DER WIDERSACHER. Eberhard Weidner

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DER WIDERSACHER - Eberhard Weidner Anja Spangenberg

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schien. Wenn dieser durchgeknallte Irre – als Frau vom Fach vermied Doris eigentlich derartiges Vokabular, doch in der gegenwärtigen Situation scherte sie sich nicht darum – also unbedingt ihre Atemluft wollte, dann konnte er sie gerne haben. Hinterher würde sie sich einfach den Mund abwaschen und gründlich mit einem Mundhöhlenantiseptikum ausspülen.

      Um ihm zu signalisieren, dass sie ihm ihren Atem geben wollte, nickte Doris zustimmend.

      Sofort verzog er das Gesicht wieder zu seinem unangenehmen Totenkopfgrinsen, das sie erneut erschaudern ließ. »Ich wusste, dass du vernünftig bist«, flüsterte er. »Schließlich bist du Psychiaterin, und mit denen kenne ich mich aus.«

      Seine Worte überraschten sie nicht, denn bei seiner Erkrankung musste er eine entsprechende Vorgeschichte und bereits Erfahrungen mit Psychologen und Psychiatern gemacht haben, doch dieses Wissen war im Moment zweitrangig. Wichtig war, dass sie das Beste aus dieser Situation machte und unversehrt davonkam. Sobald er erst einmal seine Hand von ihrem Mund genommen hätte, könnte sie mit ihm reden. Schließlich war das ihr Job, und sie war ausgebildet worden, mit psychisch gestörten Menschen wie ihm umzugehen.

      Doch er nahm die Hand nicht von ihrem Mund. Stattdessen griff er mit der anderen Hand unter die leichte Windjacke, die er trug.

      Doris schielte ängstlich dorthin, wo seine Hand verschwunden war. Eisiges Entsetzen durchfuhr sie, als die Hand mit einem Messer wieder zum Vorschein kam. Es besaß eine schmale, beidseitig geschliffene Klinge und sah wie ein Brieföffner aus. Doris wollte wieder schreien, doch da seine linke Hand unverrückbar auf ihrem Gesicht lag und ihren Mund verschloss, wurde daraus nur ein unterdrücktes Wimmern.

      »Pssssst!«, machte der Mann tadelnd und schüttelte den Kopf. »Wehr dich nicht dagegen, denn ich würde dir ungern mehr als unbedingt nötig wehtun.« Anschließend setzte er die Klingenspitze in der Höhe ihres Herzens unter ihre linke Brust und übte ein klein wenig Druck aus, sodass die Klinge sowohl ihre Kleidung als auch die obersten Hautschichten durchstieß.

      In diesem Moment gingen die Deckenlampen in der Tiefgarage aus. Doch aus dem Fahrstuhl, dessen Tür der Mann blockiert haben musste, sodass sie noch immer offenstand, fiel weiterhin Licht auf die beiden Menschen.

      Doris stöhnte vor Schmerzen und sog durch die Nase Luft ein, denn mehr war ihr nicht möglich. Sie versuchte, den Kopf herumzuwerfen, um die Hand auf ihrem Mund loszuwerden, doch der Mann ließ sie nicht los. Erneut wollte sie sich aufbäumen und ihn abwerfen, aber auch das ließ er nicht zu.

      Er verstärkte den Druck auf das Messer, dessen Klinge langsam, aber unerbittlich tiefer in ihren Körper eindrang.

      Der Schmerz durchfuhr ihren Körper wie ein Blitzstrahl. Es fühlte sich an, als würde sie von einem weißglühenden Eisendorn durchbohrt werden. Doris atmete keuchend und stoßweise durch die Nase.

      Der Mann beugte sich noch weiter herunter, bis sein Totenschädelgesicht, auf dem ein erwartungsvolles Lächeln lag, unmittelbar über dem ihren schwebte. Dann nahm er rasch die Hand vor ihrem Gesicht, hielt ihr stattdessen mit Daumen und Zeigefinger die Nase zu, öffnete den Mund ganz weit und presste schließlich seine Lippen auf ihre.

      Doris hielt unwillkürlich die Luft an.

      Das schien ihm nicht zu gefallen, denn augenblicklich schob er die Messerklinge ein gutes Stück weiter in sie hinein.

      Vor Schmerz stieß sie die angehaltene Luft aus, die er daraufhin gierig in sich einsog.

      Er nahm seinen Mund von ihrem und sagte: »Atme!«

      Doris blieb nichts anderes übrig, als nach Luft zu schnappen. Kaum hatte sie das getan, presste er seinen Mund wieder auf ihren und schob das Messer erneut tiefer in ihren Körper, sodass sie gezwungen war, auszuatmen.

