Die letzte Seele. Lars Burkart
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„Was geht hier vor?“, donnerte es aus Pauls Mund.
„Was willst du hier?“, spie Jeannine ihm entgegen.
Das war keineswegs die Reaktion, die er erwartet hatte. Noch dazu, dass sie auf einmal wie eine tollwütige Hyäne wirkte. Ihre Augen schossen Giftpfeile in seine Richtung, und ihre Stimme war wie Eis. Paul ließ sich davon nicht abschrecken und fragte noch einmal, was los sei. In seinem Inneren fragte eine altkluge Stimme, ob das etwa nötig war, ob er so blind war und es nicht sehen konnte. Er ließ die Stimme links liegen und schenkte ihr keine Beachtung.
„Woher weißt du …? Ach, vergiss es! Hätte ich mir gleich denken können, dass dieser Kerl sein Schandmaul wieder nicht halten kann. Also, was willst du, Paul? Aber fass dich bitte kurz, ja? Ich kann deinen Anblick keine Sekunde länger als unbedingt nötig ertragen.“
Peng. Der Hieb in die Magengrube hatte gesessen. Das musste Paul erstmal verdauen. Aber so hatte er wenigstens einen Augenblick Zeit, seine Gedanken zu ordnen. Was zum Henker wollte er hier? Eine verdammt gute Frage, die sie ihm da gestellt hatte. Was wollte er eigentlich hier? Tja, meine Damen und Herren Geschworenen, was soll man dazu sagen? Er hatte selbst keinen blassen Schimmer. Anfangs hatte er noch eine gehörige Wut im Bauch gehabt, aber die war inzwischen verschwunden. Jetzt war da nur noch Leere, gähnende Leere. Also, warum zum Kuckuck, war er hier? Er musste sich eingestehen, dass er darauf keine Antwort wusste. Also war es wohl besser, die Frage einfach zu übergehen und an einer anderen Stelle weiterzumachen.
„Wo sind die Kinder?“
Zugegeben, das war auch nicht unbedingt das Gelbe vom Ei, schließlich wusste er ja, wo sie waren. Aber es war immerhin ein Anfang. Er konnte nach ihnen fragen. Er hatte schließlich ein Recht, es zu erfahren. Das war jedenfalls seine Ansicht zu dem Thema. Jeannine allerdings war da anderer Meinung.
„Das geht dich einen verdammten Scheißdreck an, geht dich das.“
Wieder hatte Paul etwas zu verdauen. So allmählich nimmt das überhand, dachte er. Die Wut, die ihn hierhergeführt hatte und die schon abgeflaut war, loderte wieder auf. Aber sie war hier so nützlich wie ein Kropf. Also versuchte er sie, so gut es eben ging, herunterzuschlucken.
„Bloß damit ich das richtig verstehe, es geht mich einen verdammten Scheißdreck an, wo meine eigenen Kinder sind, aber für die Flugtickets darf ich löhnen? Habe ich das richtig verstanden? Was glaubst du eigentlich, wen du vor dir hast?“
„Einen egoistischen, blinden Idioten.“
Diesmal ging der Schlag nicht in die Magengrube, sondern mitten ins Herz. Alle Hoffnungen auf eine friedliche Lösung des Konfliktes zerplatzten wie Seifenblasen.
„Ich will wissen, wo meine Kinder sind! Und deine Beleidigungen kannst du dir sparen! Die prallen an mir ab!“ Aber seine Augen verrieten etwas anderes. Aber noch konnte er sich beherrschen, konnte die Tränen zurückhalten, obwohl seine Augen schon wässrig waren. Er hatte ein wenig Respekt von ihr erwartet, aber was er hier bekam, war nur Scheiße und Verachtung. Wie schnell Liebe in Hass umschlagen konnte!
„Ach übrigens, ehe ich es vergesse: Du hast dich doch ebenso darüber erregt, dass du die Flugtickets bezahlen sollst, oder? Da habe ich eine gute Nachricht für dich: Das muss dich nicht mehr kümmern. Ich habe sie bezahlt und“, sie sah auf die Uhr an der Wand, „wenn ich mich mit dem Zeitunterschied nicht verrechne, müssten sie jede Sekunde landen. Du siehst also: Du wirst noch nicht mal mehr dazu gebraucht.“
„Wo … wo hast du das Geld her? Wieso hast du das getan?“
Paul stotterte. Jetzt konnte er die Tränen nicht mehr zurückhalten. Was für ein beschissener Tag! Kann kaum noch schlimmerer werden, dachte er. Ein paar Sekunden später wusste er, dass es das sehr wohl konnte.
