IM ANFANG WAR DER TOD. Eberhard Weidner

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IM ANFANG WAR DER TOD - Eberhard Weidner Anja Spangenberg

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noch ein Geheimnis.

      Anja konnte sich nicht erinnern, dass sie bis gestern einen Gedanken an den Pfarrer verschwendet hatte. Sie hatte sogar seit Jahren nicht mehr an ihn gedacht.

      Das Letzte, an das sie sich vom gestrigen Tag noch bewusst erinnern konnte, war, dass sie nach der Arbeit nach Hause gekommen und in bequemere Klamotten geschlüpft war. Anschließend hatte sie sich etwas zu essen gemacht und dazu Mineralwasser getrunken. Sie wusste noch, dass sie großen Durst gehabt und fast die ganze Flasche geleert hatte. Doch an mehr als das konnte sie sich nicht erinnern. Unmittelbar danach setzte die Gedächtnislücke ein, die der übermäßige Wodkakonsum ausgelöst haben musste. Der Filmriss endete erst mit ihrem Erwachen aus dem Albtraum, der sich im Nachhinein als furchtbare Realität herausgestellt hatte.

      Was ist in den Stunden dazwischen bloß geschehen?

      Anja bemühte sich anhand dessen, was sie in ihrem Wohnzimmer vorgefunden und von den Kollegen in der Kirche erfahren hatte, zu rekonstruieren, was sie in der Zeit vermutlich getan hatte.

      Irgendwann gestern Abend musste sie auf jeden Fall zu trinken angefangen haben. Warum sie das getan hatte, war ihr allerdings schleierhaft. Sie war jetzt schon so lange trocken gewesen, und es war ihr auch gar nicht schwergefallen, auf den Alkohol zu verzichten. Es musste also einen verdammt guten Grund gegeben haben, warum sie ausgerechnet jetzt wieder mit dem Trinken angefangen hatte.

      Aber was kann das für ein Grund gewesen sein?

      Ihr kam der Gedanke, dass der Priester sie angerufen haben könnte. Je länger Anja darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher kam es ihr vor. Denn wieso hätte sie ihn anrufen oder auch nur an ihn denken sollen? Das hatte sie schließlich seit Jahren nicht getan.

      Nein, der Geistliche musste sich bei ihr gemeldet haben!

      Aber aus welchem Grund?

      Sie stellte sich vor, wie Pfarrer Hartmann vor ein paar Tagen eine Visitenkarte von ihr in die Hände gefallen war. Und vermutlich hatte er sogar gewusst, dass es sich dabei trotz des geänderten Nachnamens um dieselbe Anja handelte, die ihm nach dem Tod ihres Vaters gesagt hatte, sie könnte nicht länger an einen Gott glauben, der zugelassen hatte, dass ihr Vater starb, und dass sie ihn hasste. Vielleicht hatte er einen späten Versuch unternehmen wollen, sie wieder zurück zu Gott zu führen. Oder er hatte all die Jahre das Gefühl gehabt, bei ihr versagt zu haben, und wollte es nun wiedergutmachen. Das klang durchaus plausibel; und so, wie sie ihn von damals in Erinnerung hatte, wäre ihm das auch zuzutrauen gewesen.

      Also rief er mich an!

      Dieser Anruf aus heiterem Himmel musste sie geradezu schockiert haben. Es musste ihr wie eine geisterhafte Stimme aus der Vergangenheit vorgekommen sein, die all die schmerzhaften Erinnerungen wieder in ihr hochkochen ließ.

      Dennoch hatte sie einem Treffen in der Kirche zugestimmt. Und Pfarrer Hartmann hatte Datum und Uhrzeit dieses Treffens sowie Anjas Vornamen und Handynummer auf der Rückseite der Visitenkarte notiert.

      Nach dem Telefonat war sie vermutlich so aufgewühlt gewesen, dass sie die Wohnung verlassen und die Wodkaflasche besorgt hatte. Anschließend hatte sie zu trinken angefangen und war dann zu ihrem Rendezvous mit dem Geistlichen gefahren.

      Aber warum habe ich das verdammte Messer mitgenommen?

      Hatte sie etwa von Anfang an vorgehabt, den Mann umzubringen? Oder hatte sie das Messer nur zur Sicherheit dabeigehabt, weil ihre Dienstwaffe wie fast immer wieder mal in der Schreibtischschublade im Büro lag?

      Und dann?

      Dann musste der Pfarrer während ihres Streitgesprächs irgendetwas gesagt haben, das sie letzten Endes dazu veranlasst hatte, wie eine Verrückte auf ihn einzustechen.

      Aber was?

