Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser. Gerstäcker Friedrich
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Die Zwischendecks-Passagiere drängten indessen fast sämtlich dem Quarterdeck zu, das gegen den Anprall der Wogen noch am meisten geschützt lag, und herzzerreißend war der Jammer, das Elend der Unglücklichen. Mütter schrien nach ihren Kindern, Gatten nach ihren Weibern, und suchten die noch unter den Lebenden, die schon, von den wilden Sturzwellen erfasst, über Bord in ihr Verderben gerissen waren. Gerade die Männer aber, die sonst mit keckem Wort die Gefahr herausgefordert, betrugen sich am mutlosesten, am verzagtesten von Allen. Der Lohgerber, ein großer, starker Mann, mit ein paar Fäusten wie ein Bär, lag, das Gangspill umklammernd, auf den Knien und wimmerte zu Gott um Vergebung seiner Sünden und Rettung aus dieser Not, und der Schneider hing mit beiden Armen in der Starbord-Besanwant und weinte und schluchzte wie ein Kind.
Andere dagegen sahen dem Unvermeidlichen, das über sie hereinzubrechen drohte, mit stillem, entschlossenem Mut entgegen, und unter ihnen der Instrumentenmacher, der sein junges Weib und das zweijährige Kind fest umklammert hielt, sie gegen eine etwaige Sturzsee so viel als möglich zu schützen, während er der an seinem Halse weinenden Frau mit leiser Stimme Mut und Trost einsprach.
Am wildesten gebärdete sich einer der Kajüts-Passagiere – ein Kaufmann Wolf, der, in Unterkleidern aus der Kajüte gestürzt, in wirrer Todesangst kaum mehr wusste, was er tat. Von einem Ende des Decks taumelte er schreiend zum andern, warf sich vor den Matrosen auf die Knie und rief, er dürfe nicht sterben, er habe Geld, viel Geld, und sie sollten ihn retten – er würde sie reich, er würde sie steinreich machen. Die Seeleute stießen den Mann mit Ekel von sich, und winselnd lag er zuletzt lang ausgestreckt und mit dem Schwanken des Schiffs herüber und hinüber rollend auf dem Vordeck, kratzte sich die Nägel blutig an den Planken, raufte sich die Haare und fluchte und betete.
Der Einzige von Allen, der kein Wort sprach, keinen Klageruf, keinen Fluch über die Lippen brachte, war Meier. So ängstlich und besorgt er gewesen, ehe das Unglück geschehen war, so ruhig betrug er sich jetzt und trat zwischen die Matrosen hinein, um die von dem Kapitän gegebenen Befehle mit ausführen zu helfen. Er war auch der Erste, der nach oben lief, einen Block an der Rahe zu befestigen, um die Barkasse überheben zu können, und wie das Tau hindurchgebracht und an Deck eingeholt war, stieg er wieder nieder, fasste es auf und sang vor, wie das an Bord Sitte ist, als ob gar nichts vorgefallen wäre und sie sich auf sicherem Schiff draußen in offener See, statt auf einem zertrümmerten, gestrandeten Wrack befänden.
Sein Beispiel wirkte auch ermutigend auf den Rest der Seeleute, die sich über ihren früheren Kleinmut, wie darüber, dass sie jetzt ein Passagier beschämte, ärgerten, und unbekümmert um den heulenden Sturm, um die überstürzenden Seen, griffen sie wacker und unverdrossen zu.
Das Aufwinden des Bootes brachte aber eine eigentümliche Wirkung auf die Passagiere hervor. Da war Hoffnung; ein Mittel, eine Aussicht wurde ihnen geboten, das Land zu erreichen, die gefährdeten Planken, die in jedem Augenblick auseinander zu brechen drohten, zu verlassen, und ohne Verabredung, aber still und sicher, ja Jeder in der Angst, dass ihm der Andere zuvorkommen könnte, drängten die Unglücklichen der Stelle zu, wo das Boot über Bord gelassen werden sollte. Nur einmal in dem kleinen Fahrzeug, und sie waren ihrer Meinung nach gerettet.
„Ein Licht – dort ist der Leuchtturm!“ schrie Meier plötzlich, der bei der Arbeit fortwährend sehnsüchtig den Blick dorthin geworfen hatte, wo er Land vermuten musste.
„Ein Licht! – der Leuchtturm! Land!“ jubelten und schrien die Passagiere durcheinander. „Gott sei Dank, Gott sei ewig gelobt und gepriesen, oh, er konnte, er wollte uns nicht verlassen!“
Land? – Guter Gott! Noch eine weite Strecke stürmischer See lag zwischen ihnen und dem rettenden Lande, aber die Schiffbrüchigen begrüßten es, als ob sie den festen Boden schon unter sich fühlten.
