Violet - Dunkelheit / Entfesselt - Buch 4-5. Sophie Lang

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Violet - Dunkelheit / Entfesselt - Buch 4-5 - Sophie Lang Violet

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sage ich ehrlich.

      „Weil ich dir ein Geheimnis verraten möchte.“

      Ich nicke und weiß nicht wieso.

      „Ich bin der Oberste Gesandte. Bist du überrascht über die Tatsache, dass ich hier neben dir an diesem Tisch sitze?“

      „Ich könnte überrascht sein, weil ich dachte du wärst älter. Viel älter.“ Er lacht. Dieses Mal echt.

      „Der Oberste Gesandte ist ein Titel und kein Mensch. Das Alter spielt nicht die geringste Rolle“, sagt er.

      „Hast du den Titel geerbt?“ Er lacht wieder.

      „Gott, nein. Niemand erbt diese Position. Ich habe sie mir verdient.“

      „Hört sich gerecht an.“

      „Korruption, Macht und Angst sind die wesentlichen Faktoren, die den Ausgang bestimmen.“ Ich werde mir langsam sicherer, mein Herz verliert etwas von der anfänglichen Aufgeregtheit und ich bin in der Lage, meine Gedankengänge zu kombinieren und zu ordnen.

      „Dann musst du sehr reich sein“, stelle ich fest. Er schweigt.

      „Wie gesagt, du bist hier, weil ich dir etwas zeigen will. Kannst du dir vorstellen, was es ist?“

      „Ich nehme an, du wirst es mir gleich verraten.“

      „Hast du denn keine Vermutung?“

      „Es gibt einen Grund, warum Asha und ich erschaffen wurden und der Grund bist du.“

      „Du weißt es also?“

      „Ja, ich habe mich erinnert.“

      „Erinnert? Das ist interessant. Ich dachte, wenn man einmal gelöscht wurde, dann wäre das nicht möglich. Mir ist kein einziger Fall bekannt, dass das einem Vollstrecker oder einem Sektionsteammitglied jemals gelungen wäre.“

      „In Anbetracht dessen bin ich anscheinend zu Erstaunlichem fähig.“

      „Offensichtlich. Ich habe mir Fischers Bericht auf dem Weg hierher durchgesehen. Ist das wahr? Kannst du tatsächlich fliegen?“ Ich nehme erstaunt Notiz davon, wie sorgfältig gefeilt seine Fingernägel aussehen. Meine sind gerissen und gebrochen. Nicht abgenagt.

      Fliegen hat er gesagt. Ich denke an den Kampf mit den Drohnen.

      „Nein. Hope hat mich geworfen“, sage ich und schaue zu Trish, die uns regungslos beobachtet.

      „Hope? Das ist also ihr Name.“ Mich beschleicht das Gefühl, ihm bereits zu viel verraten zu haben.

      „Ist das ein Verhör?“, frage ich und denke, dass ich nichts mehr über Hope sagen werde.

      „Diese Hope, wie hast du sie kennengelernt?“ Ich schweige.

      „Und er? Ihren Bruder? Liebst du ihn?“

      „Was?“, rutscht mir das Wort aus dem Mund.

      „Er fragt die ganze Zeit nach dir. Ohne Zweifel empfindet er sehr viel Zuneigung. Ich gehe soweit und sage, dass er sich mit dir identifiziert. Identifikation kann Liebe auslösen. Man teilt Freude und Kummer. Empfindet mit dem anderen und versteht ihn. In einem solchen Prozess werden unsichtbare Kräfte wach, die in den besten menschlichen Eigenschaften – Treue, Hingabe, ja sogar Selbstaufopferung – zum Ausdruck kommen. Was haben Menschen nicht schon alles auf sich genommen. Was haben sie alles ertragen. Nun, davon spreche ich. Und? Liebst du ihn?“

      Ich bin stumm.

      „Und Asha? Liebst du sie?“

      Sein Verstand scheint mich zu benebeln. Ich denke, es ist das Beste, wenn ich weiter schweige.

