Veyron Swift und der Schattenkönig. Tobias Fischer

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Veyron Swift und der Schattenkönig - Tobias Fischer Veyron Swift

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zweimal gegen das Kompassglas, dann raufte er sich verzweifelt die Haare. »Die Hölle, wir sind in der Hölle gelandet! Anders kann’s nicht sein«, jammerte er.

      Allmählich trafen nun die Schadensmeldungen ein. Bug und Kiel hatten nur ein paar Schrammen abbekommen. Der Bugspriet war allerdings hinüber und damit die halbe Vertäuung des Fockmasts. Van Diemen ließ sofort alle Segel einholen, ohne auf die Befehle des Kapitäns zu warten. Fokke war unter Deck auf Inspektion. Marten nickte ihm zu. Sollte der Alte doch toben, jetzt zählte allein das Überleben. Das die De Stern nicht mehr abbekommen hatte, grenzte sowieso an ein Wunder. Die Männer dankten bereits dem Herrn. Man hatte sie offenbar erhört.

      Doch sie hatten sich zu früh in Sicherheit gewiegt!

      »Felsen! Felsen direkt voraus!«, schallte der Ruf aus dem Krähennest des Großmastes.

      Die Männer schrien auf, stammelten ein letztes Stoßgebet an den Gnädigen. Martens Augen weiteten sich vor Entsetzen. Aus der Dunkelheit tauchte ein riesiger Felsen auf. Senkrecht ragte er mehr als dreihundert Fuß in den Himmel und war so breit, dass kein Ausweichmanöver der Welt die De Stern mehr retten konnte. Sie waren allesamt verloren.

      Dann krachte es auch schon. Holz zersplitterte, Männer wurden durch die Luft geschleudert, Fontänen aus Wasser und Dreck spritzten auf, ein gewaltiges Brüllen ging durch das Schiff: das Todesstöhnen der De Stern. Marten spürte, wie ihn eine unsichtbare Kraft am Körper packte und vom Steuerrad fortriss. Dann wurde die Welt schwarz und das Einzige, was er hoffte, war, nicht im Kochkessel des Teufels aufzuwachen.

      Als Marten die Augen wieder aufschlug, fand er sich zu seiner Erleichterung unter freiem Himmel wieder und nicht im höllenschwarzen Kessel des Teufels. Er lag am Ufer, durchnässt, aber lebendig. Der Sturm hatte sich gelegt, die Sonne schickte sich an, hinter dem Horizont zu versinken, während sich von der anderen Seite des Himmels ein voller Mond anmeldete. Mühsam rappelte er sich auf, nur um sich gleich darauf übergeben zu müssen. Er zitterte am ganzen Körper und fühlte sich einem neuen Zusammenbruch nahe. Bevor seine Sinne schwanden, sah er sich um und entdeckte den gewaltigen Felsen, der hoch über ihm aufragte. Links von ihm ragten Großmast und Besanmast der De Stern schräg aus den noch immer etwas aufgewühlten Fluten, als wollte sich das sterbende Schiff mit spitzen Fingern an die Wasseroberfläche klammern. Vom Fockmast war gar nichts mehr zu sehen, und die Decks lagen tief unter Wasser. Trümmer tanzten auf den Wellenkämmen. Menschen konnte Marten jedoch keine entdecken. War er etwa der einzig Überlebende?

      »Hallo«, rief er mit kraftloser Stimme, hustete und musste sich erneut übergeben. Heraus kam nur ein Schwall salziges Wasser. Erst nach ein paar Minuten wagte er einen neuen Versuch, pumpte Luft in seine Lungen und rief aus ganzer Leibeskraft: »Hallo! Hallo? Hört mich jemand? Ist da noch irgendwer? Ich bin Hendrik Marten, Steuermann der De Stern! Ist da wer?«

      Eine unwirsche Stimme antwortete ihm: »Hör schon auf zu flennen, Marten. Außer mir hört dich keine Seele.«

      Es war Fokke.

      Unverletzt, abgesehen von einer blutigen Schramme im Gesicht, stand der Kapitän auf einem Felsvorsprung, keine dreißig Fuß von Marten. Er hielt die Fäuste in die Hüften gestemmt, und sein Umhang bauschte sich im Wind. Marten kämpfte sich auf die Beine und eilte zu ihm hinüber.

      »Kapitän! Gibt’s noch andere Überlebende? Vanderdecken, van Diemen – was ist mit ihnen geschehen?«, rief er Fokke an. Beide hatten neben ihm gestanden, als es zum Aufprall kam.

      Der grimmige Hüne reagierte nicht gleich. Nach einer Weile begann er laut zu lachen. »Vanderdecken, van Diemen, van Evert und van Halen hat der Teufel geholt. Die tauchen jetzt mit den Heringen um die Wette. Genau wie die anderen zweihundert Mann und die einhundert Soldaten an Bord. Keiner ist mehr übrig außer uns beiden und – welche Gnade des Herrn – unserem lieben Unterkaufmann.« Das Lachen des Kapitäns ging in ein Glucksen über, und er wandte sich von Marten ab, hustete kurz und sprang dann von seinem Felsen herunter.

