Hinter verborgenen Pfaden. Kerstin Hornung

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Hinter verborgenen Pfaden - Kerstin Hornung Der geheime Schlüssel

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war wie Quecksilber. Er hüpfte, er rannte, er kletterte auf Bäume und Mauern. Ruhig war er nur, wenn er schlief oder, wenn man ihm eine Geschichte erzählte.

      Als er größer wurde, lernte er mit der gleichen Energie, mit der er vorher gespielt hatte. Seine dunklen, ständig zerzausten Haare fielen in Locken auf seine Schultern, und Ala’na erinnerte sich immer noch an seine grünen Augen, umrahmt von dunkeln Wimpern. Innerhalb weniger Jahre wuchs er zu erstaunlicher Größe heran, und die junge Sili’rana suchte oft seine Nähe. Stundenlang saßen die beiden am See, redeten und lachten und kümmerten sich wenig um die Gepflogenheiten, die solchen Treffen vorauszugehen hatten. Ala’na war besorgt, konnte sich aber der sprühenden Lebensfreude dieses jungen Mannes selbst nicht entziehen.

      Er war der letzte Mensch gewesen, der in Pal’dor gelebt hatte, doch wie alle Menschen war er vergänglich. Ala’na konnte nicht umhin, auch heute noch den Stolz zu bewundern, mit dem er damals das Geschenk der Unsterblichkeit zurückgewiesen hatte. Und so war er gegangen wie so vieles, was gut und schön war in dieser Welt.

      Jetzt endlich konnte sie von ihrem Aussichtspunkt aus etwas erkennen. Sie konzentrierte sich und richtete ihren Blick in die Ferne. Ein leises Stöhnen, gefolgt von einem erleichterten Aufatmen entwich ihren Lippen, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und durchquerte mit fliegenden Kleidern ihr Schlafgemach.

      Wenige Minuten später lief sie die Pfade von Pal’dor entlang, der Gruppe Jäger entgegen, die bereits seit vielen Tagen zurückerwartete. Erst kurz bevor sie sie erreichte, mäßigte sie ihren Schritt und beruhigte ihren Atem. Sie war schließlich Ala’na die Weise oder die Alte, sie hatte mehr gesehen und erlebt als die meisten hier. Sie war Mutter, Großmutter und Urgroßmutter, und gewiss hatte sie in den letzten tausend Jahren hier niemand mehr wie ein Kind laufen gesehen. Sie zog ein paar Strähnen ihres langen, wallenden Haares auf die Brust, dann trat sie mit gemessenen Schritten der Gruppe entgegen.

      »Rond’taro, ich grüße dich.« Der Glanz ihrer Augen sprach deutlichere Worte, als ihre Lippen es tun konnten. Ihr Blick fiel auf den Rest der Truppe und wurde trüb. Es war nur knapp die Hälfte derer, die ausgezogen waren, und sie sahen müde und abgekämpft aus. Einer blutete aus frischen Wunden. Ala’na begrüßte auch sie mit einem gemessenen Kopfnicken.

      »Ala’na! Meine Augen sind erfreut, dich wiederzusehen.« Rond’taro stieg von seinem Pferd und fasste seine Gefährtin an beiden Händen.

      »Was ist dort draußen los?«, fragte sie. »Wo sind die anderen?«

      »Ruf den großen Rat zusammen. Ich bringe schlechte Nachrichten. Alle müssen davon erfahren.«

      Ala´na warf ihm einen prüfenden Blick zu und biss die Zähne zusammen. Indem Rond´taro zum Rat rief, versagte er ihr die Möglichkeit, gleich Antworten zu erhalten.

      »Da sind Menschen im Wald!?« Den Vorwurf in ihrer Stimme konnte nur Rond’taro hören. Er streichelte mit dem Handrücken beschwichtigend über ihren.

      »Sie tragen die Farben des Königs. Wir ritten auf das Tor der Morgenröte zu, aber die Sonne hatte ihren Stand noch nicht erreicht, als sie plötzlich durch das Dickicht brachen und uns sofort angriffen. Ich wollte keinen weiteren Kampf riskieren. Leron’das«, er deutete auf den blutenden Elben, »schoss ein paar Warnpfeile ab und hielt uns den Rücken frei, während wir das Tor öffneten. Ein Pfeil hat ihn getroffen, die Heilerin Iri’te sollte bald nach ihm sehen.«

      »Konnte euch jemand folgen?«, fragte Ala’na besorgt. Das Verhalten der Menschen war sehr ungewöhnlich, aber nicht das, was Rond´taro nach dem großen Rat verlangen ließ. Wieso dieser Angriff?, fragte sie sich trotzdem.