      „Verstehe. Du vertraust mir nicht und du hast allen Grund dazu. Kann ich etwas für dich tun? Wasser? Etwas zu Essen? Etwas anderes? Willst du Adam sehen?“, fragt er. Er kennt seinen Namen. Ich darf ihn sehen? Damit er mein Vertrauen gewinnt? Das wird niemals geschehen, denke ich.

      „Das Licht im Bad in meiner Kammer muss repariert werden“, ist das Absurde, was ich sage, aber er geht nicht darauf ein.

      „Freija, ich will mit offenen Karten spielen. Ich will deine Hingabe, Loyalität. Ich will, dass du kooperierst.“

      Der Oberste bedient ein Touchfeld am Rand des Konferenztisches und im nächsten Augenblick erscheinen auf der Oberfläche Gebirgszüge, Flüsse, Täler, ganze Landschaften, Städte und Felder und an den Seiten ein blauer Ozean. Ein Miniaturmodell so realistisch, als könne man es tatsächlich anfassen.

      „Weißt du, was das ist?“, fragt der Oberste. Trish bleibt weiter stumm. Die Frage ist an mich gerichtet.

      „Eine Karte eines Kontinents. Nordamerika“, sage ich.

      „Vor 60 Jahren wäre diese Frage eine der einfachsten auf der Welt gewesen. Heutzutage ist es keine Selbstverständlichkeit, das zu wissen. Aber ich muss gestehen, ich habe damit gerechnet, dass du die Antwort kennst. Genauso wie du bestimmt weißt, dass es nicht die Bestien sind, denen dieses Land gehört, sondern dass ich es bin.“

      Ich sage nichts, schaue zu Trish, die mir direkt in die Augen sieht. Nicht wie damals im Skygate, sondern interessiert, neugierig, ja fast schon so, als würde sie jede meiner Bewegungen, meiner Gebärden und Äußerungen studieren. „Weißt du, warum das so ist? Warum es wichtig ist, dass sich die Anzahl der Wissenden in überschaubaren Grenzen hält?“ Ich sitze da und sage, wie schon fast die ganze Zeit über, nichts, komme mir vor wie bei einer Prüfung der Gesandten.

      „Weil Wissen Macht bedeutet“, antwortet Trish anstatt mir. Es ist das erste, das sie sagt. Sie hört sich an wie immer.

      „Würdest du sagen, dass ich mächtig bin?“, fragt er mich jetzt. Wieder eine Frage, die für mich nichts bedeutet, außer dass ich mehr über meinen Feind erfahre, dem ich noch nie so nahe war.

      Könnte ich alles beenden, wenn ich ihn hier und jetzt umbringen würde? Wäre Nordamerika dann frei? Ist es das, was die Prophezeiung von mir erwartet? Das Ende, das in dem kleinen Buch beschrieben wird, das direkt vor mir auf dem Tisch liegt. Er hat es gelesen und fürchtet sich nicht vor mir. Warum fürchtet sich niemand vor mir?

      Wegen meiner Freunde, fällt mir Fischers Erkenntnis wieder ein. Wegen Adam, denke ich. Plötzlich habe ich einen Gedanken, der mich aus der Spur wirft. Der Oberste ist im Besitz des weißen Buches, der Prophezeiung. Hat er womöglich auch Jesses Flexscreen mit den geheimen Botschaften und hat er auch mein Tagebuch? Er weiß, dass ich Adam liebe. Hat er mich dadurch in seiner Hand?

      „Ja, ich denke du bist mächtig“, sage ich dann und hoffe, dass meine plötzliche, zurückgekehrte Nervosität niemand bemerkt. Bei Trish bin ich mir da nicht sicher, sie hat eins ihrer Augen wie früher verengt und sieht mich scharf an. Der Oberste tippt etwas Neues auf dem Touchfeld ein und die Karte von Nordamerika schwebt jetzt über dem Tisch und verformt sich, erweitert sich, bis sich daraus eine Kugel, ein blauer sich drehender Ball manifestiert. Die Kugel ist der Planet Erde, nur hunderttausendmal kleiner.

      „Falsch“, sagt der Oberste und ich schrumpfe unwillkürlich ein paar Zentimeter zusammen. „Der, dem das alles gehört, der kann sich wahrhaftig mächtig nennen.“

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