Der Ruf des Kojoten. Regan Holdridge
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Читать онлайн книгу Der Ruf des Kojoten - Regan Holdridge страница 3
Ich beugte mich ein wenig nach vorn, näher zu meiner Freundin, die sich eifrig bemühte, den Toaster zu bedienen. „Glaub mir, nach dem, was ich mit Männern hinter mir habe, werde ich ganz sicher kein weiteres Mal so dumm sein!“
„Ja, ich weiß. Ist die Scheidung schon durch?“
„Bedauerlicherweise nein.“ Ich schenkte mir neuen Kaffee ein. „Jedenfalls habe ich nach diesem Desaster verstanden, dass man als Frau nur alleine durchs Leben kommt, garantiert nicht mit einem Klotz wie einem untreuen Mann am Bein.“
„Na, es gibt ja auch Klötze, die nicht nur dein Geld ausgeben und dich als Sklaven halten wollen...“
„Vielleicht, aber ein zweites Mal werde ich das Risiko trotzdem nicht eingehen, wieder an eine solche Pfeife zu geraten.“ Ich schnaufte zornig, in Erinnerung an meine Ehe – die bislang einzige Entscheidung, die ich in meinem Leben bereute und das ziemlich bitter. „Von daher ist es mir gerade recht, wenn dieser Rancher so ein Frauenschwarm ist. Damit kommt er noch nicht einmal in den Dunstkreis der näheren Auswahl!“
Die endlose Straße schlängelte sich über flaches Land und sanfte Hügel, an Wäldern vorbei und über die Brücke eines schmalen Flusses. Ein Stück danach bog Myrtle rechts in einen ungeteerten Weg ab, der uns noch einmal über weite Wiesen brachte, bevor er nach einem Wäldchen scharf rechts abbog. Wenige Meter entfernt erhob sich ein niedriges, langes Holzgebäude. Dahinter stand ein weiteres, jedoch wesentlich größeres und im rechten Winkel dazu befand sich eines, das offensichtlich das Wohngebäude sein musste. Zu dessen linker Hand entdeckte ich eine schmale, einstöckige Holzhütte, die wie ein zu groß geratenes Gartenhaus wirkte und zu dessen Eingangstür jetzt ein junger Mann heraustrat. Ich rutschte schon seit einigen Meilen ungeduldig auf dem Beifahrersitz hin und her.
„Ah“, machte Myrtle und lächelte. „Als hätte er uns kommen hören!“
Ich ließ meinen Blick über die Gebäude gleiten. Sie waren von dunkler, abgewaschener Farbe, genau wie ich es mir immer ausgemalt hatte. Ich seufzte zufrieden. Es kam mir überhaupt nicht vor, als würde ich einen fremden Ort betreten. Etwas Vertrautes umgab das Gelände, als wäre ich schon einmal hier gewesen.
Myrtle parkte ihren Wagen neben dem Ranchhaus und gab mir einen Wink, während sie selbst bereits die Türe aufstieß.
„Randy!“ Ihre Stimme hallte über den Hof.
„Grüß dich, Myrtle!“ Er schlenderte auf seinen schlanken Beinen und der dazugehörigen, schlaksigen Figur zu uns herüber, die Hände in den Hosentaschen seiner schmutzigen Bluejeans vergraben und lachte. Er mochte höchstens Anfang zwanzig sein. Sein halblang geschnittenes Haar war von undefinierbarer Farbe, von haselnussbraun über dunkelbraun mit hellen Strähnen, alles ineinander gemischt.
Höflich erlaubte er meiner Freundin, uns miteinander bekanntzumachen und ratterte in kaum verständlichem Cowboy-Kauderwelsch einen Begrüßungsspruch herunter. Dabei hatte ich Zuhause noch alle Westernserien extra im Original auf Englisch geschaut, um auch gut gewappnet zu sein! Ich verstand kein Wort.
