Stadtflucht. Stephan Anderson
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„Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, aber vielleicht sollten Sie vorher duschen und frische Kleidung anlegen, bevor Sie den Zeugen verhören. Woher haben Sie diesen Selbstzerstörungsdrang?“
„Das ist der Geruch des Tatorts. Der lässt sich nur mit Plantation Rum Barbados XO Single Cask Mackmyra Rök Whisky von der Seele waschen. Außerdem sitzt hinter dieser Tür kein Zeuge, sondern ein Täter. Bitte lassen Sie mich jetzt meine Arbeit machen.“
Die großzügige Deo-Duftwolke, welche der Garconniere-Bewohner einem Duschvorgang vorzog, schien verpufft zu sein und hervortrat sein ureigener Gestank aus Schweiß, Zigaretten und würzigem Speiseplan. Der passionierte Alleinermittler versuchte sich mit seinem neu angelegten Schnellhefter unter dem Arm, am Oberkommissar vorbei in den Verhörraum zu pressen, aber der großgebaute und durchtrainierte Bergländer gab keinen Meter nach.
„Ich weiß sie haben über die letzten Jahrzehnte viele und schwierige Fälle gelöst und genießen hier sehr viel Ansehen. Oder besser gesagt Sie genossen viel Ansehen hier. Egal. Scheinbar kennen Sie sich bei Spirituosen besser aus als mit Computern. Alle neuen Kollegen haben seit Jahresbeginn ihr Tablett in Verwendung und Sie laufen mit einem Schnellhefter in eine Zeugenvernehmung?“
„Es wird wie immer gemacht.“
„Kommissar Ulman, mich hat Herr Dezernatsleiter Lagonikakis zu sich geholt. Ihn haben der Bürgermeister und der Polizeichef angerufen. Drei Tote in so einem noblen Bezirk. Ich kann Ihnen das Feld nicht alleine überlassen. Das ist in der Außenwahrnehmung zu heikel. Alleine lasse ich Sie diesen Fall nicht angehen. Ich wurde beauftragt ein Ermittlerteam zu leiten.“
„Was soll das heißen?“, riss der verdutzte Kommissar seinen, mittlerweile oberflächlich gesäuberten Mund auf.
„Ich werde den Zeugen mit Ihnen gemeinsam vernehmen und alle wichtigen Schritte in diesem Fall sind durch mich freizugeben und ich muss über alle neuen Erkenntnisse sofort verständigt werden.“
Der dickhäutige Ulman konnte seinen schmalzverschmierten Ohren nicht trauen und seinen blauumrandeten Augen nicht glauben. Zum Weinen war ihm zu mute. Der allseits, als Aktenwurm und verhörunfähig verschriene Rasch, soll mit ihm seinen Kronzeugen alias neuen Tatverdächtigen vernehmen? Die letzte Freude in seinem Leben wollte man ihm jetzt auch noch streitig machen. Teamarbeit und Unterwürfigkeit, das war nicht Ulmans Terrain.
Da stand er vor ihm, ein feiner Herr im braunen Schnürsamtanzug, mit einer schwarz-rot gestreiften Seidenkrawatte um seinen Hals dekoriert und einem Tablet-PC unterm aufgepumpten Bizeps. Jetzt war wohl wirklich das Fass zum Überlaufen gebracht. Junge Kollegen, noch grün hinter den Ohren, neue Technik, die ihm nur am Arbeiten hinderte und nun auch noch Befehle von so einem provinziellen Bergländer, der die rauen Sitten der Hauptstadt niemals verstehen wird können. Nicht einmal mit der gängigen Mundart ein Problem hatte. Bis dato hatte er auch ohne fremde Zurufe seine Fälle gelöst und nicht einmal einen Dank dafür verlangt. Aber nun war des Mittsechzigers geistiger Scheideweg erreicht. So nicht mehr. Kurz war es ihm, als wollte er nun endlich seine Frustration herausschreien und dem Emporkömmling, in seinem Schnürsamtanzug den Schnellhefter mit Aarons Datenauszug, vor die braunmelierten Schlangenlederschuhe werfen. Dann geradewegs in die Personalabteilung gehen, um seine Pensionierung zu beantragen und in sein Stammbeisl fahren. Doch dann legte sich das erzürnte Flackern in seinen treuwirkenden rehbraunen Augen und er konnte sich ein sarkastisches Grinsen, ob seiner aberwitzigen Situation abringen. Bei all den wiederholenden Schikanen, nur er konnte seine Heimatstadt gegen die verbrecherischen Milieus verteidigen, die Leute wie Rasch nicht mehr kannten.
