DER WIDERSACHER. Eberhard Weidner

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DER WIDERSACHER - Eberhard Weidner Anja Spangenberg

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er jetzt, noch immer auf dem Weg durch den Luitpoldpark, noch einmal gründlich darüber nachdachte, kam er zu haargenau demselben Ergebnis. Der dicke Mann hatte sich den ersten Platz in der Tabelle der schlechtesten Gäste redlich verdient. Es war nicht nur seine Unfreundlichkeit gewesen und dass er an allem etwas auszusetzen gehabt hatte. Seine Art und sein Verhalten waren Wimmer zutiefst zuwider gewesen. Die ganze Zeit über hatte er das Gefühl gehabt, der Kerl würde ihn anstarren. Warum auch immer? Darüber hinaus hatte er in der Gegenwart des Mannes ständig ein Gefühl der Bösartigkeit und Heimtücke verspürt. Doch das war zum Glück Vergangenheit. Wimmer hoffte, dass der Kerl nie wieder in ihr Lokal kam, auch wenn er vor seinem Weggang etwas anderes angedeutet hatte.

      Der Kellner folgte weiterhin dem Weg durch den Park. Er hatte es nicht eilig, denn er lebte allein; zu Hause wartete nur sein Bett auf ihn. Bis vor siebzehn Jahren war Wimmer verheiratet gewesen. Doch dann hatte ihn seine Frau nach dreizehn Ehejahren von heute auf morgen verlassen, um mit einem anderen Mann zusammenzuleben. Wimmer war damals aus allen Wolken gefallen, als Eva unversehens ihre Koffer gepackt und ihm gleichzeitig mitgeteilt hatte, dass sie ihn schon seit Jahren betrogen hätte und fremdgegangen wäre. Und er hatte nicht das Geringste davon bemerkt. »Weil du ständig so lange arbeitest. Und weil du selbst dann nie richtig da bist, wenn du zu Hause bist«, hatte seine Ex-Frau, denn die Ehe war längst geschieden, damals zu ihm gesagt. Und da sie gemerkt hatte, dass er nicht verstand, was sie damit meinte, hatte sie erklärend hinzugefügt: »Dein Beruf ist dir wichtiger als alles andere. Du lebst nur für deine Arbeit. Und selbst wenn du zu Hause und mit mir zusammen bist, denkst du nur an deinen Job und an deine blöden Gäste.« Mit diesen abschließenden Worten hatte sie sich umgedreht und war mit ihren Koffern aus der gemeinsamen Wohnung und seinem Leben verschwunden. Er hatte sie nur noch ein einziges Mal wiedergesehen, beim Scheidungstermin vor der Familienrichterin. Zuerst hätte er sie gar nicht wiedererkannt, denn alles an ihr hatte sich verändert: ihre Frisur, ihre Haarfarbe, ihre Kleidung, sogar ihr Auftreten. Sie sah glücklich aus und lachte viel. Da wurde Wimmer bewusst, dass er seine Frau in den letzten Jahren ihrer Ehe immer seltener lachen gesehen hatte. Gleichzeitig erkannte er, wie recht Eva gehabt hatte. Er liebte seine Arbeit als Kellner über alles. Und nicht einmal solche Typen wie der unfreundliche dicke Kerl mit dem Hund konnten diese Liebe trüben. Es gab praktisch nichts, was ihm wichtiger war. Und daneben hatte eben nichts anderes Platz, nicht einmal eine Frau. Deshalb lebte Wimmer seitdem allein und war auch nicht unglücklich, sondern zufrieden damit.

      Da er tief in seinen Gedanken und Erinnerungen versunken war, bemerkte er zunächst gar nicht, dass er nicht mehr allein war. Doch dann bellte nur wenige Meter vor ihm ein Hund.

      Wimmer fuhr erschrocken zusammen, blieb abrupt stehen und hob den Kopf. Fünf Meter vor ihm stand ein Mann mitten auf dem Weg, neben ihm ein kleiner Hund. Obwohl er in der nächtlichen Dunkelheit keine Einzelheiten erkennen konnte, ließ die massige Gestalt des Kerls keinen Zweifel daran, wen er vor sich hatte.

      »Sie?«

      »Na sieh mal an, wen wir da haben, Hannibal. Wenn das mal nicht der unfreundliche Kellner aus der Kaschemme ist, in der wir heute mehr schlecht als recht zu Abend gegessen haben.«

      Der Hund bellte, sobald der Mann seinen Namen nannte.

