Wenn die Seelen Trauer tragen. Rose Hardt

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Wenn die Seelen Trauer tragen - Rose Hardt

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einem tiefen Seufzer, der seinen Körper kurz aufbäumte, redete er weiter: „Als ich etwas später in seine Garderobe kam, saß Stéphan in seinem großen Ohrensessel – ganz so wie immer, als würde er sich nur für den nächsten Akt ausruhen wollen. Beide Arme lagen gestützt auf den Armlehnen, seine Augen waren geschlossen und in seinem Gesicht lag der ganze Frieden eines erfüllten Künstlerlebens ...“

      Plötzlich geriet Jacob in Ekstase, er sah Nora direkt an, sein Atem wurde schneller, in seiner Stimme lag Unruhe.

      „… ich kniete mich vor Stéphan, umschloss seine starken Hände, ich dachte, wenn ich nur fest genug zudrücke, dann … dann wird er wieder wach“, Jacob wandte sein Blick wieder dem Meer zu, mit bebender Stimme fuhr er zeitverzögert fort, „dann, ja, dann hielt ich seine Hände so lange umschlossen bis die letzte Lebenswärme aus ihm gewichen war. Ein letztes Mal dankte ich ihm dann für alles … ja, für alles was er aus mir gemacht hatte“, der letzte Halbsatz erstickte in Tränen.

      Jetzt erst, nachdem Nora die Geschichte gehörte hatte, löste sich ihre erstarrte Körperhaltung. Tröstend strich sie mit der Hand mehrmals über seinen vor Kummer gebeugten Rücken.

      Er nickte ihr dankend zu, zog ein Taschentuch hervor, schnäuzte hinein und sagte: „In der Presse hieß es: … auf dem Zenit seines Könnens ist er gestorben. Ja, und ein letztes Mal zierten Stéphans Bilder die Titelseiten einiger Boulevardblätter – diesmal nicht mit seinem Erfolg, sondern mit seinem dramatischen Abgang ... mit seinem Tod!“

      Eine ehrfurchtsvolle Stille lag zwischen den beiden.

      Mittlerweile hatte die Flut ihren Höchststand erreicht, die Elizabeth Castle war von den Fluten des Meeres völlig eingeschlossen. Beide saßen nebeneinander und beobachteten die Wellen die langsam und kontinuierlich die restlichen Felslücken ausfüllten. Ein beklemmendes Gefühl erwuchs zwischen ihnen, und es schien, dass dieses ganz in schwarz gekleidete und zerbrechlich wirkende Geschöpf noch mehr Seelenlast mit sich trug. Eine Seelenlast die nun bedrohlich nach Nora griff. Unter halbgeöffneten Augenlidern beobachtete sie ihn, und es war, als würde der Tod ihn immer noch fest umschlossen halten. Ihr schauderte bei dem Gedanken! Aber wie konnte sie ihm helfen? Mit was trösten? Alles ist ihr in diesem Moment durch den Kopf gegangen: Sie sah den Toten in ihrem Vorgarten, sah sein totenstarres Gesicht, auch sah sie das schemenhafte Gesicht des Gastes bei ihren letzten Lesungen – beide fügten sich ganz allmählich zu ein und demselben Gesicht zusammen; dann sah sie in das Gesicht ihrer großen Liebe, das immer mehr und mehr zu verblassen schien, stattdessen trat das Gesicht von Clemens in den Vordergrund. Alles wirbelte durcheinander, aber nichts fügte sich zu einem Trost für Jacob zusammen. Sie konnte ihn nicht trösten weil sie selbst eine Trostsuchende war, das wurde ihr in diesem Moment bewusst.

      Jacob fühlte Noras verstohlene Blicke, was ihn sogleich wieder zum Reden anspornte: „Stéphan war mein Mentor, mein großes Vorbild“, die Worte sprudelten geradezu aus ihm heraus. „Nein, er war mehr als das“, er nahm tief Luft und mit dem Ausatmen sagte er: „Stéphan war meine große Liebe.“

      Mit großen Augen sah sie zu ihm hin, ja, ihre Vermutung hatte sich somit bestätigt: er war homosexuell!

      Im nächsten Augenblick stand er, wie an unsichtbaren Fäden emporgezogen, auf. Seine Bewegungen waren ähnlich wie die einer Marionette.

      „… bevor ich Stéphan kennenlernte war ich ein Niemand! Ein Nobody! Er hat aus mir erst einen Menschen gemacht, er vermittelte mir das Gefühl geliebt zu werden. Aber jetzt, wo er tot ist, durchkreuzen SIE wieder meine Gedankengänge, immer wieder höre ich IHRE Ermahnungen. Damals, als meine Eltern erste homosexuelle Veranlagungen bei mir entdeckten, steckten sie mich in ein Internat, weit ab von Zuhause – ihr Sohn und schwul – nein, das durfte nicht sein! Diese Gefühle würde man mir im Internat schon austreiben“, für ihn immer noch unverständlich, schüttelte er mehrmals den Kopf. „So waren die Worte meines Vaters. Ja, harte Worte die mich nicht nur innerlich schmerzhaft trafen, sondern gleichzeitig auch einen Keil zwischen meine Eltern und mir trieben.“ – Der letzte Satz kam bebend über seine Lippen.

