Stadtflucht. Stephan Anderson
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„Bitte nehmen Sie hier Platz und warten Sie auf die Kollegen. Darf ich Ihnen etwas zu Trinken oder zu Essen anbieten?“, fragte ihn die zuvorkommende und mitfühlende Spurensucherin.
Essen? Aaron hatte noch immer nicht aufgegeben heute noch in seiner Wohnung zu sitzen und bei einem fetttriefenden Abendessen die Welt hinter sich zu lassen. Trinken? Wenn dann Wasser, aber das hochqualitative kühle Nass, das per Pipelines aus den Bergen in die Millionenmetropole befördert und dort in veralteten Bleileitungen verteilt wurde, brachte er nicht hinunter.
„Haben Sie Wasser aus einer Glasflasche?“, entgegnete der ernährungsbewusste, aber sich kaum daran haltende Zeuge. Krings nickte und ließ den müde wirkenden Informanten in dem fensterlosen, rein künstlich beleuchteten kleinen Zimmer zurück. Als sich die Tür hinter ihm schloss war es, als würde man ihn bereits in eine Zelle sperren und dem geistigen und körperlichen Verfallsprozess einer Haft aussetzen. Vor ihm war ein kleiner Tisch, mit spiegelglatter Oberfläche, auf der ein Fettfilm fremde Finger- und Handabdrücke, in der Spiegelung der darüber hängenden Lampe, welche den Raum mit einem steten, leisen Surren infiltrierte, wiedergaben. Auf zwei Seiten waren alte, abgestoßene Holzstühle aufgereiht.
„Wer hatte hier wohl schon alles Platz genommen?“, grübelte der angeekelte Putzteufel, gequält von seiner Mysophobie. Gequält nahm er auch in öffentlichen Verkehrsmitteln Platz, aber auch nur, weil er sich nirgendwo dort anhalten wollte und für Gewöhnlich war es sowieso das Erste was er, beim Heimkommen in seine Wohnung, tauschte. Jogginghose gegen Alltagshose. Daher setzte er sich wiederwillig auf einen der verdreckten Holzstühle und wartete, bis die Tortur endlich ihren weiteren unvermeidlichen Verlauf nahm. Die abgeschlagenen, angeschmierten und beigen Wände wiesen keinen einseitig-durchsichtigen Spiegel auf. Zumindest konnte er sich sicher sein, nicht von mehr Menschen beäugt zu werden, als jenem Mann, den er vermutete gleich zu Gesicht zu bekommen. Den dürren, ungepflegten, aus dem Maul stinkenden und tiefstimmigen Kommissar Sebastian Ulman.
„Herr Kommissar, die Beweissicherung am Zeugen ist nun abgeschlossen. Ich werde die ersten Ergebnisse gleich vorliegen haben. Er sitzt in `Raum vier´. Nehmen Sie ihm bitte ein Wasser mit? Wenn geht aus einer Glasflasche“, unterrichtete die eifrige Spurensucherin dem passionierten Alleinermittler der, ob seiner konzentrierten, digitalen Aktenstudie, diese freundlich dargebrachte Information mit einem blicklosen Wink abwies.
Noch bevor sich die Forensikerin wieder an die Arbeit machen konnte, hielt sie der digitalfeindliche Mittsechziger auf: „Halt. Wie kann ich das hier ausdrucken?“
„Bitte?“
„Das, was hier steht. Wie kann ich das auf Papier bringen?“, fragte der überforderte Mittsechziger und deutete auf seinen PC-Monitor.
Krings konnte den hilfesuchenden und einladenden rehbraunen Augen, die unter der tiefen Augenbraunpartie im Neonlicht der Bürobeleuchtung glänzten, keine Bitte abschlagen. Einen großen Ausfallschritt über die gestapelten Unterlagen neben Ulmans Schreibtisch und schon betätigten ihre rettenden filigranen Finger gleichzeitig ´Strg´ und ´P´ auf des Kommissars Tastatur.
„Sie sollten sich als Schritt zweiundzwanzig ´Strg und P drücken´ notieren Herr Kommissar“, grinste Sie und deutete auf den brusthohen Großbürodrucker, der sich am anderen Ende des Raumes befand, um dann ihren Weg ins Labor fortzusetzen.
„Warten Sie“, eilte ihr der plötzlich handzahme Ulman schnellen Schrittes nach, „bekomme ich die Tatortfotos und Weiss´ Bericht auch gleich ausgedruckt? Auf gutem altem Papier eben.“
„Ich werde sehen was ich tun kann. Aber ich muss mich jetzt beeilen. Die Residuen untersuchen, die abgenommenen Stempelchen analysieren und das Rasta-Elektronen-Mikroskop bedient sich auch nicht von selbst. Herr Magister Rasch, will heute noch die ersten Ergebnisse“, schmunzelte Krings und deutete auf die silberne Armbanduhr auf ihrem dünnen Handgelenk.
