DER WIDERSACHER. Eberhard Weidner

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DER WIDERSACHER - Eberhard Weidner Anja Spangenberg

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zu können. Gleichzeitig musste sie heftig schlucken, um den vermeintlichen Kloß zu entfernen, der in ihrem Hals steckte und ihr die Atmung erschwerte. Diese war ebenso wie ihr Herzschlag unwillkürlich schneller geworden, sobald sie den Wagen durch das geöffnete Tor auf die abwärts führende Rampe gefahren hatte.

      Doris hatte erst vor wenigen Tagen ihren vierzigsten Geburtstag gefeiert. Sie war ein Meter sechsundsechzig groß, hatte eine knabenhaft schlanke Statur, kurze mittelbraune Haare und braune ausdrucksstarke Augen, bei denen ihre Patienten unwillkürlich das Gefühl hatten, sie könnte damit bis in die verborgensten Tiefen ihres Innersten blicken. Sie war heute etwas später als sonst dran, weil sie auf dem Heimweg von der Praxis noch am Supermarkt haltgemacht hatte. Normalerweise kauften sie und ihr Mann, der als Chirurg in einer Privatklinik für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie tätig war, samstags für die gesamte Woche ein. Doch vor einer Stunde hatte ihr Mann Dietmar angerufen und ihr mitgeteilt, dass er überraschend einen alten Studienfreund getroffen und heute Abend zum Essen eingeladen hatte. Doris konnte es nicht ausstehen, wenn ihr straffer, meistens minutiös durchgeplanter Tagesablauf durcheinandergewirbelt wurde, doch Dietmar schaffte es immer wieder, dass sie seinem sprunghaften Verhalten und seinen spontanen Einfällen nachgab und ihm nicht lange böse sein konnte. Deshalb hatte sie rasch alle Zutaten für eine Tomatensuppe als Vorspeise, einen gemischten Salat und provenzalisches Hähnchen mit Grillgemüse eingekauft. Sie war zwar, wie sie sich selbst gegenüber eingestehen musste, keine besonders gute Köchin, doch da sie die ausgewählten Gerichte inzwischen oft genug zubereitet hatte, würde es keine unliebsamen Überraschungen geben.

      Als sie sich nun dem Doppelstellplatz näherte, der zu ihrer Wohnung gehörte, war Doris überzeugt, dass sich außer ihr niemand in der Tiefgarage aufhielt. Allerdings beruhigte sie dieser Gedanke nicht, da die irrationale Furcht, jemand könnte ihr an diesem Ort auflauern, sich von rationalen Überlegungen nicht im Mindesten beeindrucken ließ. Im Gegenteil, ihre Angst intensivierte sich sogar noch, denn solange sie im Wagen saß und die Türen verriegelt waren, fühlte sie sich noch verhältnismäßig sicher. Sobald sie allerdings geparkt hätte, würde sie den Wagen verlassen müssen, um ihre Einkäufe aus dem Kofferraum zu nehmen und zum Aufzug zu gehen. Zum Glück lagen ihre Stellplätze nicht weit davon entfernt, sodass sie nur wenige Meter zurücklegen musste. Für sie war es dennoch der nervenaufreibendste und gefühlt gefährlichste Teil ihres Weges in die Sicherheit, die die Fahrstuhlkabine ihr versprach.

      Da das Einparken aufgrund der Pfeiler ein hohes Maß an Konzentration erforderte, war ihr eine kleine Atempause vergönnt, in der sie nicht so stark von ihren Ängsten geplagt wurde. Doch sobald das Auto stand und sie sich davon überzeugt hatte, dass sie rechts genug Platz für Dietmars Jaguar gelassen hatte, kehrte die Furcht in unverminderter Stärke zurück.

      Doris stellte den Automatikhebel auf P, zog die Feststellbremse an und schaltete dann den Motor aus. Sobald das Motorbrummen verstummt war, verhielt sie sich eine Weile mucksmäuschenstill, hielt sogar den Atem an und lauschte aufmerksam. Doch über das rasche Klopfen ihres Herzens hinaus war nur das Knacken abkühlender Metallteile des erhitzten Motorblocks zu hören. Sie sah sich mit ruckartigen Bewegungen um, wobei sie wie ein aufgeregter Vogel wirkte, konnte jedoch nichts Verdächtiges entdecken.

      Niemand da!

      Sobald sie zu diesem Schluss gekommen war, hatte sie es eilig, den Wagen zu verlassen, denn sie wollte in der Aufzugskabine sein, bevor die Zeitschaltuhr dafür sorgte, dass das Licht in der Tiefgarage ausging. Erschaudernd erinnerte sie sich daran, wie sie einmal zu lange im Wagen sitzen geblieben war, weil sie zu ängstlich gewesen war, um auszusteigen. Auf dem Weg zum Fahrstuhl war es dann plötzlich dunkel geworden. Nur die Notbeleuchtung hatte gebrannt. Doris hatte geglaubt, sie würde an Ort und Stelle sterben, weil ihr Herz jäh zu schlagen aufgehört und sich geweigert hatte, seinen Dienst sofort wieder aufzunehmen. Doch dann hatte der Herzschlag zum Glück wieder eingesetzt, heftiger als je zuvor, und sie war wimmernd zum Fahrstuhl gerannt und hatte den erleuchteten Lichtschalter daneben betätigt, worauf es endlich wieder hell geworden war. Der furchtbare Vorfall hatte sie einige graue Haare und mit Sicherheit ein paar Jahre ihres Lebens gekostet. Damit er sich nicht wiederholte, hatte sie den Hausmeister gebeten, den Zeittakt der Tiefgaragenbeleuchtung zu verlängern. Es waren wahrscheinlich weniger ihre Worte, sondern eher der Hunderteuroschein gewesen, der den Mann schließlich davon überzeugt hatte, ihren Wunsch zu erfüllen, doch das war ihr egal, denn am Ende zählte nur das Ergebnis. Seitdem war sie nicht mehr von der Dunkelheit überrascht worden. Dennoch wusste sie, dass sie nicht trödeln durfte und sich beeilen musste.