      Im gleichen Augenblick schwang er sich galant auf die Kai-Mauer, er breitete seine Armen aus und balancierte wie ein Seiltänzer über die unebene Oberfläche. Gefährlich nah tänzelte er am Abgrund vorbei, so nahe, als würde er das Unglück geradezu herausfordern wollen, und immer wenn er ins Wanken geriet, und Nora aus Angst um ihn aufschreien wollte, hielt sie schnell die Hand vor ihren Mund, um ihn nicht zu erschrecken. Erst durch den grellen Schrei eines Seevogels, sowie eine emporsteigende Möwenschar, die dicht über seinen Kopf hinwegflog, wurde seine riskante Vorführung gestoppt.

      Während er gedankenverloren der Vogelschar nachsah, erzählte er weiter: „Im Internat war dann dieser Arzt der mir Verständnis, Geborgenheit und Liebe entgegenbrachte, eine Liebe die ich aber nicht von ihm wollte, nein, gewiss nicht! Aber er war da – irgendein Gefühl war überhaupt da.“ Mit starren Augen sah er Nora fragend an. Dann strich er mit beiden Händen fest über seinen Kopf, korrigierte dabei seine Haarfrisur und sagte: „Ja, meine ach so lieben Eltern hatten mich – noch bevor ich Schande über die Familie bringen konnte – ins Internat abgeschoben, und mich dort meinem Schicksal überlassen.“ Abrupt sprang er von der Kai-Mauer, er hüpfte Nora auf einem Bein entgegen und setzte sich dann ihr gegenüber.

      Während der ganzen Zeit hatte sie ihn beobachtet. Sie konnte sein Verhalten nicht einschätzen, er wirkte verrückt und normal gleichzeitig. Vielleicht hatte er einfach nur zu viel erlebt, sein Bewusstsein keine Zeit gehabt alles zu verarbeiten und jetzt, nach dem Tod seiner großen Liebe brach alles unstrukturiert aus ihm heraus. Aber warum erzählte er ausgerechnet ihr, einer Fremden, diese Geschichte? Warum hatte er gerade sie ausgesucht, um sein Herz auszuschütten? Ja, mit Sicherheit hatte es damit zu tun, dass sie Autorin war, sicherlich hatte Clemens ihm von ihrer Tätigkeit berichtet. Viele fremde Menschen erzählten ihr aufgrund dessen, ihre persönlichen Lebensgeschichten. In Gedanken versunken sah sie zum Meer, dabei stellte sie fest, dass das Meer zurückging. Bald … ja, bald wirst du aus dieser misslichen Lage befreit sein, dachte sie erleichtert.

      Am späten Nachmittag kam dann endlich der ersehnte Shuttletransfer. Sie stiegen ein und saßen wie Fremde schweigend nebeneinander, doch ganz tief in ihr fühlte Nora eine Verbundenheit mit Jacob – ein seltsames Gefühl, das sich noch nicht ganz einordnen ließ – erwuchs in ihr.

      Später, beim Verlassen des Shuttletransfers, drehte Jacob sich nochmals zu ihr um, in seinen Augen lag ein eigenartiger Glanz, sein Blick traf den ihren, schrankenlos tauchte er in ihre Seele ein, seine schön geformten Lippen bewegten sich kaum, er nuschelte etwas, was sie nicht verstehen konnte.

      Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah sie ihn fragend an.

      Dann wiederholte er seine Worte: „Wir Frühlingskinder tragen die gleichen verletzten Seelen in uns!“

      Erschrocken und sogleich überrascht von seinen Worten ging sie sofort einen Schritt zurück, um Distanz zu dem Gesagten zu schaffen. Seltsam, in seinem Gesichtsausdruck erkannte sie eine winzige Spur von dem, was in ihr selber vorging. Ein unterschwellig schmerzendes Gefühl, das sie nicht zuordnen konnte, zog von ihm zu ihr. Geschickt schlug er mit seinen schlanken Händen den Kragen seines Mantels hoch, machte eine Kehrtwende und verschwand unter einer Gruppe von Touristen. Kurz sah sie noch das Tuch seines schwarzen Mantels, bevor er sich in der Menschentraube dann verlor.

      Hilflos stand Nora da. Sie fühlte sich wie ein Taschentuch in das man den ganzen Seelenkummer der Welt hineingeschnäuzt hatte und danach achtlos zurückließ – ja, so war ihr Empfinden.

      Seine Geschichte zerrte ihre depressive Stimmung – die sie seit ihrer Ankunft auf Jersey – geschickt zu unterdrücken versuchte, in kürzester Zeit an die Oberfläche. Das Schicksal

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