Jetzt hob sich die Barkasse, von den starken Tauen getragen und von hundert Händen dabei in krampfhafter Angst gezogen, empor und schwang gleich darauf, durch die schräge Lage des nach Lee zu übergedrückten Schiffes begünstigt, über Bord. Der Kapitän erkannte aber ganz das Gefahrvolle ihrer Lage, wenn sich die Passagiere voll wilder Todesfurcht in das hinuntergelassene Boot, das sie nicht alle tragen konnte, geworfen hätten. Zwischen sie springend, bat und beschwor er sie deshalb, nur erst die Frauen und Kinder hinunter- und überhaupt nicht mehr Menschen hineinzulassen, als möglicher Weise in dem kleinen Fahrzeug sicher gegen die Wogen ankämpfen konnten – umsonst. Es war, als ob wilder Wahnsinn die Unglücklichen erfasst hätte und sie nicht hören wollten.
„Hinunter mit dem Boot!“ schrie und brüllte die Schaar – „hinunter damit – sie wollen uns zurücklassen – die Matrosen wollen sich allein retten – hinunter!“ Und die losgegebenen Taue ließen im nächsten Augenblick das breite, etwas schwerfällige Boot, rücksichtslos ob es schöpfe oder schwimme, auf die Wogen hinunterschlagen. Glücklicherweise kam es, nur wenig Wasser einnehmend, unten auf, und das Fahrzeug selber, in dessen Lee es lag, schützte es die ersten Augenblicke vor den anprallenden Wellen.
Ein Teil der Matrosen hatte indessen Ruder und Segel aufgegriffen und war hineingesprungen, wild und blind folgten ihnen dabei Männer, Frauen und Kinder in furchtbarem Gemisch, als ob sie sich an festes, schützendes Land retteten, und nicht in ein schwimmendes, gebrechliches Boot, das sinken musste, sobald es mehr bekam als es tragen konnte.
„Stoßt ab – kappt die Taue!“ schrien die unten Befindlichen dabei wirr durcheinander, als sich das Boot mit Menschen füllte – „zurück da – es kann Niemand mehr herein!“ – Aber, lieber Gott! was halfen die Rufe, was selbst die Gewalt, mit der sich die im Boot des weiteren gefährlichen Andranges erwehren wollten; die Todesgefahr gab den Schüchternsten Mut und Stärke, und ehe die Matrosen unten im Stand waren, die Taue zu kappen und die Barkasse abzustoßen, war sie bis zum Rand gefüllt. Ja, selbst noch, als sie das Schiff verließ, sprangen Einzelne in die unten kochende Flut, den Bootsrand teils mit den Händen fassend, teils um Hilfe und Rettung die Arme danach ausstreckend. Aber wo war Erbarmen von den selbst Verzweifelten zu hoffen – die Hände der sich Anklammerndem wurden abgeworfen, selbst mit Messern zerschnitten, wo sie sich krampfhaft eingehakt, und im nächsten Augenblick trieb das überfüllte Boot, von den ihm nachstürzenden Wogen gefasst und wild umhergeschaukelt, nach Lee zu.
Der Instrumentenmacher hatte mit seiner jungen Frau und dem Kind unwillkürlich mitgedrängt, dem Boot entgegen, als er sich am Arm gefasst und zurückgehalten fühlte. Wie er sich umsah, stand Meier neben ihm und flüsterte ihm zu:
„Bleibt da – das Boot ist verloren und wird nimmer das Land erreichen.“
„Aber wir hier?“ rief der Mann in Todesangst – „meine Frau, mein Kind –“
„Sind vielleicht auch verloren“, sagte der alte Mann erregt, „aber noch nicht so gewiss, als die da draußen. Wenn Sie meinem Rate folgen wollen, bleiben Sie auf dem Schiff – ich bleibe bei Ihnen.“
„Auf dem Wrack?“
„Immer besser auf einem Schiffswrack auf dem Sand sitzen, als auf den Trümmern eines untergegangenen Bootes draußen in solcher See schwimmen.“
Noch zögernd stand der Mann, als das Abstoßen des Bootes draußen ihm keine weitere Wahl ließ. Zu gleicher Zeit war auch das Kapitänsboot in See gelassen, in das sich die Steuerleute mit einem Teil Matrosen und vier oder fünf Damen aus der Kajüte retteten. Der Kaufmann Wolf war einer der Ersten gewesen, die, rücksichtslos um alles andere, in die Barkasse sprangen.
Der Kapitän, der alte Meier, der Instrumentenmacher mit seiner