DER WIDERSACHER. Eberhard Weidner

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DER WIDERSACHER - Eberhard Weidner Anja Spangenberg

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hob die Arme und spannte die Muskeln an. Er wandte den Kopf zuerst nach rechts und dann nach links und betrachtete selbstgefällig seine ausgeprägten Bizepse, für deren Aufbau er nicht nur lange schweißtreibende Stunden in der Muckibude verbracht, sondern auch haufenweise Proteine und Anabolika geschluckt hatte. Doch auch das hatte sich, wie er fand, ausgezahlt.

      Er entspannte seine Muskeln wieder und ließ die Arme sinken. Anschließend kehrte sein Blick zu seinem Spiegelbild zurück. Mit argwöhnischer Miene und zusammengekniffenen Augen, denn er war etwas kurzsichtig, suchte er seinen nur mit einem um die Hüften geschlungenen Badetuch bekleideten Körper nach einem Makel ab. Er konnte jedoch keinen finden. Mit einer Körpergröße von zwei Metern und zwei Zentimetern – auf die beiden Zentimeter legte er großen Wert, denn sie hoben ihn von all den gewöhnlichen Zweimetermännern ab – und dem muskulösen Körper eines durchtrainierten Bodybuilders sah er nicht nur äußerst eindrucksvoll, sondern geradezu ehrfurchtgebietend aus. So mancher hatte ihn schon mit dem jungen Arnold Schwarzenegger verglichen, auch wenn Kohler der Meinung war, dass ihm der Vergleich nicht wirklich schmeichelte, weil er viel besser aussah als Arnie zu seinen besten Zeiten.

      Begegnete Kohler anderen Männern, erfüllte es ihn jedes Mal mit Genugtuung und Stolz, wenn sie nach einem ängstlichen Blick auf seine Körpergröße und enorme Muskelmasse sofort respektvoll zur Seite traten, um ihm Platz zu machen. Er liebte es, von anderen geachtet und gleichzeitig gefürchtet zu werden. Aus diesem Grund war es nur naheliegend gewesen, dass er sich nach dem Abschluss der Mittelschule bei einem Münchner Wach- und Sicherheitsdienst als Personenschützer beworben hatte. Und obwohl er keine militärische oder polizeiliche Ausbildung genossen hatte und keine einzige Form der waffenlosen Selbstverteidigung beherrschte, war er sofort eingestellt worden, denn in der Regel genügte schon sein bloßer Anblick, um andere Menschen einzuschüchtern und nicht auf dumme Gedanken kommen zu lassen.

      Kohler war hauptsächlich im Personenschutz, bei Bedarf aber auch immer mal wieder als Chauffeur sowie im Objekt- und Veranstaltungsschutz tätig. Von seinen Bekannten wurde er wegen seines Jobs als Schutzengel der Reichen und Berühmten Angel genannt. Allerdings erst, als er eines Abends selbst den Namen ins Spiel gebracht hatte.

      Nachdem er keinen offensichtlichen Makel in seiner äußeren Erscheinung gefunden hatte, hob Kohler die rechte Hand und fuhr sich mit den Fingern durch sein dunkelbraunes Haar, das noch nass und eine seiner wenigen Schwachstellen war. Obwohl er erst dreißig Jahre alt war, hatte sein Kopfhaar bereits frühzeitig damit begonnen, zu ergrauen und sich an der Stirn und am Oberkopf deutlich sichtbar zu lichten. Der plastische Chirurg hatte ihm erklärt, dass der Haarausfall und das Ergrauen in seinem Fall neben den Steroiden, die er zu sich nahm, auch genetische Gründe hatten. Es war ein Erbe seines Vaters, der bereits mit fünfunddreißig Jahren nur noch einen mickrigen silbernen Haarkranz besessen hatte, der ihn um mindestens fünfzehn Jahre älter gemacht hatte. Da Kohler darauf absolut keine Lust hatte, hatte er sich 1.500 Haarwurzeln aus dem Hinterkopf entnehmen und im Stirnbereich und am Oberkopf einsetzen lassen. Außerdem ließ er seine Haare regelmäßig färben. Mit dem Ergebnis war er vollauf zufrieden, denn mittlerweile merkte niemand mehr, dass sein Haar einmal eine seiner Problemzonen gewesen war.

      Problem Nummer zwei waren seine Augen. Er litt seit seinem zwanzigsten Lebensjahr unter einer leichten Kurzsichtigkeit, die sich in letzter Zeit zu verschlimmern schien. Allerdings war er zu eitel, um eine Brille zu tragen. Außerdem fand er, dass ein Personenschützer mit Brille auf der Nase höchst uncool war. Deshalb hatte er es mit Kontaktlinsen versucht. Doch er schaffte es einfach nicht, sich die Linsen in die Augen zu setzen. Sein Lidschlussreflex, der das Augenlid jedes Mal unmittelbar vor dem Einsetzen automatisch schloss, machte ihm immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Das wunderte ihn allerdings nicht, denn seine Augen waren schon immer seine sensible Zone gewesen. Bereits als Kind hatte er Probleme gehabt, sich Tropfen ins Auge zu träufeln. Vor allem im Job bemühte er sich daher, sich von seiner Kurzsichtigkeit nichts anmerken zu lassen und sich irgendwie durchzumogeln. Bisher war ihm das gelungen, ohne dass jemand Verdacht geschöpft hatte, doch wenn sich die Sehschwierigkeiten verstärkten, musste er wohl oder übel allmählich doch über eine Brille nachdenken.

