Villa am Griebnitzsee. Beate Morgenstern

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Villa am Griebnitzsee - Beate Morgenstern

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Susanne zieht Stöckelschuh und Strümpfe aus, um voranzukommen, geht den Berg hinauf, hat ein Ziel: ER. An diesem besonderen Tag wird Reimar da sein, hofft sie, wird in seinem Zimmer auf sie warten. Vom Schauspielhaus kommt ein Mädchen herunter, als "Don Gil von den grünen Hosen" gekleidet, grünes Wams, grüne Beinlinge, knallrotes Käppchen auf dem Kopf mit einer langen, wippenden Fasanenfeder. Das Mädchen hält sich die Kappe fest. Hallo!, sagt sie. Susanne hat es eilig. Warte mal, warte mal!, sagt das Mädchen. Wann machen wir's denn, wann, Nanne? - Na, was denn?, fragt Susanne. - Na unsere Weiberfete! - Nee, ist doch kaum jemand noch da. Wir müssen warten, bis das Haus wieder voll ist. - Aber wir können doch auch allein saufen! - Nee, sagt Susanne, heute nicht. Ich hab was vor. Susanne lächelt, verrät sich. Ach ja, du hast heute deinen eigenen Sommernachtstraum mit Reimar, spottet das Mädchen. Ja, denkt Susanne. Hoffentlich. Will weiter, endlich zu ihm. Doch Don Gil von den grünen Hosen hält sie fest, ist auch allein, hat Dreharbeiten beim Film, die anderen Schauspielmädchen sind schon abgereist. Wie war's denn? Wie hast du's überstanden? Sie fragt nun nach der Prüfung. Jaja, sagt Susanne, so und so. Das Mädchen lässt nicht locker. Susanne rennt einfach los zur Villa, in der Reimar wohnt, ist voll des süßen Jasminduftes und im Erfolgsrausch: Gleich wird sie bei ihm sein. Rennt hin zu ihm wie ein Hundel, wird ihn anschauen, sehen, wie er sitzt, wie er guckt. Dann wird er sie - vielleicht - in die Arme nehmen und küssen, der große Reimar, der überragende Schriftsteller. Und vielleicht wird er sagen: Hach, wie freu ich mich! Ja, wie stolz bin ich auf dich! Und dann wird er wieder von seinem Traum reden. Sie werden zusammen in die Taiga gehen, in die Prärie, gleichbedeutend mit weit weg und nah an der Basis. Sie nehmen den Kontakt zum Volk auf, nur so wird echte Kunst entstehen. Ins Petrolchemische Kombinat Schwedt werden sie gehen, Erfahrungen sammeln, die fürs Schreiben, für die Kunst wichtig sind. Susanne durfte noch keine Zeile von Reimars großem, wundervollem Roman lesen. Aber es muss ein ganz außerordentliches Werk sein, so wie er davon redet. Im "Neuen Deutschland" wurde schon ein Stück abgedruckt. Reimar hat eine Theorie, die Susanne einleuchtet. Doch bei ihr laufen die Figuren, wie sie wollen, sie kann sie nicht zur Disziplin rufen. Das ist ihre Schwäche, denkt sie. Es kann ja nicht sein, dass die Figuren, von ihr erschaffen, sich plötzlich nicht mehr um sie scheren und ihr Eigenleben führen.

      Utz, ein Mitbewohner von Reimars Zimmer, kommt ihr entgegen mit einem Kotelett in der Hand, lacht. Was soll ich nun machen, abwaschen oder gleich so in die Pfanne?, fragt er, wird mit einem Mal ganz ernst, was nichts mit der Frage nach der Prüfung zu tun hat. Susanne könnte aufmerken. Später wird sie sich an den mitleidigen Ausdruck erinnern. Jetzt sieht sie nur eins: Reimar ist nicht da, hat nicht auf sie gewartet. Kein Reimar, kein Held, der sie umarmt! Sie steht da, bedeppert. Na ja, er ist sicher in seinem Verlag, denkt sie endlich. So einen Helden hat man nie für sich allein, der hat Aufgaben, kann sich nicht um Susanne kümmern, wie sich Susanne um ihn gekümmert hätte. Sie läuft in ihr Haus, legt sich hin, versucht zu schlafen. Bald wird sie gestört. Fietz steht vor ihrem Bett. Die Fachrichtung trifft sich nachmittags zur Feier, sagt er. Nee, sagt Susanne. Ich will nicht. Sie denkt, Reimar wird noch kommen. Mein lieber Reimar wird mich holen. - So geht das nicht, sagt Fietz. Und wenn du nur ne Stunde dort erscheinst! Reimar kommt nicht und immer noch nicht. Susanne wird schwindlig, übel. Gegessen hat sie seit gestern nichts. Die Küche ist nicht mehr besetzt. Was mache ich bloß?, denkt sie, kocht sich schließlich einen starken Kaffee. Und rennt dann die Straßen hinunter zur Stalin-Villa. Die Feier ist schon im Gang. Wodka gibt es. Sie ist nüchtern und Alkohol nicht gewöhnt. Trotzdem kippt sie zwei, drei Wassergläser voll Wodka runter.

