Die letzte Seele. Lars Burkart

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Die letzte Seele - Lars Burkart

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ich dich morgen sehen?“

      „Ich ruf dich an, wenn du wieder kommen kannst. Ja? Geh jetzt bitte. Und sei mir nicht böse.“

       Sie dachte jetzt zurück an jenes Gespräch, während sie auf den Klippen stand und auf das weite, dunkle Meer sah. Inzwischen wehte ein schwacher Wind, der ihr Haar ausgelassen tanzen ließ.

       Weit draußen am Horizont verschwand gemächlich ein Schiff. Ein gespenstischer Anblick; man mochte wirklich glauben, es würde langsam in die Tiefe gezogen.

       Sabine fröstelte. Das Wetter hatte merklich umgeschlagen, doch das geschah in diesen Breiten öfter. Aus dem Sonnenschein war raueres Wetter geworden. Die Sonne versteckte sich hinter einer Armee von Wolken, und auch der Wind wurde stürmischer.

       Ihr Vater hatte ihr an diesem Tag etwas Wichtiges sagen wollen, und seine Miene dabei hatte ihr keineswegs gefallen, hatte ihr sogar Angst gemacht. Die Falten in seinem Gesicht schienen plötzlich tiefer und zerfurchter, seine Augen blitzten dunkel, und seine Mundwinkel zitterten, als weigerten sie sich, etwas Dunkles preiszugeben.

       Noch nicht.

      Paul streckte sich auf dem Stuhl aus, bis seine Knochen knackten. Für heute sollte es genug sein. Er hatte zwar noch nicht sein altes Tagespensum geschafft, aber als erfahrener Schriftsteller wusste er, wann sein Pulver verschossen war. Er trank den inzwischen kalt gewordenen Kaffee, speicherte den Text und verließ das Arbeitszimmer.

      Wie jedes Mal, wenn er geschrieben hatte, fühlte er sich wunderbar. Es war wie eine Sucht. Er brauchte es einfach, dieses Ringen um jeden Buchstaben, um jedes Wort, das Zusammensetzen der scheinbar aus dem Nichts kommenden Sätze und das Gefühl, durch neue, unbekannte Gefilde zu streifen. Wenn er Blatt um Blatt beschrieb, der Text langsam Form annahm, dann fühlte er sich so richtig glücklich. Dann war er zufrieden mit sich und der Welt.

      Im Wohnzimmer warf er sich auf die Couch, griff nach der Fernbedienung und hüpfte durch die Programme. Langsam neigte sich der Tag seinem Ende entgegen. Nicht mehr lange, und er würde zu Bett gehen. Das Leben konnte so wundervoll sein. Oh ja, das konnte es.

      Das Wetter war eine Katastrophe. Der Himmel war verhangen mit schwarzen Wolken, und dichter Regen fiel. Hinzu kam noch, dass ein strenger Wind blies. Die Luft war kalt, fast schon eisig, und kroch mit spielerischer Leichtigkeit durch die Haut bis auf die Knochen. Schon der Blick durchs Fenster genügte, um einen frösteln zu machen. Bei jedem x-beliebigem Menschen reichte das, um seine Laune auf den Nullpunkt sinken zu lassen. Aber nicht bei Paul. Er erfreute sich nach wie vor bester Laune.

      Er stand am weitgeöffneten Fenster, trank Kaffee und glotzte glücklich in den Garten. Ein seliges Lächeln umspielte seine Mundwinkel, während er dem Regen lauschte, der in Sturzbächen vom Himmel stürzte. Es störte ihn nicht im mindesten, dass er, jedes Mal, wenn der Wind wehte, einen nasskalten Schauer abbekam. Er begrüßte diese Dusche sogar. Sie war so etwas wie ein Jungbrunnen für ihn. Er erschauerte kurz und wartete dann sehnsüchtig auf den nächsten Schwall.

      Nachdem Paul eine Weile dem monotonen Prasseln der Tropfen gelauscht hatte, klang es in seinen Ohren immer mehr wie Maschinengewehrfeuer – eines, das unaufhörlich schoss und knallte und ratterte. Paul fand es amüsant, wie er diesen Vergleich zustande gebracht hatte. Schließlich waren das ja zwei Dinge: Der Regen lässt gedeihen und wachsen; er fördert also das Leben. Das Maschinengewehr aber kann nichts anderes, als dieses Leben wieder zu nehmen …

      In diesem Moment kam ihm ein Gedanke: Wie wäre es, wenn er einfach nach draußen ging? Hinaus in den Garten, in die Frische, dem regnerischen Wetter zum Trotz?

