DER WIDERSACHER. Eberhard Weidner

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DER WIDERSACHER - Eberhard Weidner Anja Spangenberg

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einen Gefrierbeutel aus der Innentasche seiner Jacke. Er nahm den Gegenstand heraus, der sich im Beutel befand, und schob ihn in die Brusttasche des Sakkos, das der Bewusstlose trug. Dann steckte er den leeren Beutel wieder ein, bevor er zum Fenster ging und nach draußen sah. Da im Wohnzimmer hinter ihm kein Licht brannte, vor dem sich seine Silhouette abzeichnen konnte, und der Nachthimmel dicht bewölkt war, sodass der sichelförmige Mond dahinter verborgen war, war die Gefahr verschwindend gering, dass ihn jemand sah. Außerdem befanden sie sich im vierten Stock, wohin das Licht der Straßenlaternen nicht reichte. Um dennoch keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen, bewegte er sich behutsam und wie in Zeitlupe, als er sich nach allen Richtungen umsah. Die Straße vor dem Haus war verlassen. Hinter einem offenen Fenster auf der anderen Straßenseite stand ein alter Mann, rauchte eine Zigarette und sah auf die Straße hinunter. Ansonsten war im Augenblick niemand zu sehen.

      Der Eindringling wartete reglos und geduldig, bis der alte Mann seine Zigarette ausdrückte, das Fenster schloss und verschwand. Erst nachdem auch noch das Licht ausgegangen war, öffnete er das Fenster. Anschließend kehrte er nach einem letzten Blick in die Runde zu seinem Opfer zurück.

      Der Personenschützer war noch immer bewusstlos und hatte sich nicht gerührt. Als der Mann mit der tiefen Stimme ihn an den Füßen packte und zum Fenster schleifte, stöhnte er leise, wachte aber nicht auf.

      Nachdem der Eindringling sich noch einmal davon überzeugt hatte, dass niemand ihn beobachten konnte und die Straße unter ihnen noch immer verlassen war, hievte er den Bewusstlosen übers Fensterbrett und ließ ihn dann los.

      Ralf Kohler fiel vier Stockwerke tief, bevor er mit einem eigentümlichen Klatschen zwischen der Hausmauer und den am Straßenrand geparkten Autos auf dem Bürgersteig landete und augenblicklich starb. Allerdings bekam er davon gnädigerweise nichts mehr mit, da er bis zur letzten Sekunde ohne Bewusstsein blieb.

      Noch bevor der Körper am Boden aufgekommen war, hatte der Eindringling bereits das Fenster geschlossen und sich abgewandt, um eilig und ungesehen zuerst die Wohnung und anschließend das Haus zu verlassen.

      Kapitel 3

      Es war bereits nach Mitternacht, als Edgar Wimmer die Abkürzung durch den Luitpoldpark nahm.

      Wimmer hatte den Park, von Westen kommend, an der Brunnerstraße betreten. Nun war er auf einem der Wege in östlicher Richtung unterwegs und hatte soeben den Pumucklspielplatz mit dem Brunnen und dem Heckenlabyrinth passiert.

      Obwohl der Luitpoldpark um diese Uhrzeit ausgesprochen finster und völlig menschenleer war, hatte der 55-jährige Mann mit den kurzen mittelbraunen Haaren keine Angst. Warum auch? Schließlich nahm er diesen Weg an jedem Arbeitstag, und das sogar zweimal. Einmal bei Tageslicht am Vormittag, wenn er von seiner kleinen Zweizimmerwohnung in einem fünfstöckigen Mietshaus in der Hörwarthstraße zu seiner Arbeitsstätte ging. Dabei handelte es sich um ein bayerisches Wirtshaus mit Biergarten auf der anderen Seite des Parks, wo er als Kellner arbeitete. Nach Schließung der Wirtschaft um Mitternacht ging es anschließend wieder in die andere Richtung, nur dass es dann dunkel und vor allem an Werktagen kaum noch jemand im Park unterwegs war. Doch das machte Wimmer nichts aus. Im Gegenteil. Er liebte die nächtliche Stille nach den lauten und anstrengenden, oft hektischen Stunden in der Wirtschaft mit den manchmal nervigen, quengelnden Gästen, denen man oft nichts recht machen konnte.

      Da Wimmer diesen Weg schon so oft gegangen war, dass er ihn sogar im Schlaf mit verbundenen Augen gefunden hätte, und seine Beine ihn wie ein Autopilot nach Hause brachten, ohne dass er ständig darauf achten musste, wohin er lief, war er dabei meistens tief in Gedanken versunken. In der Regel ließ er dabei die vergangenen Stunden noch einmal vor seinem inneren Auge Revue passieren und dachte an die bemerkenswertesten der zahlreichen Gäste, die er im Laufe dieses Arbeitstages bedient hatte.

