In einer Nacht am Straßenrand. Ben Worthmann

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In einer Nacht am Straßenrand - Ben Worthmann

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gefiel, mit ihr zusammen hier zu sitzen. Sie war, nun ja, irgendwie interessant – ganz abgesehen von ihrer unbestreitbaren Attraktivität.

      „Aber ich glaube, ich muss auch mal so allmählich los.“ Sie begann in ihrer Tasche zu kramen und holte ihr Portemonnaie hervor.

      „Lassen Sie mal, ich mache das schon“, sagte Leonhard und setzte dann, ohne recht zu wissen, weshalb, hinzu:. „Was meinen Sie, sehen wir uns mal wieder?“

      „Weiß man's?“, sagte sie und blickte ihm ein paar Sekunden voll ins Gesicht. Ihre Augen waren schön. Nicht nur ihre Augen.

      Dann stand sie auf, er ebenfalls, und sie gaben einander die Hand. Ihre fühlte sich schmal und weich an, doch der Druck war fest.

      „Und vielen Dank noch einmal für alles.“

      Er blieb noch sitzen, um zu bezahlen, und sah ihr nach. Auch von hinten sah sie wirklich gut aus.

      Für die paar Schritte zurück in die Redaktion ließ er sich viel Zeit.

      4. Kapitel

      In der Redaktion wurde er bereits von seinen Kollegen erwartet. „Gut, dass du endlich kommst. Wir wollten dich schon anrufen. Es gibt Arbeit für dich.“

      „Immer mit der Ruhe, was ist denn los?“

      „Wir haben eine prominente Leiche. Eben kam eine Mitteilung von der Polizei. Sie haben Bruno Böhning gefunden, drüben im Stadtwald, nicht weit von der Landstraße. Am besten rufst du da gleich mal deine Spezis an.“

      Leonhard brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, was er da hörte. Dann zuckte innerlich zusammen, während sich die einzelnen Worte zu einer Kette verwirrender Assoziationen fügten. Bruno Böhning – B.B. - Nina Winkler und ihr Pillendöschen - die Landstraße am Stadtwald. Du lieber Himmel, was war denn das nun? Konnte es tatsächlich so viele Zufälle geben? Seine Gedanken überschlugen sich. Er durfte sich jetzt bloß nichts anmerken lassen und musste erst mal einen kühlen Kopf bewahren, um seinen Job zu erledigen.

      „Bin schon dabei.“

      Er öffnete sein Büro und machte die Tür hinter sich zu, etwas heftiger als nötig. Er ließ sich in seinen Schreibtischstuhl fallen, legte die Füße hoch, nahm sie wieder herunter und lief einige Schritte hin und her. Er steckte sich eine Zigarette an. Das hätte er jetzt auch getan, wenn er kein eigenes Zimmer gehabt hätte, in dem das allgemeine Rauchverbot nicht galt. Nach ein paar hastigen Zügen setzte er sich wieder und tat ein paar endlose Minuten lang nichts anderes, als dazusitzen, den Kopf in die Hände gestützt, während seine Gedanken rotierten.

      Nina Winkler und B.B., diese seltsame Begegnung am Straßenrand – in was war er da hineingeraten? Er musste das sofort der Polizei melden. Das sagte ihm sein nüchterner Verstand. Leider war dieser nicht ganz so nüchtern, wie er hätte sein sollen. Etwas anderes in ihm sagte, dass er das zunächst mal lassen und erst einmal mit dieser Frau sprechen sollte, und zwar nicht am Telefon, sondern unter vier Augen. Vielleicht gab es ja eine ganz einfache, harmlose Erklärung. Ja, und genau so würde er es machen. Später, wenn er es hoffentlich irgendwie geschafft hatte, diesen Arbeitstag hinter sich zu bringen.

      Bruno Böhning war in der Stadt bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund, aber das in durchaus positivem Sinn. Er war ein Mann mit viel Geld. Ihm gehörten jede Menge Immobilien, Miets- und Geschäftshäuser, fast die halbe Innenstadt. Aber er selbst betrachtete sich gern als eine Art Mäzen, engagierte sich in kulturellen Dingen, kaufte Kunst, subventionierte das kleine Stadttheater, spendete für das Heimatmuseum. Er war nicht nur ein reicher, sondern auch ein angesehener Mann.

