Violet - Dunkelheit / Entfesselt - Buch 4-5. Sophie Lang
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Und Adam. Natürlich.
Wo sind sie alle geblieben, frage ich mich und ich hoffe verzweifelt, es geht ihnen gut. Asha, meine liebe Zwillingsschwester, ich hoffe auch für uns, dass wir einen Weg finden.
Irgendwie schaffe ich es, meine Augen zu öffnen und stelle erstaunt fest, dass sie bereits offen sind. Ich habe tatsächlich geträumt, mit offenen Augen.
Das Zimmer, meine Zelle, materialisiert sich, nimmt wieder Formen und Konturen an. Ich sehe mich aufmerksam um, ungetrübt durch die inneren Bilder und Gefühle, die meinen Sehsinn schwächten. Ich kann nicht wirklich sagen, was sich in den Jahren meiner Abwesenheit verändert hat. Der Teddy ist der alte, ist meiner. Definitiv.
Aber der Rest?
Ein ovaler, futuristischer Tisch und zwei geschwungene Stühle. Ein Regal aus Metall, in dem Bücher stehen sollten, das aber leer ist. Verlassen wirkt.
Ich befinde mich im Hier und Jetzt, in diesem Augenblick. Dort, wo sich Vergangenheit und Erinnerungen, die Zeit und die Ewigkeit für einen Moment berühren.
Ich bin jetzt gerade auf das Wesentliche eingestellt. Und da kommt mir ein Gedanke. Ich sollte etwas anderes anziehen. Unbedingt. Etwas, das nicht wie ein zu groß geratenes OP-Hemd an mir herunterhängt. Seit der Wiedergeburt in Kristens Haus habe ich so viel erfahren. Ich wurde gelöscht, war ein anderer Mensch oder doch ich selbst?
Es ist seitdem so viel passiert und ich? Ich muss aufhören, in Bruchstücken zu denken, beginnen, endlich längere Sätze in meinem Kopf zu formen. Aber ich bin nicht sicher, ob ich dazu schon in der Lage bin. Mein ganzes Leben besteht aus Bruchstücken.
Ich habe Bedürfnisse in mir kennengelernt, die ich zuvor nie erahnen konnte. Ich bin Freija, die Göttin der Liebe und die des Todes, und ich bin eine Frau mit Bedürfnissen und will endlich einmal wieder gut aussehen, gut duften, mich mit Seife waschen!
Ich fixiere die schmale Tür neben dem Bücherregal, weil ich weiß, dass sie in den kleinen Nebenraum führt, wo sich das Bad und Anziehsachen befinden müssen. Wenn sich dort nichts verändert hat, wenn ich alles richtig rekonstruiere, dann werde ich dort finden, was ich jetzt benötige. Langsam, als wäre ich eine alte Frau, stehe ich auf und humple los. Die Schiene an meinem Bein macht jede Bewegung mit und klingt wie eine kleine Maschine.
Es ist genauso, wie ich gehofft habe. Niemand hat hier etwas in den letzten Jahren angerührt. Ich sehe die Gegenwart und zugleich meine Vergangenheit. Vielleicht war es ja so geplant, dass ich eines Tages hierher zurückkomme. Vielleicht bin ich ja auch darauf programmiert, wieder zurückzukommen?
Das Blut gefriert in meinen Adern und ich bemühe mich, diesen scheußlichen Gedanken ganz schnell abzuschütteln. Bitte! Bitte Gott, lass das nicht die Wahrheit sein. Ein schrecklicher Anfall schüttelt mich durch.
Atmen. Ich atme durch, versuche mein gesundes Bein, das sich anfühlt wie Pudding, wieder unter Kontrolle zu bringen. Wünsche mir gerade eine zweite Schiene, um mich aufrecht halten zu können. Das kann nicht sein, rede ich mir ein. Das darf nicht sein.
Ich erinnere mich an das, was ich eigentlich vorhatte und schaffe es, mich zu beruhigen, die wohlbekannte Angst, die in mir hoch kriecht, los zu werden. Die Angst, von jemandem oder etwas kontrolliert zu werden, egal ob von der Sektion oder den Bestien.
Und ich beschließe, mich jetzt zu duschen, mich hübsch zu machen, auf andere Gedanken zu kommen.
Es gelingt mir halbwegs.
