DER ABGRUND JENSEITS DES TODES. Eberhard Weidner

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу DER ABGRUND JENSEITS DES TODES - Eberhard Weidner страница 22

DER ABGRUND JENSEITS DES TODES - Eberhard Weidner Anja Spangenberg

Скачать книгу

als sie die Wohnung betrat. Sogar – Gott behüte! – darauf, die Leiche ihres einzigen Kindes zu finden. Aber die Wohnung war verlassen. Und Mona fand auch nicht das geringste Anzeichen dafür, dass Nadine sich in einer Notlage befinden könnte. Alles sah ordentlich und aufgeräumt aus. Es erweckte den Eindruck, als würde Nadine jeden Moment zur Tür hereinkommen, um ihre Mutter überrascht fragen, warum sie den Notfallschlüssel benutzt hatte, um in die Wohnung zu gelangen.

      Vielleicht gibt es ja doch eine harmlose Erklärung für Nadines Abwesenheit. Und sie hat nur nicht daran gedacht, jemanden darüber zu informieren, sagte sich Mona, während sie im Wohnungsflur stand und überlegte, was sie jetzt tun sollte. Der Gedanke war nicht nur tröstlich, sondern sogar in der Lage, das Bild der toten Tochter aus ihrem Kopf zu verdrängen. Gern hätte sie daran geglaubt, wäre nach Hause zurückgekehrt und hätte dort darauf gewartet, dass Nadine sich bei ihr meldete und dafür entschuldigte, dass sie es bislang nicht getan hatte. Dann müsste sie sich nicht länger diese furchtbaren Sorgen um ihre Tochter machen.

      Sie schüttelte jedoch den Kopf. Nein, so einfach konnte die Sache nicht sein! Nadine war immer zuverlässig. Wenn sie daher nicht zur Arbeit erschien und auch niemandem Bescheid gab, musste ihr zwangsläufig etwas zugestoßen sein.

      Mona legte die Hand auf ihr Herz, das schon seit dem Telefonat mit Nadines Arbeitskollegin schneller als üblich schlug. Sie dachte zuerst an ihren eigenen Infarkt vor zwei Jahren, der glimpflich verlaufen war. Dann an den ihres Mannes, der so heftig ausgefallen war, dass er ihn von einer Sekunde zur anderen das Leben gekostet hatte. Sie verdrängte diese Überlegungen allerdings sofort wieder. Sorgen um ihr eigenes Wohlergehen konnte sie sich immer noch machen, sobald sie wusste, dass es Nadine gutging. Doch solange das nicht der Fall war, durfte sie keine Rücksicht auf sich selbst nehmen, sondern sich wie jede liebende Mutter nur Gedanken um ihre Tochter machen.

      Sie überlegte, was sie in einer Situation wie dieser tun konnte. Ihr erster Gedanke war natürlich, die Polizei darüber zu informieren und Nadine als vermisst zu melden. Aber dann erinnerte sie sich an einen Krimi, den sie unlängst gesehen hatte. War es ein Tatort oder eine Folge von »Der Alte«? Ach, egal!. Darin war von einer 24-Stunden-Regel gesprochen worden. Demnach konnten Erwachsene erst als vermisst gemeldet werden, wenn sie mehr als 24 Stunden verschwunden waren. Doch das war hier nicht der Fall. Sie selbst hatte vor weniger als 24 Stunden mit Nadine telefoniert.

      Was dann?

      Sie hörte Schritte im Treppenhaus. Dadurch kam sie auf die Idee, die Nachbarn zu befragen, ob jemand Nadine am heutigen Tag gesehen hatte. Rasch verließ sie die Wohnung. Im Treppenhaus traf sie auf einen Mann. Er war mindestens zehn Jahre älter als sie und wohnte ein Stockwerk über ihrer Tochter. Aber er hatte Nadine schon seit Tagen nicht gesehen.

      Enttäuscht klingelte Mona bei der unmittelbaren Wohnungsnachbarin in derselben Etage. Die Frau, die ihr öffnete, sah uralt und tatterig aus. Mona hatte wenig Hoffnung, von ihr etwas Vernünftiges zu erfahren. Sie wurde jedoch angenehm überrascht. Genoveva Spitzeder, wie die Dame laut Türschild hieß, hatte trotz ihres hohen Alters einen hellwachen Verstand.

      »Kommen Sie doch bitte herein und trinken eine Tasse Kaffee mit mir«, sagte die alte Frau herzlich. Sie war anderthalb Köpfe kleiner als Mona, die mit ihren 1,68 schon nicht besonders groß war. Außerdem war sie extrem schlank und zierlich. Mit ihren stahlgrauen Haaren, die an ihrem Hinterkopf zu einem Dutt verknotet waren, und den runden Brillengläsern wirkte sie wie eine Miniatur-Großmutter aus dem Bilderbuch. »Ich hab Käsekuchen da.«

      Mona war normalerweise ein Fan von Käsekuchen. Sie konnte schlecht nein sagen, wenn ihr einer angeboten wurde. Doch in diesem Fall musste sie zu ihrem Bedauern standhaft bleiben. Sie hatte keine Zeit für einen ausgedehnten Kaffeeklatsch, wie er der alten Dame vermutlich vorschwebte. Und sie ahnte, dass sie nicht so schnell davonkommen würde, wenn sie die Einladung annahm. »Nein danke«, lehnte sie das Angebot höflich, aber entschieden ab.