      Laetitia, die Geliebte des Rechtsanwalts Maglia, die offenen Haare, halb nach oben gesteckt, das herrliche Gesicht eines Geiers und einer bösen Vettel, immer noch als Frau anziehend, klopft an die Tür des Rechtsanwalts, steckt ihren Kopf hinein. "Kuckuck, du wirst verlangt, großer Wau- Wau",: krächzt sie. "Signore! Raffaele mit Freunden und einer jungen Frau, einer jungen Frau, wie Signore Sie geliebt hat. Früher." Laetitia bewegt sich elegant, sehr wenig, weicht dem Buch aus, das er nach ihr wirft, lacht, fett, hexisch, flüstert: "Beeil dich, meine große Ratte, es gibt Portwein und Zigaretten."

      Als Susanne zu sich kommt, hört sie ein Gemurmel. Man hat sie auf ihr Bett gelegt. Die Jungen müssen sie den Berg hinauf getragen haben in ihr Zimmer. Alles dreht sich. Und immer noch denkt sie: Reimar! Wann kommt Reimar? Fietz kümmert sich, denn die Mädchen sind nicht mehr da. Ihn sieht sie, als sie wieder einmal die Augen aufschlägt.

      "Das Bett Julias. Ich bin bezaubert. Ich bin entzückt ... und verwirrt zugleich ... immerhin ..."

      In der Nacht kommt Utz vorbei. Wo ist denn Reimar?, fragt sie.

      Nun warte doch nicht, sagt Utz. Der ist doch bei seinem Verlag.

      Aha, wie ichs dachte, er ist bei seinem Verlag!, denkt Susanne, will einen Augenblick erleichtert sein, aber ihr Herz krampft: Wieso weiß er davon, und ich, ich weiß nichts? Weh tut diese Frage, bitterweh, lässt sie nicht mehr los. Na schön. Ich werde ihm nichts sagen, wenn er wieder auftaucht, denkt sie.

       "Bist du gelaufen, Angelo?" - "ja, aber nicht schnell genug. "Angelo fällt hin, eine Glasscherbe in der Hand. "Ich war in schlechter Gesellschaft, und meine Nase hat ihnen nicht gefallen."

      Ich mache ihm keine Vorwürfe, denkt Susanne. Wenn man liebt, rennt man eben hinterher, das ist so. Sie schläft ein. Der große Tag, an dem endgültig klar ist, dass sie einen Abschluss an der Schule bekommen wird, endet ganz und gar nicht im Jubel.

       "... Vergiss nicht, als ich dich aus deinem Loch geholt habe, warst du halbtot vor Hunger und vor Angst halb krepiert", erinnert Raffaele den Staatsanwalt. "... Du hast aufs falsche Pferd gesetzt. Du hast den Krieg verloren. Ich hab ihn gewonnen. Und ohne ihn zu führen."

      Wenige Tage später findet die "Versteigerung" der Studenten statt. Golzow bekommt bei der Defa einen Vertrag als Assistent, an den eine spätere szenaristische Tätigkeit gekoppelt ist, Dora bei der Defa einen Vertrag als Dramaturgin, da sie mehr theoretisch begabt ist. Susanne wird von Seminarleiter Schwab wie Sauerbier angeboten. Gesellschaftlich interessiert sei sie. Das ist nun mal Grundvoraussetzung. Nicht interessiert zu sein, bedeutete, politisch untragbar zu sein. In einer Blockpartei sei sie. Und szenaristisch sehr, sehr begabt. Keiner der anwesenden Herrschaften rührt sich. Eine voluminöse Dame vom Fernsehen meldet ihr Interesse an. Ganz gleichgültig ist Susanne nicht, dass sie dem Fernsehen zugeschlagen wird. Doch sie hat ja andere Pläne. Reimar hat ihr versprochen, in die Prärie zu gehen, hat sie überhaupt darauf gebracht. Fietz allerdings wird grüngelb, als die Dame vom Fernsehen auch ihn "einkauft". Für die "Dramatische". Da hat er Dora drei Jahre lang ganz umsonst die Stiefel geleckt!

       "Weine nicht, Georgia, weine nicht!"

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