      In den mehr als fünfunddreißig Jahren, in denen er nun schon als Kellner tätig war, hatte er eine Art geheimes Ranking für seine Gäste entwickelt. Dabei vergab er wie in der Schule Noten von eins bis sechs. Zunächst gab es eine Note für die Freundlichkeit des Gastes, dann eine weitere für seine Großzügigkeit im Hinblick auf das Trinkgeld. Denn da der Beruf des Kellners zu den schlechtbezahltesten überhaupt gehörte, bildete das Trinkgeld einen wichtigen Bestandteil des Verdienstes. Aus diesen beiden Noten bildete Wimmer anschließend eine Durchschnittsnote. Natürlich war er nicht in der Lage, sich sämtliche Gäste und ihre Noten zu merken, aber sowohl die schlimmsten als auch die positivsten Fälle behielt er im Gedächtnis.

      Der schlechteste Gast war bis zum heutigen Tag ein Mann gewesen, der schon schimpfend zur Tür hereingekommen war und anschließend über alles und jeden lautstark gemeckert hatte: über das trostlose Ambiente, die langweilige Tischdekoration, die Lautstärke der anderen Gäste, den miserablen Service – womit er vor allem Wimmer meinte, der ihn bediente –, die zu geringe Füllmenge seines Getränks, die Temperatur, die Menge sowie die Qualität seines Essens, die berufliche Eignung des Kochs und schließlich die mangelnde Sauberkeit der Toiletten. Am Ende hatte er auch noch versucht, um den Preis zu feilschen, als wären sie auf einem türkischen Basar. Aber da war es Wimmer schließlich zu bunt geworden, und er hatte kurzerhand seinen Chef geholt, damit der sich mit dem Querulanten herumärgern konnte. Am Ende hatte der Gast, nachdem der Chef mit Polizei, Anwalt und einem Gerichtsverfahren gedroht hatte, widerstrebend bezahlt, natürlich ohne einen Cent Trinkgeld zu geben, und war, weiterhin vor sich hin motzend, gegangen. Der Mann war nie wiedergekommen, was Wimmer nicht verwunderte und worüber er insgeheim sogar froh war. Dennoch hatte er den Gast, ebenso wie einige andere, in denkbar schlechter Erinnerung behalten. Er hatte dem Mann zweimal die Note sechs gegeben, wodurch er sofort zum Spitzenreiter seiner Liste der unangenehmsten Gäste aufgestiegen war. Und bis heute war Wimmer davon ausgegangen, dass ihn niemand von dort verdrängen würde, schließlich gab es bekanntlich keine schlechtere Schulnote als die sechs.

      Doch der heutige Tag hatte ihn, wie es das Leben seiner Meinung nach immer wieder tat, eines Besseren belehrt. Denn er hatte es mit einem Gast zu tun bekommen, für den er eine neue Notenstufe einführen musste, nämlich eine sechs minus. Und diese Benotung hatte der unsympathische Kerl sich in beiden Kategorien auch redlich verdient.

      Als wäre er aus dem Nichts aufgetaucht, stand der Mann an diesem Abend urplötzlich hinter Wimmer, als dieser sich mit einem Tablett voller Getränke von der Theke wegdrehte und eilig losmarschierte. Da der Kellner sofort abrupt abbremsen musste, um eine Kollision zu verhindern, geriet das runde Tablett auf seiner Handfläche unweigerlich in Schieflage, und die vollen Gläser, die darauf standen, neigten sich zur Seite und kamen bedenklich ins Rutschen. Reaktionsschnell gelang es ihm, das Tablett gerade noch rechtzeitig wieder aufzurichten, bevor es auf einer Seite Übergewicht bekommen, von seiner Hand kippen und mit allen Getränken zu Boden stürzen konnte. Anschließend atmete Wimmer erleichtert auf und warf dem anderen Mann einen irritierten, leicht verärgerten Blick zu.

      »Sie müssen schon ein bisschen besser aufpassen«, sagte dieser herablassend und schüttelte den Kopf. »Nicht auszudenken, wenn Sie durch Ihre Ungeschicklichkeit Hannibal und mir eine Dusche aus Bier, Wein und Cola verpasst hätten.«

      Wer zum Teufel ist Hannibal?, fragte sich Wimmer, bevor er den Yorkshire Terrier entdeckte, den der Mann auf dem Arm trug, und der, als wäre sein Name das Kommando dazu gewesen, in diesem Moment mehrere Male bellte.

      »Jetzt sehen Sie nur, was Sie angerichtet haben!«, sagte der Gast theatralisch und sah Wimmer mit aufblitzenden Augen zornig an. »Mit Ihrer Tollpatschigkeit haben Sie Hannibal einen ganz schönen Schrecken eingejagt.«

      Wimmer war zu perplex, um etwas darauf zu erwidern. Außerdem hätte er ohnehin nicht gewusst, was er darauf sagen sollte.

      Da der Mann ihm im Weg stand und keine Anstalten machte, zur Seite zu treten, um den Weg freizumachen, während er seelenruhig seinen

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