      Anja schüttelte den Kopf. Sie weigerte sich noch immer, auch nur in Erwägung zu ziehen, dass sie tatsächlich zu so etwas Brutalem in der Lage sein sollte und eine kaltblütige Mörderin in ihr steckte. Es würde ihr Selbstbild so nachhaltig erschüttern, dass sie möglicherweise daran zerbrechen könnte. Allerdings ahnte sie bereits, dass in ihr auch eine dunkle Seite schlummerte und nur auf den richtigen Auslöser wartete, um zum Vorschein zu kommen. Der übermäßige Alkoholkonsum früherer Tage und ihre dabei zeitweise auftretende Sehnsucht nach dem Tod waren unangenehme Aspekte dieser dunklen Seite gewesen.

      Aber kaltblütiger, brutaler Mord?

      Unmöglich!, hätte Anja gern voller Überzeugung ausgerufen. Doch dazu sah sie sich bedauerlicherweise nicht in der Lage. Schließlich sprachen bislang sämtliche Indizien dafür. Außerdem musste sie sich eingestehen, dass sie möglicherweise zu einem Mord in der Lage war, wenn sie einen wirklich triftigen Grund dafür hatte. Zum Beispiel dann, wenn sie endlich den Mörder ihres Vaters fand. Aber das war ein anderes Thema und daran wollte sie jetzt nicht denken.

      Sie musste stattdessen unbedingt herausfinden, was während ihres Blackouts passiert war und was sie dazu getrieben haben könnte, den Geistlichen zu töten.

      Als Anja ihre Überlegungen beendete, stellte sie fest, dass sie nicht länger am ganzen Körper schlotterte und schwitzte. Auch ihre Hände zitterten nicht mehr so stark. Der Schock über das, was sie möglicherweise getan hatte, war gewichen, nachdem sie gründlich über alles nachgedacht und sich überlegt hatte, was sie tun konnte. Allerdings hatte sie weiterhin großen Durst.

      Als sie plötzlich Schritte hörte, hob sie den Kopf und sah sich um. Ein alter Mann mit einem Dackel an der Leine kam auf dem Gehsteig auf sie zu. Da sie ungern dem vorwurfsvollen oder mitleidigen Blick des Mannes begegnen wollte, sobald er die frische Lache Erbrochenes entdeckte, stieg sie rasch in ihr Auto und fuhr los.

      II

      Zum Glück hatte sie noch immer genügend Zeit zur Verfügung, bevor sie zur Arbeit musste. Nachdem sie das Mietshaus in der Wohnsiedlung Hansapark nördlich des Westparks erreicht hatte, in dem sie im zweiten Stock eine 78,5 Quadratmeter große Dreizimmerwohnung bewohnte, fuhr sie in die Tiefgarage und stellte den MINI auf ihren Stellplatz. Sie wollte nach Möglichkeit unbeobachtet sein, falls sie später tatsächlich Indizienbeweise eines Mordfalls in den Wagen laden musste, um sie hinterher irgendwo verschwinden zu lassen.

      Als sie wenig später in ihrer Etage aus dem Aufzug stieg, fiel ihr Blick automatisch auf die Eingangstür zur Nachbarwohnung, in der Raphael Guthmann gewohnt hatte. Die Wohnung stand seit seinem Tod leer und wurde allem Anschein nach von Grund auf renoviert. Manchmal hörte Anja jemanden dort arbeiten oder durch die Wohnung gehen; gesehen hatte sie aber noch niemanden. Sie erschauderte bei dem Gedanken an die damaligen Erlebnisse und wandte rasch den Blick ab.

      Sobald sie ihre eigene Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, zog sie Stiefel und Mantel aus. Ihre Bewegungen waren hektisch. Am liebsten hätte sie sofort damit begonnen, ihre Wohnung nach Beweisstücken zu durchsuchen, die ihr buchstäblich das Genick brechen konnten, wenn sie in falsche Hände gerieten. Doch sie ermahnte sich, Ruhe zu bewahren und es langsam angehen zu lassen. Schließlich hatte sie genügend Zeit; sie rechnete nicht wirklich damit, dass die Mordermittler in den nächsten zwei bis drei Stunden auf der Matte stehen könnten. Die Auswertung der Spurenlage am Schauplatz des Mordes würde noch eine ganze Weile dauern. Allein die Sicherung und Überprüfung der Fingerabdrücke würde sich über Stunden hinziehen. Und die Auswertung von DNA-Spuren, die möglicherweise in der Kirche gefunden wurden, würde sogar noch länger dauern. Davon abgesehen gab es an einem derart öffentlichen Ort, an dem ständig zahlreiche Menschen ein- und ausgingen, jede Menge Spuren, die allesamt ausgewertet werden mussten. Anja beneidete die zuständigen Beamten nicht um diese

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