      Sobald sie sich ihre Handtasche geschnappt hatte und eilig ausgestiegen war, wurde das Angstgefühl in ihr intensiver und schnürte ihr die Kehle zu, sodass sie Schwierigkeiten hatte, genügend Luft zu bekommen. Der rationale Teil ihres Verstandes, der weiterhin in der Lage war, ihr zutiefst irrationales Verhalten zu analysieren, erklärte ihr im Tonfall eines gelangweilten Hochschulprofessors, dass die Angst zur Alarmreaktion ihres Körpers und damit zur Aktivierung verschiedener Körperfunktionen führte. Indem ihr Herz schneller schlug, ihre Atmung rascher erfolgte, die Muskeln sich am ganzen Körper anspannten und gleichzeitig sämtliche Sinnesorgane mit erhöhter Aufmerksamkeit reagierten, wurde sie in die Lage versetzt, rascher und effizienter auf eine mögliche Gefahr oder Bedrohung zu reagieren. Entweder indem sie sich der Gefahr durch Flucht entzog oder dieser in einem Kampf begegnete. Doch da nicht wirklich eine Gefahr drohte und die Angst daher irrational war, waren die Reaktionen ihres Körpers wie das Herzrasen, die Schwindelgefühle, die leichte Übelkeit und die Atemnot in diesem Fall wenig hilfreich und daher eher eine Belastung für sie.

      Und obwohl sie sich ihrer Angststörung an jedem Arbeitstag morgens und abends aussetzen musste, war kein Gewöhnungseffekt eingetreten und war es ihr auch nicht gelungen, sie in den Griff zu bekommen. Aber immerhin schaffte sie es aufgrund ihrer nahezu täglichen Routine inzwischen, ein wenig besser damit umzugehen und angemessener darauf zu reagieren.

      Doris wusste aus Erfahrung, dass sie die körperlichen Auswirkungen ihrer Angststörung für kurze Zeit komplett ignorieren konnte, indem sie sich stattdessen intensiv auf andere Dinge konzentrierte. Deshalb ging sie nun in Gedanken noch einmal die Zutatenliste für das Essen durch, das sie zubereiten wollte, sobald sie in ihrer Wohnung war und sich frischgemacht und andere Sachen angezogen hatte. Anschließend vergegenwärtigte sie sich in allen Einzelheiten geradezu bildhaft die jeweiligen Arbeitsschritte.

      Während sie das tat, eilte sie zum Kofferraum ihres Wagens und entnahm ihm rasch die beiden Tüten mit den Einkäufen. Anschließend schloss sie den Kofferraum und verriegelte das Fahrzeug trotz ihrer Eile gewissenhaft, bevor sie sich schließlich in Bewegung setzte und zum Fahrstuhl lief, so schnell ihre Last es ihr erlaubte.

      Das Geräusch ihrer eiligen Schritte wurde von den kahlen Betonwänden zurückgeworfen und verstärkt, sodass sie ihr überlaut vorkamen. Denn auch wenn sie sich gedanklich anderweitig beschäftigte, lauschte Doris weiterhin auf verdächtige Laute in ihrer Umgebung und sah sich wie ein hypernervöses Beutetier ständig um.

      Erst als sie ohne Zwischenfall den Fahrstuhl erreicht und auf den Knopf gedrückt hatte, wagte sie es zum ersten Mal, erleichtert aufzuatmen. Es war ihr zwar von vornherein klar gewesen, dass ihr – wie unzählige Male zuvor – in der Tiefgarage keine reale Gefahr drohte, dennoch war sie heilfroh, dass sie wieder einmal recht behalten hatte.

      Die Fahrstuhlkabine war in einem der oberen Stockwerke gewesen. Doris hörte, wie sie sich von dort aus in Bewegung setzte und nach unten fuhr. Sie wandte der Fahrstuhltür den Rücken zu, um die Tiefgarage weiterhin im Auge behalten zu können. Doch nun, da sie alsbald die Garage verlassen konnte und damit in Sicherheit war, legten sich sowohl ihre Angst als auch die physiologischen Reaktionen allmählich, die diese ausgelöst hatte. Doris erlaubte sich sogar ein angedeutetes Lächeln, als ihr bewusst wurde, dass sie es wieder einmal überstanden und gleichzeitig ihrer größten irrationalen Angst getrotzt hatte, ohne sich ihr zu unterwerfen. Schließlich könnte sie es sich auch einfach machen, indem sie Situationen, die diese Angst in ihr auslösten, komplett vermied und sich schlicht

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