„Natürlich, wie Sie wünschen Herr Magister Oberkommissar.“
Egal wer ihm Stöcke in seine alten, rostenden Speichen warf, er würde den Fall, wie auch alle zuvor, auf seine Weise lösen und am Ende könnte ihm niemand auf der Welt und schon gar nicht ein Dezernatsleiter, Bürgermeister, Polizeichef oder Oberkommissar einen Vorwurf machen, er habe sich nicht an die zuvor ausgegebenen Spielregeln gehalten. Für ihn war die Sachlage klar. Mit den Erkenntnissen, die er vom heutigen Tatort mitgenommen und gepaart mit jenen Informationen, die er aus des Kronzeugen polizeilichem Akt herausgelesen hatte, schloss er: Der Täter saß hinter jener Türe, die von Jakob Rasch blockiert wurde.
„Gut, dann sind wir uns über die allgemeine Herangehensweise einig. Stellen Sie alle Fragen, die Sie wollen Ulman, aber mäßigen Sie Ihre gewohnte Aggressivität bei diesem Verhör. Ich werde mich zurückhalten.“
Noch ein süffisantes Grinsen zierte des Kommissars Dreitagesbart. Was sich das Sozialbaukind auf der Straße der wüsten Großstadt an Menschenverständnis erarbeiten musste, wollte sich der Akademikersprössling aus gutem Hause aus Büchern saugen. Die dilettantische Borniertheit, mit der Rasch seine bisherigen Befragungen und Verhöre führte, waren über die Morddezernatsgrenzen hinaus bekannt. Seiner Karriere tat dies trotzdem keinen Abbruch. Arbeit, Fleiß, Überstunden und Unnachgiebigkeit pflasterten bis dato seinen Weg der großen Ambitionen, aber den abgezockten Ulman als Rammbock in der anstehenden Zeugenaussage zu missbrauchen, fand der routinierte Kommissar offenkundig despektierlich und infantil.
Seinem Rang voranschreitend, öffnete Oberkommissar Rasch die Türe zum kleinen Verhörraum Nummer vier. In diesem saß Aaron Röttgers mit stoischen Blick gegen die Wand gerichtet und auf die weiteren, unausweichlichen Prozedere wartend. Die beiden Ermittler nahmen am anderen Ende des kleinen, verschmierten Tisches Platz. Der eine platzierte seinen Tablet-PC vor sich, der andere seinen Schnellhefter.
„Guten Tag, mein Name ist Oberkommissar Magister Jakob Rasch und meinen Kollegen Kommissar Sebastian Ulman kennen Sie ja bereits. Wurde Ihnen schon etwas zu trinken und zu essen angeboten?“, fragte er den Zeugen mit freundlichem und fürsorglichem Ton und schaltete das Tonmittschnittgerät ein.
Nun war die Zeit für Aarons Schauspieltalent gekommen. Schon seit jenem Moment, als er auf dem verbrauchten Stuhl Platz nahm, war ihm klar: wenn er so schnell als möglich nach Hause und jedem weiteren Besuch in diesen Räumlichkeiten ausweichen wollte, musste er die archivierte Trübsinnigkeit nun voll ausspielen. Ohnehin hätte er seine Unterarme niemals auf die abscheuerregende Tischplatte vor sich gelegt, doch diesen Umstand machte er sich zu nutzen, um den eingesackten, traumatisierten und niedergeschlagenen Zeugen zu mimen, der seine Arme, schützend auf seine Oberschenkel platzierte. Wollte er den heutigen Tag so schnell als möglich abschließen und einfach nur nach Hause in seine eigenen vier Wände gehen, musste er sich betrübt und schockiert zeigen. Er war sich der Lage vollends bewusst, dass es um etwas ganz Schlimmes ging, ja vermutlich um Mord, sonst würde er nicht im ´Besprechungsraum vier´ des Morddezernats sitzen und man hatte ihn, für was auch immer im Verdacht, sonst würde er nicht die unpassende Wechselwäsche tragen und es wären keine forensischen Tests an ihm durchgeführt worden. Aber Schauspielerei war ein sichereres Terrain als seine Natur. Denn eigentlich war es ihm egal wie schlimm das Geschehene an seiner Arbeitsstelle war, es tangierte das egozentrische Einzelkind eigentlich nicht wirklich. Hauptsache er war wohl auf. Dabei wollte er nichts mehr als das, was er immer wollte, Ruhe. Ruhe von der grausamen und unbarmherzigen Welt. Würde er preisgeben, dass wieder ein kalter Schauer seinen Körper fest im Griff hatte und ihm das Blut in den Kopf schoss, um dann ein verstörendes Schwindelgefühl bei ihm auszulösen, er würde sich verdächtig machen, Schuldgefühle, Angst überführt zu werden. Würde er nun zu besonnen und