„Du musst ein bisschen Geduld mit ihr haben“, erklärte Myrtle und lachte. „Sie tut sich noch ein bisschen schwer mit unserer Sprache.“
„Oh, tut mir leid!“ Der junge Mann schaute ein wenig ratlos und nach einem kurzen Moment des Schweigens deutete er hinter sich, auf das Wohnhaus. „Es ist leider keiner da. Tante und Onkel sind beide in die Stadt zum Einkäufe erledigen und mein Bruder ist draußen, bei den Rinderherden.“
„Pech gehabt, aber macht ja nichts! Ich kann ihr doch trotzdem gleich alles zeigen?“
„Klar! Du kennst dich ja aus!“ Randy lachte wieder, von einem Ohr zum anderen, wobei er eine Reihe gerader, weißer Zähne zeigte. „Ihr müsst bloß ohne mich auskommen. Ein paar der Schulpferde brauchen neue Eisen und um fünf muss ich Reitstunden geben.“
„Natürlich! Wir wollen dich keinesfalls von der Arbeit abhalten!“
Der junge Rancher entfernte sich, eine Melodie pfeifend, in Richtung der großen, braunen Scheune, deren doppelflügliges Tor weit offenstand und den Blick in ein sauberes, aufgeräumtes Inneres freigab. Meine Augen wanderten umher. Die Welt hier schien auf eigentümliche Weise stehengeblieben zu sein. Nichts erinnerte an den Lärm und die Hektik von San Francisco mit all seinen vielen Menschen. Das hier war anders, völlig verschieden von dem, was ich jemals zuvor erlebt hatte. Erinnerungen drängten sich in mein Gedächtnis: Bilder von einem kleinen Mädchen, das in der Stube des alten Bauernhauses zusammen mit ihrem Großvater auf einem durchgesessenen Sofa hockte. Es roch nach vielen Jahren Geschichte in sämtlichen Räumen des alten Gemäuers, dessen Ställe längst leerstanden und in denen sich Gerümpel, Brennholz und diverse Werkzeuge sammelten. Das Klappern von Omas 50er-Jahre-Nachkriegsgeschirr drang durch den Flur bis in die Stube, wo soeben der magische Knopf von Opas starkem Daumen gedrückt wurde. Das Bild des altertümlichen, mächtigen Fernsehgeräts, das andere Leute längst auf den Sperrmüll geworfen hätten, flackerte und ab und an – wenn nur der Ton zu hören war – brauchte es einen herzhaften Schlag auf das Gehäuse, damit auch ein Bild erschien.
Und dann saßen wir dort, häufig zusammen mit meiner Schwester und warteten darauf, bis die Männer mit ihren breitkrempigen Hüten auf ihren stolzen Pferden über die Prärien des Wilden Westens galoppierten. Von der Broken Wheel Ranch, wo der wilde, schwarze Hengst Fury mit seinem kleinen Besitzer Joey spannende Abenteuer erlebte, hinüber auf die Shiloh Ranch, wo der Virginian und Trampas sich mit Viehdieben herumschlugen und von dort wiederum zum Fuß der blauen Berge, um Slim Sherman und Jess Harper Gesellschaft zu leisten, wenn wieder einmal eine Postkutsche in Schwierigkeiten steckte. Wenn wir gemeinsam darauf warteten, dass endlich die Landkarte entflammte und vier Cartwrights herausgeritten kamen, John Wayne seine Fäuste sprechen ließ oder Winnetou an der Seite seines Blutsbruders für die Gerechtigkeit und das rote Volk kämpfte, dann waren dies die schönsten Erinnerungen an meine Kindheit. Und immer, immer hörte ich dazu Opas tiefe, unverkennbare Stimme: „Jetzt komm, Mädel, mach’ mal lauter!“ Auf der Fernbedienung gingen nämlich die Knöpfe für die Lautsprecher nicht mehr, sodass jemand direkt am Fernseher drücken musste und dieser jemand waren immer wir.
All das zog in diesen Sekunden an meinem geistigen Auge vorbei und ich verspürte das große Verlangen, hier und auf der Stelle weinen zu können, Tränen zu vergießen um die glückliche, sorgenfreie Kindheit, die längst vorüber war und nie zurückkommen sollte. Um die vielen Verwandten, die ich im Laufe der Jahre verloren hatte und mit ihnen all die schönen Erinnerungen an Familientreffen und die unvergesslichen Stunden auf dem Speicher des alten Hofs. Nie wieder war ich danach so glücklich gewesen, wie in diesen Tagen. Vielleicht war auch das der Grund, weshalb die Liebe zum Western, die Leidenschaft für die Pferde und das Reiten und die Sehnsucht nach unendlicher Freiheit bis zu diesem Tage tief in meinem Herzen verwurzelt blieben.
Wenn ich heute eines der Fotoalben aufschlage, muss ich mit Erschrecken feststellen, wieviele der dort abgelichteten Menschen nicht mehr unter uns sind. Hätte ich einen einzigen Wunsch frei gehabt, ich wäre noch einmal zurückgekehrt – zu den Sommern im hohen Gras, zwischen Ameisen, Sperlingen und dicken, summenden Hummeln. Hätte mir noch einmal gewünscht, den Geruch von Opas Pfeife vom lauen Sommerwind zugeweht zu bekommen, wenn er in seinem Bienenhaus saß und damit seine Honigbringenden Insekten einräucherte, um sie daran zu hindern, ihn zu stechen. Sie taten es trotzdem jedesmal... Ich wollte ihn noch einmal schimpfen, seine dröhnende, donnernde Stimme hören, den großen, kräftigen Körper auf der Bank vor dem Kamin in der Stube sitzen sehen, bei seinem abendlichen Bier. Ihn, der für mich immer wie ein Bruder von John Wayne gewesen