      »Es folgte uns keiner. Als auch der Letzte von uns hindurch war, haben wir das Tor notdürftig verschlossen. Aro’gen und Lilli’de sind jetzt dort, sie sprechen die Worte des Verbergens und Verschließens.«

      Ala’na nickte. Alles hatte seine Ordnung in Pal’dor, jeder wusste, was er zu tun hatte, und erfüllte seine Aufgaben. Niemand beherrschte das Verschleiern von Orten so gut wie diese beiden Elben. Sie war beruhigt, trotzdem lauschte sie noch einmal prüfend nach dem Grollen.

      »Wie geht es Jar’jana?«, erkundigte sich Rond’taro. »Der letzte Mond ist gestern angebrochen.«

      Ala’na war ein wenig überrascht, dass er sofort darauf zu sprechen kam.

      »Sie ging wie geplant auf ihren Weg. Ihre Vertraute und Freundin seit frühen Kindertagen, Sili’rana, erwartet sie spätestens morgen bei Sonnenuntergang auf der Warte.« Ala’na brauchte nicht aufzusehen, um zu wissen, dass auf Rond’taros Stirn eine steile Sorgenfalte sichtbar wurde.

      »Es sind sehr viele Menschen im Wald«, gab er zu bedenken.

      »Sie hat ihren Aufbruch so lange wie möglich hinausgezögert«, sagte Ala’na. Wieder ein Vorwurf und sie zwang sich nach vorne zu sehen, obwohl sie gerne einen Blick auf die Jäger geworfen hätte. War Jar’janas Gefährte Fari’jaro unter ihnen?

      Rond’taro sagte nichts, atmete aber hörbar aus.

      »Die vorgeburtliche Prophezeiung ist gut. Sie verheißt uns ein Kind von großer Stärke …«, versuchte Ala’na sich selbst Mut zu machen.

      »Die Prophezeiung!?« Rond’taros Stimme war wie immer leise und bedacht, aber Ala’na hörte den spitzen Unterton. Sie wusste, dass er nichts von vorgeburtlichen Prophezeiungen hielt.

      »Es wird erst mal ein Kind sein. Ein kleines, hilfloses Wesen, das alles lernen muss, ehe es irgendeiner Bestimmung folgen kann. Du weißt, was ich denke, und ich habe …«, er sah sie sanft lächelnd an, »wir haben unser Bestes dafür getan. Nicht ein Kind allein kann unsere Zukunft bestimmen, wir brauchen mehr, viele mehr.« Er warf einen Blick nach hinten zu seinen Gefährten der letzten Reise. Wieder grub sich die Sorgenfalte in seine Stirn. Sein Blick ging zu Boden und er flüsterte. »Ich habe in wenigen Tagen mehr Tapfere verloren, als Kinder in den letzten fünfhundert Jahren hier geboren wurden.« Er sah Ala’na eindringlich an. »Fari’jaro ist nicht mehr am Leben …«, hauchte er. Dann ging sein Blick wieder zu Boden.

      Als sie die ersten Gebäude der Stadt erreichten, richtete Rond’taro noch einmal seine Aufmerksamkeit auf die erschöpften Jäger.

      »Ihr Tapferen von Pal’dor! Wir haben unsere Aufgabe erfüllt. Wir sind weit geritten, und ihr seid mutige Gefährten gewesen. Geht jetzt nach Hause und ruht euch aus. Der Rat wird einberufen, und jeder von euch wird erzählen, was er gesehen und gehört hat. Wenn sich übermorgen das Tor der Dämmerung öffnet, haltet euch bereit. Im Rat werden wir entscheiden. Lebt wohl, Freunde.«

      Der See Latar’ria lag in einer kleinen Waldlichtung. Ala’na näherte sich ihm besonnen, wie sie es immer tat, und lauschte dem Flüstern der Wellen, die unruhig, stumpf und grau ans Ufer rollten. Sie breitete ihre Arme aus, murmelte leise Worte und beruhigte Latar’ria, bis sich die Wellen glätteten und das Wasser seinen natürlichen Glanz wiederhatte. Erst als der See still wie ein Spiegel dalag, begann sie damit, eine Verbindung zu den magischen Quellen in jeder der fünf Elbenstädte aufzubauen, um diese zum großen Rat zu bitten.

      Die Städte Mar’lea am Meer und Lac’ter im Engelsee waren leicht zu benachrichtigen, denn sie lagen an großen Gewässern. Munt’tar hingegen befand sich hoch in den südlichen Bergen. Die Bäche dort waren kaum größer als Rinnsale aus Gletscherwasser, die unruhig über die Steine spritzten. Descher’latar war noch schwieriger zu erreichen, denn sie lag jenseits dieser Berge an der Grenze zwischen Steppe und Wüste. Viele Antworten auf ihre Fragen konnte Ala’na höchstens erahnen.

      Vier

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