In einer Nacht am Straßenrand. Ben Worthmann

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In einer Nacht am Straßenrand - Ben Worthmann

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      Es klopfte, Weidemann steckte den Kopf zur Tür herein.

      „Wollen wir mal kurz?“

      An der Lagebesprechung nahmen nur diejenigen teil, die mit der Berichterstattung zum Tod Böhnings zu tun hatten. Sie kamen überein, dass Leonhard die Nachricht für die erste Seite schreiben und sich weiter um die polizeilichen Ermittlungen kümmern sollte, um sie bei Bedarf sofort zu aktualisieren. Natürlich würde er den Artikel auch mit einigem Hintergrundmaterial über den Toten anreichern, aber es war klar, dass sie außerdem im Inneren das Blattes einen ausführlichen Nachruf brauchten.

      „Leo, könntest du das ebenfalls übernehmen?“

      Leonhard hatte befürchtet, dass Weidemann das fragen würde.

      „Muss das sein?“

      „Nun komm, zier dich nicht. Du bist doch sowieso in der Geschichte drin, außerdem kanntest du ihn.“

      „Ich muss aber doch erst mal die Nachricht rund kriegen. Da gibt’s noch einiges zu recherchieren. Außerdem kenne ich da jemanden, der ihn noch besser kannte.“

      „Hä?“, machte Weidemann, setzte seine Brille ab und klopfte mit dem Bügel gegen seine Unterlippe. „Ach so, du meinst...Nee Leo, bitte. Erstens habe ich überhaupt keine Zeit, weil ich noch ein paar Termine habe, und zweitens bin ich da ein bisschen befangen.“

      Und drittens bist du kein besonders guter Schreiber und weißt das auch, ergänzte Leonhard im Geiste. Aber es stimmte schon, was Weidemann sagte. Da der Chefredakteur des „Morgenkurier“ selber zur Prominenz zählte – nicht nur seiner eigenen Auffassung nach -, hatte er den bedeutenden und verdienten Bürger Bruno Böhning wahrscheinlich etwas zu gut gekannt. Insofern war seine Weigerung sogar journalistisch begründbar.

      „Na gut, wenn es denn gar nicht anders geht, mache ich das eben auch noch“, sagte Leonhard.

      5. Kapitel

      Er fühlte sich erschöpft und ausgelaugt, sein Polohemd klebte ihm unangenehm am Körper, er hatte Hunger, Durst und den Wunsch nach einer ausgiebigen Dusche und frischer Kleidung.

      Zur Rubensstraße war es nicht weit, sieben, acht Minuten vielleicht. Er kannte die Gegend vage, so wie man in einer Stadt von knapp hunderttausend Einwohnern schon in so ziemlich jedem Winkel irgendwann einmal gewesen war, zumal als Zeitungsmann. Hanna hatte er Bescheid gesagt, dass es später werden würde. Sie hatte die Sache mit Böhning bereits mitbekommen. Leonhards Bericht war inzwischen in der Online-Ausgabe des „Morgenkurier“ zu lesen, und in den lokalen Rundfunknachrichten war die Meldung ebenfalls gebracht worden. Er hatte Hanna also nichts weiter groß zu erklären brauchen.

      Die Klimaanlage sorgte für ein bisschen kühlende Erleichterung. Er kam zügig voran. Um halb acht hatte für die meisten Menschen längst der Feierabend begonnen. Fast hätte Leonhard die Einfahrt in die Rubensstraße übersehen. Er musste stark abbremsen, um dann doch noch, nicht ganz vorschriftsmäßig, die Kurve nehmen zu können. Die Rubensstraße war eine reine Wohnstraße. Er fuhr langsam. Nummer 7 lag nahe am Anfang, auf der rechten Seite. Er konnte den Volvo direkt davor am Bordstein parken.

      Nina Winkler wohnte in einem der Mehrfamilienhäuser, von denen sich etliche mit geringem Abstand aneinander reihten. Dazwischen und vor den Häusern gab es Rasenflächen. Die Fassaden wirkten sauber und adrett, weiß gestrichen. Nicht die allerbeste, aber auch bestimmt nicht die schlechteste Gegend. Wahrscheinlich ließ es sich hier ganz gut leben.

      Er hatte kaum den Klingelknopf gedrückt, da war Nina auch schon an der Sprechanlage. Er nannte ihr seinen Namen, sie öffnete sofort. Nur sechs Steinstufen waren es bis zu ihrer Parterrewohnung. Im Hausflur herrschte angenehme Kühle.

