Hinter verborgenen Pfaden. Kerstin Hornung

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Hinter verborgenen Pfaden - Kerstin Hornung Der geheime Schlüssel

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war die mit Abstand abgeschiedenste Stadt im gesamten Land Ardea’lia. Eis und Schnee hielten das Hochland im Norden beinahe das gesamte Jahr über fest im Griff. Zwischen weißen Hügeln lag Frig’dal, die Stadt aus Eis. Ala’na war in jungen Jahren einmal dort gewesen und andächtig zwischen den spinnwebzarten Kunstwerken aus Eis entlanggegangen.

      Als sie jetzt die Stadt zum wiederholten Male anrief, fröstelte sie bei dem bloßen Gedanken an die schaurige Kälte dort. Niemand antwortete. Sie versuchte es erneut, der See war heute sehr unruhig, und Ala’na merkte, wie diese Unruhe langsam auf sie übergriff. Sie konzentrierte sich auf das innere Bild, das ihr von der Stadt geblieben war, dann hob sie beide Arme, breitete sie langsam aus, atmete tief ein und rief:

      »Die nördliche Stadt aus ewigem Eis, in den Hügeln und Tälern des Hochlands. Fließendes Wasser und plätschernder Quell klopfe an bei deinem Bruder dem Eis. Zeig mir den Spiegel Ogla’ra!«

      Latar’ria knirschte und knackte. Eiskristalle bildeten sich am Ufer und breiteten bald eine zerbrechliche Eisdecke auf dem See aus.

      »Ala’na ruft den Rat nach Pal’dor …« Das Eis knackte und zersprang mit einem Mal.

      Schwarzes Wasser spritzte aus dem See. Ala’na wich zurück.

      Latar’ria war launisch seit jeher. Verbindungen ins Eis waren noch nie einfach gewesen, aber heute steckte mehr dahinter als bloß der Unwille dieses Wassers, eine feste Form anzunehmen. Etwas wühlte den See auf. Etwas veränderte sich.

      Frig’dal hatte nicht geantwortet, aber zumindest war ihre Nachricht durchgegangen. Auch im eisigen Norden wusste man, dass ein Aufruf zum Rat verbindlich war.

      Regungslos stand Ala’na noch eine ganze Weile vor dem See.

      Es gab viele Dinge, die sie tun musste.

      Als erste Mutter war es ihre Aufgabe, nach dem verletzten Leron’das zu sehen. Er war zwar nicht mit ihr verwandt, aber er hatte an der Seite ihres Mannes gekämpft und gehörte damit zur Familie.

      Sie musste Vorbereitungen für den Rat treffen, ebenso wie für die Geburt auf der Warte.

      Ala’na beschloss mit einem Besuch bei Leron’das zu beginnen, dann konnte sie Rond’taro von ihm berichten, ehe sie das Ratstreffen vorbereitete.

      Ihren Ritt zur Warte würde sie erst einmal verschieben. Jar’jana sollte noch nicht erfahren, dass Rond’taro zurückgekehrt war. Ala’na fürchtete sich davor, Jar’jana die Nachricht von Fari’jaros Tod zu überbringen, und wollte diesen Moment so lange wie möglich hinauszögern.

      Was für ein Tag, dachte sie bei sich. Gestern war alles noch nach Plan verlaufen.

      Jar’jana hatte am Vormittag ihr Abschiedsritual befolgt und war zum höchsten Stand der Sonne auf ihren Weg gegangen. Als sie durch das Sonnentor hinaus in den Wald ging, konnte Ala’na ihre Schritte noch eine Zeitlang verfolgen. Schon am Vortag hatte sie die Aussicht, dass Jar’jana zwei Tage lang alleine im Wald sein würde, mit Sorge erfüllt. Die Veränderungen, von denen der See zeugte, trugen auch heute nicht zu ihrer Beruhigung bei und nun wusste sie auch noch, dass es im Wald von Menschen nur so wimmelte. Es war der denkbar schlechteste Zeitpunkt, um als werdende Mutter im Wald zur Ruhe zu kommen. Dabei hatte gerade Jar’jana diese Ruhe dringend nötig. Die Erwartungen hatten sie stark unter Druck gesetzt.

      In Pal’dor waren in den letzten tausend Jahren kaum zwei Dutzend Kinder geboren worden. Die letzte Geburt lag fast hundert Jahre zurück.

      Ala’na versuchte, ihre treibenden Gedanken zu sammeln. Es gab Dinge, die sie nicht beeinflussen konnte, mahnte sie sich. Sie würde warten müssen, bis die Nachricht von der Warte kam.

      Entschlossen glättete sie ihre Kleider, zupfte die Ärmel zurecht und machte sich auf den Weg, um das zu tun, was sie tun musste.