      Er beschloss, es herauszufinden und hüpfte durchs Fenster auf die Veranda. Fast augenblicklich war er durchnässt bis auf die Haut. Der Wind wuselte durch sein Haar und warf es mal hierhin und mal dorthin. Das Wasser auf seiner Haut war kalt, aber es fühlte sich phantastisch an. Die Haare an seinem Körper richteten sich auf, und seine Eier schrumpelten um mehr als die Hälfte zusammen; sie zogen sich sogar ein Stück tiefer in den Sack zurück.

      Paul schleuderte die Pantoffeln in hohem Bogen von sich und betrat mit nackten Füßen den pitschnassen Rasen. Die Behaarung richtete sich gleich noch etwas mehr auf. Die einzelnen Haare waren jetzt so starr, dass man sie mit einem Stück Papier hätte abrasieren können. Jeder Grashalm kribbelte zwischen seinen Zehen, und die Wassertropfen schienen zu gefrieren auf seiner Haut.

      Der Regen prasselte auf seinen Kopf und verklebte sein dünnes Haar, und von unten kroch die Kälte empor. Das wäre ein guter Grund gewesen, zurück ins Haus zu gehen, die nassen Kleider abzulegen, ein heißes Bad zu nehmen und es sich vor dem Fernseher gemütlich zu machen. Aber nicht für Paul. Statt ins Haus zu gehen, lief er weiter über die nasse Wiese, und statt eines heißen Vollbades nahm er ein eiskaltes Fußbad. Anfangs lief er noch langsam, um nicht hinzufallen, aber nach und nach merkte er, wie absurd diese Vorsicht war. Schließlich war er ohnehin schon bis auf die Knochen nass und da machte es keinen Unterschied mehr, wenn er auch noch eine Bauchlandung hinlegte.

      Vor Euphorie kreischend, bretterte er über den durchweichten Rasen. Seine Füße fanden keinen Halt, und er rutschte unkontrolliert durch die Botanik. Immer wieder klatschte er auf den Hintern, gluckste vor Vergnügen und schnellte dann wieder hoch, wie von einem Gummiseil emporgerissen.

      Zum Glück für ihn lag sein Haus abseits und er hatte keine Nachbarn. Denn sonst hätten diese mit Sicherheit die freundlichen Männer gerufen, die diese glänzenden weißen Kittel tragen und bei allem, was man sagt, immer nur „Ja, ja, schon recht, Napoleon“ erwidern.

      Wie ein Känguru hüpfte Paul über den Rasen, schlug Haken wie ein Kaninchen und trällerte wie ein Vogel. Aber er machte sich deshalb keine Sorgen. Warum auch? Er war ausgelassen und tobte über sein Grundstück. Das war sein gutes Recht. Mein Glück ist kaum noch zu fassen, jubelte sein Verstand, und es wird mit jedem Tag noch besser!

      Plötzlich hörte er hinter sich eine Stimme und fuhr herum. Das Ergebnis dieses Manövers war, dass seine Beine wegrutschten und er mit der Nase im Dreck landete. Auch das quittierte er mit animalischem Gelächter. Er blickte in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war und sah erst einmal überhaupt nichts, nur Grashalme. Hastig schob er sie beiseite.

      „Ja, ist es denn die Möglichkeit? Was hat dich denn hierher verschlagen?“

      Jerome stand auf der Einfahrt und kauerte sich unter einem Schirm zusammen, aber da der Wind sich noch immer nicht entscheiden konnte, aus welcher Richtung er wehen wollte, sah er aus wie ein begossener Pudel. Sein Haar war an den Kopf geklatscht, als hätte er sich drei Tuben Gel hineingeschmiert, und seine Klamotten klebten an ihm wie ein zu enges Renntrikot. Auch er war nass bis auf die Knochen, konnte dem aber nicht halb so viel Begeisterung abringen wie Paul.

      „Sag mal, ist bei dir alles in Ordnung?“ Seine Stimme klang seltsam – eine Mischung aus Amüsiertheit, Verdruss und Sorge.

      „Warum fragst du? Wie kommst du darauf, bei mir könnte nicht alles in Ordnung sein?“

      „Weil es für dich offensichtlich nichts Besseres gibt, als bei diesem verdammten Sauwetter wie ein Scheißkarnickel über diesen Scheißrasen zu hüpfen. Du musst zugeben, dass das schon ein klein wenig merkwürdig ist.“

      „Gott oh Gott, wie kann man nur so spießig sein? Das ist echt affengeil! Solltest du auch mal probieren! Du fühlst dich dann echt prima!“

      „Nein, danke. Kann ich mir gerade noch so verkneifen. Ob wir wohl endlich reingehen könnten? Ich friere mir hier draußen den Arsch

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