      Sie stand im Türrahmen, immer noch in Shorts und dem hautengen Top. Ihre Füße waren nackt. Sie lächelte. Sie lächelte mit fast geschlossenen Lippen und leicht hochgezogenen Augenbrauen.

      „Dass Sie es so eilig haben würden, mich wiederzusehen, überrascht mich jetzt aber doch ein wenig“, sagte sie ruhig und immer noch lächelnd. „Dann kommen Sie mal rein.“

      Mit einer knappen Handbewegung forderte sie ihn auf, sich auf das Sofa zu setzen.

      „Ich hole uns was zu trinken.“

      Sie verschwand kurz in den Flur. Er hörte, wie sie irgendeine Tür öffnete. Ihm wurde immer unbehaglicher zumute. Er hatte noch kein Wort herausgebracht. Du linkischer Idiot, was wird das hier? Alles, was er sich so sorgfältig zurechtgelegt hatte, all die Fragen, mit denen er sie klar und hart konfrontieren wollte – alles weg. Hier lief etwas so, wie es ganz und gar nicht hätte laufen sollen. Das Zimmer schien ihn zu erdrücken. Dabei war es nur sehr sparsam, geradezu minimalistisch möbliert. Das weiße Sofa, ein Korbsessel mit ebenfalls weißen Auflagen, eine kleine Kommode, ein Schreibtisch mit Glasplatte und einem Computer darauf. In einer Ecke auf dem Boden ein Fernseher – er lief. Die Wände waren kahl. Nirgendwo ein Bild oder Foto, ein Kerzenleuchter oder wenigstens eine Blumenvase. Auch keine Bücher. Vor dem Fenster mit weißem Kunststoffrahmen war das hellgraue Rollo zur Hälfte heruntergelassen.

      Der Raum wirkte auf eine befremdliche Weise unpersönlich, ja steril, so als lege die Bewohnerin nicht den geringsten Wert darauf, ihm eine individuelle Note zu geben und ihn wenigstens andeutungsweise mit ihrem eigenen Geschmack zu markieren.

      Nina Winkler kehrte mit einer Flasche Wasser und zwei Gläsern zurück, die sie auf dem flachen kleinen Holztisch abstellte. Sie schüttete ihnen beiden ein und setzte sich auf die Seitenlehne des Sofas, aufrecht, mit übereinandergeschlagenen Beinen. Sie rauchten Zigaretten. Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas.

      „Wir müssen dringend reden“, sagte er.

      Sie fixierte ihn unentwegt, immer noch mit diesem Lächeln. Langsam stand sie auf, drückte mit der rechten Hand ihre Zigarette aus und nahm ihm mit der anderen seine ab, um sie ebenfalls auszudrücken.

      „Du bist doch nicht zum Reden zu mir gekommen“, sagte sie.

      Sie setzte sich dicht neben ihn und begann an seinem Gürtel zu nesteln. Er hatte keine Chance.

      Später hatte er Angst, nach Hause zu fahren. Wie sollte er Hanna gegenübertreten? Wenn er nur annähernd so derangiert und dreckig aussah, wie er sich fühlte, würde sie sofort sehen, dass etwas ganz grundlegend nicht stimmte. Er brauchte noch ein bisschen Zeit. Nach einigen hundert Metern fuhr er an den Straßenrand und stellte den Motor ab. Was da gerade mit einer Frau passiert war, die er im Grunde gar nicht kannte, erschien im grotesk und unwirklich. Das war doch nicht Leonhard Marthaler, der liebende Ehemann und Vater. Und doch war es niemand anderes als eben dieser brave Leo, der sich da gerade, ohne nachzudenken und bemerkenswert aktiv, in einen schrecklichen Schlamassel katapultiert hatte.

      Er hatte Hanna bisher noch nie betrogen. Und wenn er die Vorzüge einer stabilen und langen Zweierbeziehung zu preisen pflegte, war es ihm damit absolut ernst. In seinem Job traf er viele Frauen, auch solche, die er durchaus attraktiv fand. Aber bisher war es immer bei harmlosen Blickgefechten geblieben. Seit einiger Zeit gab es zwei sehr hübsche Volontärinnen, die sich auffallend gerne von ihm ihre Texte redigieren ließen. Er tat das bereitwillig, es schmeichelte ihm ein wenig, aber mehr auch nicht. Er hatte noch nie den Wunsch nach einer Affäre verspürt.

      Nach einer Weile raffte er sich auf und fuhr weiter. Gegen halb zehn kam er zu Hause an. Er warf seine Aktentasche neben die Flurkommode. Sein Jackett hatte er im Auto vergessen.

      „Du

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