      Kohler seufzte. Nachdem sein nahezu perfekter Adoniskörper ihn vor wenigen Augenblicken noch mit so viel Freude erfüllt hatte, wollte er sich den Abend nicht vermiesen lassen, indem er noch länger über seine Kurzsichtigkeit nachgrübelte. Deshalb verdrängte er das Thema kurzerhand aus seinem Bewusstsein. Doch da eins meist zum anderen führte, machte er sich plötzlich Gedanken über seine Erektionsstörungen, womit er unversehens und ungewollt beim Problembereich Nummer drei angelangt war. Er hatte den starken Verdacht, dass es vor allem an den Anabolika lag, dass er nicht nur ordentlich Muskeln aufgebaut, sondern inzwischen immer größere Schwierigkeiten hatte, einen Ständer zu bekommen. Doch da er gegenüber Frauen ohnehin unerwartet schüchtern war, war es bislang kein riesiges Problem für ihn gewesen. Dennoch machte er sich gelegentlich Gedanken, ob es nicht doch besser wäre, auf Steroide zu verzichten. Aber dann, so befürchtete er, würde er einen Teil seiner eindrucksvollen Muskelmasse und vielleicht sogar seinen Job verlieren. Außerdem fürchtete er mögliche Entzugserscheinungen. Also kam ein Verzicht auf Anabolika für ihn im Grunde überhaupt nicht infrage, sodass es sich gar nicht lohnte, darüber nachzugrübeln.

      Erneut seufzte Kohler tief, bevor er all die negativen Gedanken aus seinem Bewusstsein verdrängte. Ein letzter Blick in den Spiegel auf seinen athletisch wirkenden gebräunten Körper hob seine Stimmung sofort wieder und ließ ihn erneut breit grinsen, sodass seine unnatürlich weißen Zähne im Lichtschein der Beleuchtung aufblitzten. Dann wandte er sich ab, verließ das Badezimmer und schaltete das Licht aus.

      Auf dem Weg durch den Flur zum Schlafzimmer, wo er seine Kleidung für diesen Abend bereits vor dem Duschen ausgewählt und aufs Bett gelegt hatte, sang er leise vor sich hin: »I’m too sexy for my love, too sexy for my love …«

      Doch als er gerade die Kommode passierte, auf der sein Smartphone lag, gab dieses plötzlich die Tonfolge für einen eingehenden Anruf von sich, sodass er unwillkürlich erschrak und verstummte.

      »Irgendwann bekomme ich noch einen Herzinfarkt«, murmelte er, wovor er tatsächlich große Angst hatte. Denn der längerfristige Konsum anaboler Steroide führte nach Meinung anerkannter Experten nicht nur zu einer gestörten Spermienproduktion, Schrumpfhoden und Unfruchtbarkeit, sondern erhöhte auch das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko. Doch ebenso wie ein nikotinabhängiger Raucher, den auch keine noch so furchtbaren Schockbilder möglicher gesundheitlicher Folgen auf Zigarettenschachteln vom Rauchen abhielten, ignorierte Kohler sämtliche Risiken, die die Einnahme von Anabolika für ihn bedeuten konnten.

      Er griff nach seinem Handy und warf einen Blick auf das Display, um zu sehen, wer ihn anrief. Es handelte sich jedoch um eine unbekannte Nummer. Da er auf dem Telefon allerdings nur wenige Kontakte gespeichert hatte, kam das oft vor. Deshalb dachte er sich nichts dabei und nahm den Anruf entgegen.

      »Ja?«

      »Spreche ich mit Ralf Kohler, der von seinen wenigen Freunden auch Angel genannt wird?«, fragte die tiefe Bassstimme eines Mannes.

      Kohler runzelte verwirrt die Stirn. Er kannte die Stimme nicht, die aufgrund ihrer Tiefe auf ihn allerdings unwillkürlich einschüchternd wirkte. Aber vielleicht erlaubte sich einer seiner Bekannten einen Spaß mit ihm und hatte einen Freund gebeten, ihn anzurufen. Deshalb beschloss er, erst einmal mitzuspielen, um den Spieß dann umzudrehen und dem Anrufer und seinem Freund den Spaß zu verderben.

      »Ja, der bin ich. Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«

      »Ich bin der Tod!«

      Kohler machte ein verdutztes Gesicht und sah sich dabei in dem mannshohen Spiegel an, der im Flur hing. Es gab noch weitere Spiegel, die in der ganzen Wohnung verteilt waren, ebenso wie unzählige Fotografien von ihm selbst, denn Kohler konnte nicht genug von seinem Ebenbild bekommen. Als er jetzt seinen entgeisterten Gesichtsausdruck

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