Schwerfällig stelle ich mich nach dem künstlichen Regen vor den Kleiderschrank. Seine verspiegelten Glastüren sind noch vom Wasserdampf angelaufen. Mit einer Hand wische ich einen kleinen Fleck frei, um mein Gesicht zu betrachten. Dann noch mehr, um mich ganz zu sehen. Ich habe mein Spiegelbild schon eine ganze Weile vermisst.
Mein blondes Haar klebt klatschnass an meinem Kopf und verleiht meinem Gesichtsausdruck etwas Kämpferisches. Meine Haut duftet nach Seife, frisch und blumig.
Ich betrachte das Spiegelbild von Kopf bis Fuß. Die Schiene, die kleine Maschine an meinem gebrochenen Bein, glänzt und sie funktioniert noch. Ist wasserdicht. Das war Glück, denn ich hatte daran keinen Gedanken verschwendet.
Meine Augen haben einen metallischen Glanz, meine Haut ist marmorglatt.
Die Tattoos gleichen zarten, keltischen Mustern, sind harmonisch auf meine Haut abgestimmt und betonen perfekt meine weiblichen Formen.
Ich kann Adam verstehen.
Ich habe tatsächlich eine fast unwiderstehliche Ausstrahlung. Das muss an den Bestien in mir liegen, bilde ich mir ein. Oder eventuell auch an Adams Blut. Ein Schauer läuft mir senkrecht die Wirbelsäule hinab. Ich habe mich an meinen eigenen Gedanken, an meinem Blutdurst, erschreckt.
„Ganz ruhig Freija, du wirst ihn wieder sehen“, sage ich zu meinem Spiegelbild.
Nun öffne ich die Schiebetür und studiere die Auswahl der Kleidung, die recht überschaubar ist. Die Sachen, die mir passen könnten, beschränken sich auf zwei schlichte Kleider. Die Jeans sind zu klein, zu jungenhaft. Ist es Zeit, meinen Stil zu ändern? Ein Kleid anzuziehen?
Welche Farbe würde besser zu mir passen, um Asha und alle, die mir nahe stehen, zu retten? Um die Welt zu retten? Ein Kleid, das rot ist, wie die Liebe oder schwarz ist, wie der Tod?
Ich kann mich nicht entscheiden und trete vor den beschlagenen Spiegel über dem Waschbecken, wische auch dort ein Sichtfenster frei. Das bin ich. Hier bin ich.
Obwohl die Wahrheit keine liebe Familie, kein vernünftiges Zuhause, kein normales Leben für mich offenbart hat, fühle ich eine wohltuende Leere, die mich einhüllt.
Die Suche hat ein Ende. Endlich. Und ich kann nach vorne blicken. Muss an die Zukunft denken, an die Prophezeiung.
Adams Mutter musste wahrhaftig hellseherische Fähigkeiten gehabt haben, wenn sie meinen alten blauen Freund und mich in einer besseren Zukunft gesehen hat.
Einer Zukunft, in der es endet. Was auch immer das Ende bedeutet. Ich streiche die filigranen Linien des Tattoos auf meinem Oberarm nach. Asha trägt nun auch ein Tattoo. Ich denke an ihr Gesicht. Was war nur mit ihr los? Sie hat sich nicht gefreut, mich zu sehen. Was haben sie mit ihr gemacht? Experimente? Wurde sie womöglich gelöscht? Haben sie ihr auch grüne Flüssigkeiten ins Gehirn gespritzt?
Zorn lodert in mir auf bei diesem Gedanken. Dass sie dazu tatsächlich im Stande sind, sie zu foltern, ihr alles zu nehmen und plötzlich weiten sich meine Pupillen, so wie sich ein blauer Tintenfleck auf Papier ausbreitet und dann erwachen meine Tattoos. Ich erstrahle im Licht von hundert Flammen.
Nicht weil ich es ihnen befohlen habe, sondern weil Zorn und Hass in mir züngeln, mich verbrennen werden. Eine reine Schutzmaßnahme meiner Bestien, denke ich, vermute ich, bin mir aber nicht sicher, denn mir fällt es gerade wieder einmal schwer, klar zu denken.
Verdammt, ich bin dabei, die Kontrolle zu verlieren, dabei dachte ich, ich würde mich besser fühlen.
Meine geweiteten Augen blicken sich um. Sehen im Spiegel, wie ich schnuppere. Wie eine Bestie.
Adam ist nicht in der Nähe, sein Blut im Moment für mich unerreichbar. Und trotzdem laufe ich Gefahr, meinen Willen an die Bestien abzutreten. Ich bin so wütend. Will die Erde mit bloßen Händen aufreißen, aber alles was ich vermag, ist