      Leron’das ging es den Umständen entsprechend gut. Er hatte einige Streifschüsse an Armen und Beinen, die stark geblutet hatten, die allerdings keine große Herausforderung für die Heilkunst Iri’tes darstellten. Um seinen Oberkörper war ein dicker Verband gewickelt. Ein Pfeil hatte seine leichte Jagdrüstung aus Leder an der Schwachstelle unter dem Arm durchbohrt und war tief in seinen Körper eingedrungen. Iri’te hatte den Pfeil entfernen können und die Wunde gereinigt, allerdings musste Leron’das noch einige Tage liegen und sich schonen.

      Als er Ala’na sah, lächelte er tapfer und versuchte, sich in seinen Kissen aufzurichten. Ala’na ließ sich auf seiner Bettkante nieder und nahm seine Hand.

      »Ich danke dir, Leron’das, für deine Tapferkeit«, sagte sie. »Ich danke dir, dass du dein Leben eingesetzt hast, um das deiner Gefährten zu schützen, und ich danke dir, dass du Pal’dor geschützt hast.«

      Leron’das lächelte, aber sein Blick wurde trüb.

      »Ich bedaure, Ala’na, dass ich nicht mehr tun konnte. Viele meiner Gefährten sah ich sterben, ohne sie beschützen zu können. Es tut mir leid, Ala’na, dass ich nicht mehr für Fari’jaro, den Mann deiner Urenkelin, tun konnte.« Leron’das sah eine Weile stumm auf seine grün durchmusterte Decke. »Er starb in meinen Armen. Sein letzter Gedanke galt Jar’jana und dem Kind.« Er seufzte, und Ala’na konnte ein leichtes Pfeifen hören, das seine verletzte Lunge beim Einatmen machte.

      »Ich muss ihr die letzten Grüße und Wünsche ihres Mannes überbringen.« Er sah Ala’na aus großen dunklen Augen an. Tränen schimmerten darin.

      »Jar’jana ist gestern beim höchsten Stand der Sonne auf ihren Weg gegangen. Die Nachricht wird sie erschüttern, und ich bin froh, dass sie heute nicht mehr hier ist. Der Verlust, den sie erleiden muss, trifft auch uns alle tief.«

      Eine ganze Weile sagte keiner von beiden ein Wort. Ala’na betrachtete Leron’das genau. Trotz seiner undurchdringlichen Miene konnte sie deutlich erkennen, wie bewegt er war. Was mochten er und seine Gefährten in den letzten Wochen erlebt haben? Die Hälfte von ihnen war nicht zurückgekehrt, und die restlichen hatten einen gehetzten Ausdruck in den Augen. Rond’taro, das ärgerte sie immer noch, hatte umgehend nach dem Rat verlangt und ihr somit jede Möglichkeit genommen, etwas über den Verlauf seiner Reise zu erfahren, ehe es im Rat zur Sprache kam. Zu gerne hätte sie gewusst, was vorgefallen war.

      Rond’taro neigte nicht zu unüberlegten Handlungen und hätte sich bei dem kleinsten Anzeichen von Gefahr zurückgezogen. Er kannte die Quellenberge wie kaum ein anderer. Jeder winzige Eingang in die weitläufigen Höhlen war ihm vertraut. Die Mehrzahl dieser Höhlen war zudem verschleiert.

      Vor langer Zeit waren die Quellenberge Elbenland gewesen. Als die Elben die alte Heimat Nordarea’lia verließen, um dem Schatten zu entkommen, segelten sie über die Eissee und fanden dieses Land. Sie ließen ihre Langboote durch das Delta des Engelsflusses über den Engelsee und dann weiter stromaufwärts fahren, bis schließlich vor den Quellenbergen das Wasser zu seicht wurde. Hier ankerten sie und erforschten die Berge. Sie nannten sie Re’n Dal und ließen sich in den Tropfsteinhöhlen unter den Bergen nieder. Die Natur hatte hier gigantische Wunderwerke geschaffen, und die Elben taten ihr Bestes, um die selbst gegrabenen Gänge in ähnlicher Schönheit zu gestalten. Die Halle der Erkenntnis und der Große Ratssaal waren Gesamtkunstwerke der Elben und Mutter Natur.

      Allen Elben war damals klar, dass die Höhlen in Re’n Dal nur ein vorübergehender Aufenthaltsort sein konnten. Einige wollten wieder auf das Meer hinaus und weitere Länder entdecken. Andere sprachen davon, in ihre Heimat zurückzukehren. Es gab aber auch viele unter ihnen, die bleiben und sich in diesem Land, das sie Ardea’lia (hügeliges Land) nannten,

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