sogenannte Barkasse, stand mitten auf Deck und musste erst mit Flaschenzügen über Bord gehoben werden.
Die Verwirrung, die indessen unter den Passagieren herrschte, war furchtbar; ein Teil von ihnen riss die Luken wieder auf, hinunter zu klettern und das im ersten Schreck unten vergessene Geld heraufzuholen und zu retten; Andere lagen auf den Knien und beteten und weinten. Die Frauen drängten, mit ihren Kindern auf dem Arm, der Kajüte zu, den Kapitän anzuflehen, nur diese, nur die Kleinen zu retten, und wieder andere standen, an irgend ein Tau oder Holz geklammert, in stumpfer, starrer Verzweiflung da, ließen die Sturzwellen über sich hinübergehen und sahen mit stierem Blick hinaus über die anstürmenden Wogen, die mit immer wachsender Kraft wieder und wieder gegen das Wrack anschmetterten und es wild und heftig auf die Sandbank aufstießen. Konnten doch in jedem Augenblick seine Rippen brechen und in Trümmer auseinander bersten.
„Heiliger Gott, Du wirst doch nicht wollen, dass wir hier so elend umkommen sollen!“ schrie eine Frau, die, ihre zwei Kinder fest an sich gedrückt, auf den Knien lag und mit einem umklammerten Tau sich vor dem Werfen des Schiffes zu schützen suchte. Da bäumte eine See, stärker als eine der vorigen, an dem Starbordbug des Fahrzeugs aus und riss, niederschlagend, die Kombüse und einen Teil der Wasserfässer, wie die ganze vordere Schanzkleidung des Larbordquater mit über Bord. Zehn oder zwölf Menschen, die sich dort angeklammert hatten, wurden ebenfalls mit in die See gewaschen, und ihr Wehgeschrei schlug dumpf und entsetzlich an das Ohr der noch Lebenden, denen sie vergebens die Arme nach Hilfe entgegenstreckten. Auch die Frau war von der Woge erfasst und an die andere Seite des Schiffes geschleudert worden, wo sie sich wieder festklammerte – aber ein Kind fehlte ihr, und ihr gellender Hilfeschrei übertönte selbst den Sturm. Eine neue Woge brach mit solcher Kraft gegen die Seitenwand des Wracks an, dass sie das Schiff ganz auf die Seite warf, und nur die strenge Disziplin an Bord eines Schiffes konnte noch einen Teil der Matrosen zusammenhalten, den Befehl des Kapitäns Folge zu leisten und die Barkasse klar zu machen.
„Hurrah, hurra!“ schrie in dem Augenblick der Koch, der – mit dem vollem Bewusstsein, nach der Flucht des Klabautermanns doch hier unterzugehen und zu ersaufen – in die ihm bekannte Vorratskammer der Kajüte geschlichen war und jetzt mit einem kleinen Anker Rum unter dem Arm auf dem Larbordgangweg hin nach vorn sprang, um seine Beute mit den Matrosen und den Passagieren zu teilen – „hurra, Jungens, hier ist der Stoff, der uns aus dem Wasser hilft; hier ist die richtige Mischung mit Salzwasser zu nehmen. Ein Spließeisen her, dass wir den Spund herauskriegen. Hol der Teufel die Boote und den alten Kasten, der Klabautermann ist fort, und die Latten gehen doch in der nächsten Viertelstunde aus dem Leim – hurra, der Rum soll leben!“
„Her mit dem Rum!“ schrien die Matrosen, in wilder Verzweiflung zu dem letzten Mittel greifend, ihre Todesangst zu betäuben, und der Zimmermann hatte rasch mit einem Spließeisen den Korkspund hinein gestoßen, als der Kapitän, ein Enterbeil in der erhobenen Rechten, zwischen sie sprang und aus voller Kraft einen mächtigen Hieb gegen den aufgedrehten und unter dem Schlag zusammenbrechenden Boden führte.
„Wahnsinnige!“ schrie er dabei, während er zu gleicher Zeit das Fass mit dem Fuße um- und in das dort strömende Seewasser stieß; „wollt Ihr Euch die letzte Möglichkeit rauben, unser Aller Leben zu retten, und wie feige Schufte, die sich vor dem Tode fürchten, in viehischem Trunk vor Euren Gott treten? An die Arbeit mit Euch, die Barkasse in See, und bei dem Himmel dort oben, der jetzt seine Schrecken über uns ausgießt, dem Ersten, der einen weiteren solchen Versuch macht, schlag' ich mit diesem Beil den Schädel ein, wie ich dem Fass den Boden ausgeschlagen habe. – In See mit dem Boot!“