      Dann ballte er die Fäuste und rief: »Verflucht seien die Seekarten! Warum waren diese Felsen nicht eingezeichnet? Was ist das überhaupt für ein Ort? Das ist nicht der Tafelberg, ganz sicher nicht. Kapstadt kenn ich auswendig, und ich will ein Pickel am Arsch Satans sein, wenn dies hier eine der Küsten Südafrikas ist!« Mit wütender Entschlossenheit stapfte er über den schwarzen Sand des Ufers und marschierte am Rand des steil aufragenden Felsens entlang.

      Marten, der keine Ahnung hatte, was er sonst tun konnte, folgte seinem Kapitän voller Furcht.

      Nach einem kurzen Marsch machte Marten in der benachbarten Bucht eine Gestalt am Ufer aus, die stumpf vor sich hinbrütete. Erst auf den zweiten Blick erkannte er Unterkaufmann Tyn van Straten. Der sonst stets makellos gekleidete und glatt rasierte junge Mann von gerade mal zweiundzwanzig Jahren bebte vor Furcht und Kälte. Sein kostbares Gewand hing in Fetzen um seinen schmächtigen Leib.

      Aufblickend entdeckte er sie und hob einen anklagenden Finger. »Hier werden nur Leichen an den Strand gespült, Kapitän. Das ist allein Eure Schuld! Ihr werdet Euch vor Gericht verantworten müssen! Diese Katastrophe geht auf Euer Gewissen«, heulte er los.

      Marten bewunderte seinen Mut. Dass dieses Würmchen es wagte, dem gefühlt doppelt so großen Fokke derartige Unverschämtheiten an den Kopf zu werfen!

      »Haltet Euer dummes Maul, van Straten! Sonst stopfe ich es Euch«, herrschte Fokke den Unterkaufmann an. »Am besten jetzt auf der Stelle!« Er machte einen Satz nach vorn, die Pranken ausgestreckt.

      Van Straten wich zurück, stolperte und landete mit dem Gesäß im Sand. Flehend hob er die Hände. »Bitte, tut mir nichts, Fokke! Ich berufe mich lediglich auf die Dienstvorschriften«, winselte das schmächtige Kerlchen.

      Fokke brachte seinen Zornesausbruch wieder unter Kontrolle. »Habt Ihr wenigstens was Nützliches entdeckt, Unterkaufmann? Oder wisst Ihr nichts anderes zum Besten zu geben, als dass ein Unglück geschehen ist?«

      Der Unterkaufmann wedelte mit der Rechten in Richtung der Felsen. »Da gibt es eine Treppe, recht grob in den Fels gehauen, alt und abgeschliffen, aber begehbar. Ich bin ein paar Schritte hinaufgegangen, ehe ich hierher zurückkam«, erklärte er rasch.

      Fokke musterte ihn grimmig. »Und? Wo führt sie hin, Eure Treppe?«

      »Nach … oben? Ich bin ja nur ein paar Stufen hinaufgestiegen, weil …«

      »Weil Ihr Euch sonst in die Hosen gemacht hättet, ja, ja. Schon verstanden. Tyn van Straten, Ihr seid ein erbärmliches Würstchen. Also los, sehen wir nach, wo Eure Treppe hinführt. Vielleicht zu einem Leuchtturm. Treppen werden von Menschen gemacht, und wo Menschen sind, ist Hilfe nicht weit. Vorwärts!«

      In den schwarzen Fels gehauen führte van Stratens Treppe spiralförmig um den Berghang herum nach oben. Furchtlos schritt Fokke voran, gefolgt von Marten. Van Straten bildete das Schlusslicht – wahrscheinlich, um schnell verschwinden zu können, falls sie nichts Gutes erwartete.

      Es war jedoch kein Leuchtturm, den sie dort oben fanden. Den Gipfel des Felsens bildete ein flaches und beinahe kreisrundes Plateau, welches vielleicht neunzig Fuß im Durchmesser maß. Nichts anderes als Moos wuchs dort. Soweit sie es überblicken konnten, ragte der ganze Felsen wie eine Säule aus dem Meer, von weiteren Küsten war weit und breit nichts zu sehen. Ein Loch in der Mitte des Plateaus führte in eine kleine Höhle, die sie jedoch wegen der darin herrschenden Dunkelheit nicht weiter erkunden wollten. Sämtliche Lampen und Kerzen waren mit der De Stern untergegangen.

      »Eine Treppe ins Nichts«, murrte Fokke nach einer weiteren Tour über den flachen Gipfel. »Was für ein seltsamer

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