      Zu seinem sechzigsten Geburtstag im vorigen Jahr hatte Leonhard ihn interviewt. An das Gespräch erinnerte er sich mit gemischten Gefühlen. Auf seine Weise war Böhning zweifellos eine imposante Erscheinung – groß, schlank, mit seiner grauen Mähne und einem immer noch jungenhaften Charme wirkte er auf den ersten Blick durchaus einnehmend. Doch sein Auftreten hatte auch etwas Selbstgefälliges, und manches daran mutete aufgesetzt, geradezu inszeniert an. Er besaß eine große Neubau-Villa, ein regelrechtes Anwesen, das ein Stück außerhalb der Stadt lag und eine Spur zu protzig war, um so ganz zu den feingeistigen und kulturellen Ambitionen des Besitzers zu passen.

      Schließlich gab Leonhard sich einen Ruck und rief Manfred Becker an, Hauptkommissar im Kriminaldauerdienst. Irgendwann hatten sie beide festgestellt, dass sie einander vertrauen konnten und gut miteinander auskamen, nicht nur dienstlich. Becker war ein kräftig gebauter Mittfünfziger mit einem breiten, meist leicht geröteten Gesicht. Manche unterschätzten ihn zunächst wegen seiner Leutseligkeit. Leonhard traf sich mit ihm manchmal auf einen Kaffee oder ein Bier.

      „Hallo Leo, mein Lieblingsreporter“, meldete sich Becker. „Ich habe schon auf deinen Anruf gewartet.“

      „Was genau ist denn eigentlich passiert?“

      „Dazu können wir frühestens morgen mehr sagen. Vorerst haben wir nur einen toten Bruno Böhning, der im Stadtwald ungefähr zwanzig Meter abseits der Landstraße von Spaziergängern gefunden wurde. Er hatte Sportkleidung an, war wohl zum Joggen unterwegs. Todesursache ungeklärt, Fremdverschulden daher nicht ausgeschlossen.“

      „Und wie lange hat er dort gelegen?“

      „Ein paar Tage bestimmt. Nach erster Schätzung so etwa seit Freitagabend oder der Nacht zum Samstag. Er ist wohl häufiger noch spät am Abend joggen gewesen, hatte ja tagsüber immer reichlich viel um die Ohren. Jedenfalls sieht er schon nicht mehr ganz so frisch aus bei dieser Hitze. Aber zum Todeszeitpunkt können wir erst nach der gerichtsmedizinischen Untersuchung Genaueres sagen, du weißt ja.“

      „Wieso gab es denn keine Vermisstenmeldung?“

      „Ganz einfach deswegen, weil ihn noch niemand vermisst hat. Seine Frau ist seit einer Woche in Urlaub, irgendwo auf Mallorca. Sie haben dort eine Finca. Die Kollegen haben sie bisher nur kurz sprechen können. Sie hat einen Schock und ist noch nicht reisefähig. Sie kommt erst morgen zurück.“

      Leonhard erinnerte sich, dass Frau Böhning bei dem Interview zeitweise dabei gewesen war. Sie war gut zehn Jahre jünger als ihr Mann, relativ klein, mit einer straffen Figur. Ein bisschen überspannt hatte sie gewirkt, aber nicht direkt unsympathisch. Kinder hatten die beiden nicht.

      „Wie habt ihr ihn denn überhaupt identifiziert?“

      „Offiziell identifizieren konnten wir ihn natürlich noch nicht. Aber er hatte sein Handy dabei. Außerdem kennt den hier ja wohl fast jeder hier.“

      „Da hast du auch wieder recht.“

      „Er hat übrigens auch das sogenannte Kulturprogramm bei unserem Polizeifest gesponsert. Es wurde ja hier kaum irgendwo ein Bild aufgehängt oder irgendein Lied gesungen oder was geklimpert, ohne dass der große Bruno Böhning seine spendablen Finger im Spiel hatte.“

      „Da hast du aber jetzt schön ausgedrückt, Manfred. Darf ich dich um Rat bitten, wenn ich demnächst mal wieder ein bisschen Formulierungshilfe brauche?“

      Leonhard wunderte sich selbst, dass es ihm gelang, seine innere Anspannung zu überspielen und die Gedanken beiseite zu schieben, die unentwegt in seinem Kopf kreisten. Mit Becker verblieb er so, dass dieser sich melden würde, sobald es etwas Neues gäbe und dass ansonsten die ersten Ergebnisse der Spurensicherung und der Pathologie abgewartet werden müssten.

      „Dass wir dringend Zeugen

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