      Der Schmerz in ihrer Brust wurde immer stärker, je tiefer sich die Klinge hineinbohrte, sodass sie sich nur noch darauf konzentrieren konnte und kaum etwas anderes wahrnahm. Deshalb bekam sie nicht mit, wie oft ihr Angreifer seine Aktion wiederholte und die Luft inhalierte, die sie ausatmete.

      »Gleich ist es vorbei«, sagte er, wie ihr schien, nach einer Ewigkeit flüsternd.

      Doris hätte daraufhin Todesangst empfinden müssen, doch über diesen Punkt war sie längst hinaus. Alles, was sie fühlte, war grenzenlose Erleichterung, dass die Qualen endlich ein Ende haben würden.

      Schließlich explodierte der Schmerz in ihrer Brust, als er das Messer bis zum Heft hineindrückte und ihr Herz durchbohrte, und überrollte ihren Verstand wie eine lodernde Feuersbrunst.

      Gierig inhalierte er ihren letzten Atemzug, bis ihre Atmung schließlich versiegte, hob den Kopf und blickte in ihre brechenden Augen.

      »Ich danke dir.«

      Sein Flüstern war das Letzte, was sie in dieser Welt wahrnahm. Es begleitete sie, tausendfach widerhallend, als ihr Bewusstsein in den Abgrund jenseits des Todes stürzte.

      Sobald die Frau tot war, richtete sich der skelettartige Mann auf und kam auf die Beine. Er trat einen Schritt zurück und sah sich um. Während er die letzten Atemzüge seines Opfers inhaliert, sie gleichzeitig getötet und dadurch gewissermaßen ihr Leben eingeatmet hatte, war es ihm nicht möglich gewesen, auf seine Umgebung zu achten. In diesen ekstatischen Momenten war daher die Gefahr am größten, dass jemand zufällig des Weges kam und ihn auf frischer Tat überraschte. Doch er und der Leichnam der Psychiaterin waren noch immer allein in der dunklen Tiefgarage.

      Erneut warf er einen Blick auf sein Opfer, das im Licht, das aus dem Fahrstuhl nach draußen fiel, so aussah, als schliefe es nur. Er war der Frau zutiefst dankbar, dass sie ihm ihre letzten Atemzüge geschenkt und sein Leben für ihn gegeben hatte, auch wenn sie es natürlich nicht freiwillig getan hatte. Doch er spürte bereits, wie es wirkte, denn er fühlte sich kraftvoller und energiegeladener als zuvor. Und der Geruch der Verwesung, der ihn seit seinem Tod umgab und in der Regel sein ständiger Begleiter war, war nicht mehr wahrnehmbar. Allerdings würde die Wirkung nicht allzu lange anhalten und den Zerfall seines toten Körpers letztendlich nur hinauszögern.

      Jäh besann er sich darauf, wo er war und dass noch immer die akute Gefahr bestand, dass jemand kam und ihn am Tatort ertappte. Deshalb riss er schließlich den Blick von seinem Opfer los.

      Er sah den Schweizer Dolch in seiner Hand an, an dem noch immer das Blut der Frau klebte. Rasch bückte er sich und wischte die Klinge aus Torsionsdamast an ihrem Blazer sauber. Anschließend steckte er den Dolch zurück in die Scheide, die er verborgen unter seiner Jacke trug, und holte stattdessen einen transparenten Tiefkühlbeutel heraus. Dieser enthielt einen einzigen Gegenstand, den er behutsam entnahm und unmittelbar neben der Stichwunde, die inzwischen zu bluten aufgehört hatte, auf dem Leichnam deponierte. Anschließend wandte er sich ab und trat in den Aufzug. Er beseitigte die Türblockade und drückte den Knopf fürs Erdgeschoss. Ihm war noch ein allerletzter kurzer Blick auf sein jüngstes Opfer vergönnt, bevor sich die Tür schloss und der Fahrstuhl mit einem leichten Ruck in Bewegung setzte.

      Kapitel 2

      Ralf Kohler wischte den Spiegel ab, der nach dem Duschen beschlagen war, und betrachtete dann sein darin leicht verschwommen sichtbares Ebenbild. Mit dem, was er sah, war er höchst zufrieden, sodass er nicht anders konnte, als breit zu grinsen. An den strahlend weißen Zähnen in seinem Gesicht mit den männlich markanten Zügen, die das Bild der Perfektion ergänzten, das er abgab, hatte sein Zahnarzt ein kleines Vermögen verdient. Kein Wunder, dass der Mann jetzt einen Porsche fuhr. Aber nach Kohlers Meinung hatte er sich das Geld redlich

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