      Wimmer schüttelte irritiert den Kopf. »Was tun Sie hier?«

      Der dicke Mann, von dem der Kellner gehofft hatte, ihn nie wiedersehen zu müssen, kam langsam näher. Er deutete auf den Yorkshire Terrier, der artig im gleichen Tempo neben ihm herlief. »Ich gehe mit meinem Hund spazieren. Oder passt Ihnen das etwa nicht? Dasselbe könnte ich übrigens auch Sie fragen: Was treibt Sie denn zu dieser Stunde in diesen gottverlassenen Park?«

      Es widerstrebte Wimmer zwar zutiefst, dem Mann etwas über sich selbst zu offenbaren, dennoch sagte er: »Ich bin auf dem Weg nach Hause. Ich gehe fast jeden Tag hier entlang.«

      »Was für ein merkwürdiger Zufall, dass wir uns noch einmal begegnet sind«, sagte der dicke Mann, der weniger als zwei Meter von Wimmer entfernt stehen blieb. Der Hund an seiner Seite hatte zu knurren begonnen. Sein Herrchen sah nach unten. »Ich habe das Gefühl, Hannibal mag Sie nicht besonders.«

      Wimmer sah ebenfalls den Hund an und zuckte mit den Schultern. Das beruht auf Gegenseitigkeit, hätte er beinahe gesagt, verkniff es sich jedoch. Als Kellner war es gewohnt, seine Gedanken ständig für sich zu behalten und die Gäste trotz allem höflich und zuvorkommend zu behandeln. Dieses Verhalten hatte er nach all den Jahren verinnerlicht, sodass er sich ebenso verhielt, wenn er freihatte und nicht bediente. »Sieht so aus«, sagte er daher nur.

      »Das liegt wahrscheinlich daran, dass Sie ihm kein Mineralwasser, so wie ich es gewünscht hatte, sondern ordinäres Leitungswasser vorgesetzt haben«, meinte der dicke Mann und sah wieder Wimmer an.

      Der Kellner hatte ein ungutes Gefühl. Die Bösartigkeit, die er in Gegenwart dieses Mannes unterschwellig wahrgenommen hatte, kehrte zurück. Am liebsten wäre er einfach weitergegangen, auch wenn er einen Bogen um den Kerl und seinen Hund machen musste, um seinen Weg fortzusetzen. Er hielt es jedoch für notwendig, etwas auf die Anschuldigung des Mannes zu erwidern und sich zu rechtfertigen. »Sie waren nicht bereit, für das Mineralwasser zu bezahlen. Also bekam Ihr Hund auch nur Leitungswasser. Wenn er das nicht mag, kann ich auch nichts dafür.«

      »Hast du das gehört, Hannibal?«, fragte der dicke Mann seinen Hund, dessen Knurren daraufhin zu lautem Gebell wurde.

      Doch Wimmer hatte keine Angst vor dem Tier. Es war zu klein, um ihm gefährlich zu werden. Wenn es notwendig sein sollte, würde er dem Köter einfach einen Tritt verpassen, der ihn mindesten fünf Meter wegschleuderte. Anschließend würde er die Beine in die Hand nehmen und wegrennen. Bei dem Gewicht, das der dicke Mann auf die Waage brachte, würde er kaum hinterherkommen. Wenn sich der Kerl überhaupt schneller als in Schrittgeschwindigkeit bewegen konnte. »Warum sind Sie eigentlich noch immer hier?«, stellte Wimmer nun die Frage, die ihn beschäftigte, seit er den Kerl erkannt hatte. »Es ist Stunden her, dass Sie die Wirtschaft verlassen haben.«

      Der dicke Mann zuckte mit den Schultern. »Ich sagte doch schon, dass ich mit meinem Hund spazieren gehe. Er musste furchtbar dringend und schert sich dabei nicht um die Uhrzeit. Anschließend müssen wir wohl die Zeit vergessen haben, während wir durch diesen schönen und ruhigen Park spaziert sind. Außerdem lieben wir beide die Natur. Sie ist so …« Er verstummte und suchte nach dem richtigen Wort, bevor er den Satz beendete. »… natürlich.«

      »Ich muss jetzt weiter«, sagte Wimmer, der den Mann und seinen Hund endlich loswerden wollte. »Ich hatte einen langen Tag und bin müde.«

      »Das ist aber jammerschade. Dabei wollte ich mich mit Ihnen noch einmal über den grottenschlechten Service und den miserablen Fraß unterhalten, den Sie mir vorgesetzt haben. Jetzt, wo wir uns rein zufällig noch einmal über den Weg gelaufen sind. Vom erbärmlichen Leitungswasser für meinen kleinen Liebling ganz zu schweigen.«

      Erneut schluckte Wimmer die passende Erwiderung herunter, die ihm auf der Zunge lag, und schwieg.

      »Tun Sie sich keinen Zwang an!«, forderte der dicke Mann ihn da auf, als ahnte er, was in dem Kellner vorging. »Sprechen Sie ruhig aus, was Sie denken. Schließlich sind wir hier in diesem menschenleeren Park nicht mehr Gast und Kellner, sondern nur zwei Männer, die sich zufällig begegnet sind. Außerdem sind wir unter uns. Sie können mir also gern ungeniert die Meinung sagen, wenn Sie wollen.«

      Wimmer überlegte. Der Mann hatte recht. Sie waren tatsächlich unter sich und in dieser Situation gleichwertig. Also konnte er mit dem Kerl tun, was er schon bei so manchem Gast gern getan hätte: Ihm ordentlich die Meinung geigen.

      »Sie sind widerlich!«, platzte es aus dem Kellner heraus, bevor er überhaupt in der Lage war, über das nachzudenken, was er sagen wollte.

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