„Du wagst es zu fragen, woher ich das Geld habe?“ Diesmal klang ihre Stimme wie eine rostige Kette. „Na schön, ich werde es dir verklickern. Aber schön langsam, damit du es auch schnallst. Er hier“, jetzt deutete sie auf den Mann, der auf ihrem Bett saß, „hat es mir gegeben.“
Paul fiel aus allen Wolken. Er hatte die Anwesenheit des Fremden völlig vergessen. Bis jetzt.
„Und er ist es auch, der ab jetzt die Rolle ihres Vaters übernehmen wird.“
Einen Moment wurde es Paul schwarz vor Augen, und fast wäre er nach hinten weggesackt.
„Und nun tu mir bitte einen Gefallen und verpiss dich. Du widerst mich an.“
Paul war so perplex, dass er es tat.
Den Weg vom Zimmer zum Wagen legte er zurück wie im Delirium. Alles um ihn herum schien in einer anderen Dimension stattzufinden, Lichtjahre von dem entfernt, was einmal sein Leben gewesen war. Er hatte Mühe, aufrecht zu gehen. Seine Beine zitterten wie Götterspeise, und seine Muskeln besaßen in etwa die Stärke eines Marmeladenbrotes.
Mit letzter Kraft erreichte er den Porsche, ließ sich in den Sitz fallen, und von da an konnte er den Tränen keinen Einhalt mehr gebieten. Sie flossen in Sturzbächen und durchweichten seinen Hemdkragen. Er ließ es einfach geschehen. Es waren Tränen, die geweint werden mussten. Sie kribbelten auf seiner Haut und brannten. Es war ihm egal. Er wollte nur noch weinen. Weinen wie ein Schlosshund und nie wieder aufhören.
Langsam verschwand der letzte Fetzen Helligkeit, und noch immer saß er da, rauchte eine Zigarette nach der anderen und machte keine Anstalten, nach Hause zu fahren. Unzählige Menschen waren an ihm vorbeigekommen. Die Besuchszeit rückte heran, und der Menschenstrom wurde dichter. In vielen dieser Gesichter stand die Sorge um ihre Angehörigen geschrieben. Ja, dachte er, ein Krankenhaus ist wahrlich ein beschissener Ort. Ein Ort, wo Menschen sterben. Ein Ort, wo Frauen zu Witwen, Männern zu Witwern und Kinder zu Waisen werden. Wie bei ihm selbst. Wenn auch auf andere Art und Weise ….
Er drückte die Zigarette aus und zündete sich sofort eine neue an. Sein Hals fühlte sich trocken an und rau; trotzdem wollte und konnte er nicht auf sie verzichten.
Irgendwann endete die Besuchszeit. Wie viele Stunden saß er nun schon hier? Er hatte keine Ahnung. Mittlerweile mussten es schon fünf sein. Je später es wurde, umso verlassener wirkte die Straße. Nur ab und zu näherte sich ein Krankenwagen mit raschem Tempo, bog ab und verschwand hinter einer hohen Mauer. Paul brauchte kein Hellseher zu sein, um zu wissen, dass da neue Kundschaft eingeliefert wurde.
Während er kettenrauchend dasaß, dachte er über vieles nach. Er dachte an viele Dinge, aber am meisten an den Satz, den sie ihm an den Kopf geknallt hatte: Du widerst mich an.
Gab es da noch etwas misszuverstehen? Wohl kaum. Das war eindeutig. Es gab kaum einen Satz, der mehr verriet als dieser. Wenn er noch Zweifel an ihren Trennungsabsichten gehegt hatte, dieser Satz hatte sie ausgelöscht. Und ihr Geliebter (mittlerweile hatte er es geschnallt, dass es ihr Geliebter war) hatte bei ihr gesessen, hatte ihre Hand gehalten und, was am Schlimmsten war, er hatte die Tickets der Kinder bezahlt. Selbst das hatte sie ihm genommen.
Wieder näherte sich ein Krankenwagen, diesmal ohne Martinshorn und deutlich langsamer. Wieder bog er rechts ab und verschwand hinter der Mauer.
Warum wollte sie, dass er das alles erfuhr? Konnte sie so gehässig sein? Er konnte sich noch immer keinen Reim darauf machen.
Paul fühlte sich wie durch den Fleischwolf gedreht. Er war durstig, sein Kopf schmerzte wie nach