      Frau Spitzeder gab nicht so schnell auf. »Es macht mir überhaupt keine Mühe«, sagte sie, als hätte Mona etwas anderes behauptet. »Ich bin zwar schon dreiundneunzig Jahre alt, führe meinen Haushalt aber noch immer allein.«

      Mona nickte anerkennend, bevor sie den Kopf schüttelte. »Ich hab leider trotzdem keine Zeit, um mit Ihnen Kaffee zu trinken und Käsekuchen zu essen, Frau Spitzeder. Dennoch vielen Dank für die Einladung.«

      »Jammerschade.« Die alte Frau zuckte mit den Schultern.

      »Ich wollte Sie nur etwas fragen«, kam Mona endlich auf ihr eigentliches Anliegen zu sprechen.

      »Und was?«

      »Haben Sie meine Tochter Nadine in den letzten Tagen gesehen?«

      Frau Spitzeder dachte nur kurz nach, bevor sie nickte. »Das habe ich in der Tat. Ich habe sie erst gestern im Hausflur getroffen. Sie hatte nämlich Urlaub.«

      »Urlaub?«

      Die alte Frau nickte erneut. »Ihre Tochter hatte einen wichtigen Untersuchungstermin beim Arzt. Dafür hatte sie sich extra Urlaub genommen. Ich habe sie gefragt, ob es etwas Ernstes sei. Doch sie meinte, es handle sich nur um eine Routineuntersuchung und ich solle mir keine Sorgen machen.«

      »Hat sie sonst noch etwas gesagt?«

      Frau Spitzeder schüttelte den Kopf. »Nein. Sie hatte es eilig und nicht viel Zeit, um es noch rechtzeitig zu ihrem Termin zu schaffen.«

      »Und Sie sind sich sicher, dass das gestern war?«

      »Natürlich! Das weiß ich genau.« Die alte Frau machte einen entrüsteten Eindruck.

      »Vielen Dank«, sagte Mona. »Sie haben mir sehr geholfen.«

      »Gern geschehen. Und Sie wollen wirklich nicht kurz für eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen hereinkommen?«

      Mona lehnte noch einmal höflich ab. Sie verabschiedete sich, während sie über das nachdachte, was die Nachbarin ihr erzählt hatte.

      Sie hatte nicht gewusst, dass Nadine gestern Urlaub gehabt hatte. Davon hatte auch die Kollegin am Telefon nichts gesagt. Ebenso wenig hatte sie von der angeblichen Routineuntersuchung gewusst. Nach dem Gespräch mit der Nachbarin machte sie sich noch größere Sorgen um ihre Tochter.

      Mona klingelte an allen anderen Türen im Haus, hatte aber nur im Erdgeschoss Glück. Eine junge Frau mit einem Baby auf dem Arm öffnete. Sie konnte ihr aber auch nicht weiterhelfen, denn sie hatte Nadine zum letzten Mal am Wochenende gesehen.

      Niedergeschlagen kehrte Mona in Nadines Wohnung zurück. Sie wollte eigentlich so schnell wie möglich nach Hause. Nur für den Fall, dass ihre Tochter zwischenzeitlich dorthin gekommen war oder sie anzurufen versucht hatte. Vorher wollte sie aber noch rasch ein paar Telefonate führen.

      Zuerst rief sie ihren Hausarzt an, zu dem auch Nadine ging, wenn sie Beschwerden hatte. Die Sprechstundenhilfe stellte sie zu ihm durch. Sie teilte ihm mit, dass sie ihre Tochter nicht finden könne und Nadine nicht zur Arbeit gegangen, sondern allem Anschein nach verschwunden sei. Daraufhin erzählte er ihr, dass Nadine wegen ihrer Kopfschmerzen zu ihm gekommen sei und er sie an einen Kollegen, einen Facharzt für Neurologie, verwiesen habe. Er gab ihr die Nummer, woraufhin sie dort anrief. Die Frau am anderen Ende der Leitung teilte ihr mit, dass der Doktor momentan einen Patienten behandele, sie aber umgehend zurückrufen würde. Sie legte auf und suchte im Telefonbuch, das sie in einer Schublade der Kommode fand, nach der Nummer von Nadines bester Freundin Anne. Von ihr erfuhr sie, dass Nadine gestern Abend angerufen hatte. Aufgrund der Uhrzeit, die Anne ihr nannte, musste es unmittelbar nach dem Telefonat mit ihr gewesen

Скачать книгу