„Rasch?“, riss Ulman sein, mit Tomatensauce und Käsefett verschmiertes Maul, auf.
„Ja. Genau der. Und der Drucker steht übrigens dort.“
Für gewöhnlich bezeichnete der Mittsechziger den Großraumdrucker abfällig als ´Tintenpisser´, doch nun war er sein wichtigster Unterstützer. Blatt für Blatt bestrahlte dieser mit Tinte und legte, die zu Papier gebrachten Informationen, zu einem Konvolut ab. Hastig entnahm der Technikverächter den Papierstoß aus Fach eins und brachte ihn zu seinem Arbeitsplatz zurück, um ihn dort, in guter alter Manier, in einen Schnellhefter einzuordnen. Und wie er seine Arbeit abschließen wollte und das Deckblatt, mit der Aktenzahl und Titulierung des Falles versah, knarrte eine der Milchglastüren zwei Schreibtische vor ihm und öffnete sich. Heraus trat Oberkommissar Magister Jakob Rasch. Der alternde Ermittler nahm zähneknirschend zur Kenntnis, dass sich der großgewachsene und stattlich gebaute junge Oberkommissar schnurstracks auf ihn zubewegte.
Die Miene seines Vorgesetzten war von Ernsthaftigkeit geprägt. Seine kurzen, zur Seite gekämmten, mit reichlich Gel verstärkten schwarzen Haare und sein frischrasiertes Gesicht, in dessen Zentrum sich zwei tief liegende, blaue Augen befanden, fokussierten nur den beschriftenden Ulman, der so tat, als ob er ihn nicht sehen würde und weiter seiner Aktentätigkeit nachging.
„Guten Tag Herr Kommissar“, begrüßte Rasch, dem hinter seinen Papier- und Müllmauern sitzenden Burgherren, mit seiner unnachahmlichen Betonung des Buchstaben ´L´, welcher durch das übertriebene Pressen der Zunge an den Gaumen, jedem Wort eine rollende, lässige Note gab.
„Wie kann ich helfen?“, erwiderte der gestresst spielende Ulman, mit gewohnt kratziger Reibbrettstimme, deren Laute dem großstädtischen arbeitermilieutypischen Jargon unterworfen waren. Trotz seiner sofort hörbaren artikularen Abstammung war die stetige Überbetonung der Vokale, so dass sich fast jedes Wort wie ein Befehl anhörte, sein markantestes linguistisches Markenzeichen.
„Erstens. Ich habe Ihnen schon hundert Mal gesagt, räumen sie diesen gesamten Saustall auf Ihrem Arbeitsplatz auf. Das ist inakzeptabel. Sonst sitzen Sie bald einen Stock tiefer bei den Streifenpolizisten. Und zweitens kommen Sie in mein Büro“, machte der ordnungsfanatische Oberkommissar unmissverständlich klar.
Mit einem tiefen Schnaufer erhob sich der Kommissar wortlos von seinem Lehnstuhl und folgte genau einem jener Männer, die er für den Untergang der großstädtischen Polizei verantwortlich machte. Die Kollegen vor und hinter ihm schmunzelten und tuschelten, als ob der Klassenvorstand einen ungezogenen Schüler an die Tafel holte. Respekt konnte der alteingesessene Mittsechziger gegenüber seinem jungen Vorgesetzten nicht entwickeln. Für ihn war Rasch ein Emporkömmling. Ein Mann Anfang vierzig, nie ohne Anzug und Krawatte, der lieber die Vorschriften und Cold-Case-Fälle in seinem Büro studierte, als sich, wie Ulman, jahrzehntelang auf der Straße und an Tatorten abzuquälen. Oberkommissar Mag. Jakob Rasch war für ihn genau das beste Beispiel, warum es mit der Polizei im Allgemeinen und dem Morddezernat im Speziellen immer weiter abwärtsging. Leute wie Rasch gingen nämlich nicht dorthin wo es wehtat. Sie würden sich niemals mit Informanten, spätabends, in zwielichtigen Kneipen treffen, sie würden in ihren Vorschriften niemals einen Absatz finden, dass man einen Verdächtigen auch einmal verbal und körperlich einschüchtern musste, um an wertvolle Informationen zu kommen und sie würden sich lieber auf Berichte und Gutachten stützen, als auf Ihren Menschenverstand zu hören. Genauso einer war Rasch. Ein Herr Magister, ein studierter Kriminologe, der sich mit dem Aufarbeiten von ungeklärten Fällen, aus der