Villa am Griebnitzsee. Beate Morgenstern

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Villa am Griebnitzsee - Beate Morgenstern

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"Was in Gottes Namen hat Sie nach Casablanca gebracht?" - "Meine Gesundheit. Ich kam nach Casablanca wegen der Quellen." - "Quellen? Was für Quellen? Wir sind in der Wüste!" - "Man hat mich falsch informiert!"

      Wir waren also keine normalen Dramaturgen. Wir waren die Exoten an der Schule. Diese Ausbildung gab es nur einmal. Golzow, den Namen kennen Sie vielleicht. Der war mit in meiner Klasse. Susanne bestand auf der auszeichnenden Unterscheidung. Was hatte sie sonst schon an Leistung aufzuweisen, als diesen besonderen Studiengang absolviert zu haben?

      Auch als Georg gegangen war, blieb Susanne bei bester Stimmung. Die Schule interessiert ihn, ich kann ihm erzählen!, dachte sie. Die Zeit in ihrem Leben, die sie als die glücklichste bezeichnete, wurde zum unmittelbaren Gestern, glaubhaft durch einen Gesprächszeugen. Ihre Gedanken hakten sich an einem Punkt fest, an dem noch alles für sie möglich war:

      Frühsommer 1962. Prüfung in der Stalin-Villa, dem bombastischen Gebäude aus der Kaiserzeit. Stuck, Säulen innen. Eine breite Holztreppe mit herrlichem Geländer. Der Teppich auf den Stufen mit schmalen Messingstangen festgehalten. Alles unverändert, seit Stalin während der Potsdamer Konferenz dort wohnte. Im Zimmer, das unter Denkmalschutz steht, die Aufnahmeprüfung. Plüschsessel dort, Samtportieren. Golzow kommt ins Bild. Dünn, die Haare wirrlockig abstehend, der Schneidezahn fehlt ihm noch immer. Golzow abseits, gelangweilt wie stets. Ihn wird nie etwas aus der Ruhe bringen. Er hat in jeder Hinsicht beste Voraussetzungen. Begabt theoretisch wie als Schreiber. Und schlau. Weiß bei jeder Antwort Marx, Lenin oder Mao Tse-tung zu zitieren und bezieht sich notfalls auf seine proletarische Großmutter. Sein Philosophiestudium lässt die Antworten zum Spiel, zur Farce, geraten. Er gilt als Angehöriger der Arbeiterklasse, da er sich als Bühnenarbeiter bei der Defa einstellen ließ. Was ihm zudem eine Stelle dort sichert. Da die Defa ihn zum Studium delegierte, muss sie ihn auch zurücknehmen. Golzow Berliner. Die langen Fahrten mit dem "Sputnik" um Westberlin machen ihm nichts aus. Als Susanne ihn fragte, sah er sie erstaunt an. Er verbringt die Fahrzeit studierend, saugt Literatur in sich auf, ist ständig auf der Suche nach Filmvorlagen.

      Fietz, blass und blond, in grauem Flanellanzug. Scharfzüngig. Seine Karten weniger günstig. Biedert sich der Partei an. Hat sich im Sommer zur Specki-Tour verpflichtet. Fietz, der Ephebe, beim Abholen von stinkenden, triefenden Tonnen mit Speiseresten, die für die Schweinemast bestimmt sind. Nie wird Susanne begreifen, warum er sich das antut. An der Schule, vielleicht durch das Schauspiel geübt, erkennt man Charaktere. An der Schule jedenfalls wird man ihn nie für eine Kandidatur zur Einheitspartei vorschlagen.

      Wernerle, wie Fietz ihn abschätzig nennt, naiv und jung wie Susanne. Erschien zur Aufnahmeprüfung noch im "Ehrenkleid der Volksarmee". Im Laufe des Studiums immer störrischer. Was ihm nach dem dritten Studienjahr ein Jahr "Prärie" einbringt. An der Prüfung nimmt er noch teil. Ob er das Diplom später machen darf, ist nicht klar.

      Dora, groß, schwarzhaarig, dunkler Teint, Berlinerin, zehn Jahre älter als Susanne, drei Kinder. Hochschwanger kam sie vor drei Jahren zur Aufnahmeprüfung. Hat als Sonderschul-Pädagogin gearbeitet. Parteizugehörigkeit aus Überzeugung. Die Bekanntschaft mit Heiner und Inge Müller brachte sie darauf, noch einmal ganz von vorn anzufangen. Ihre physische Leistung am erstaunlichsten. Dora schluckt koffeinhaltige Tabletten. Dora im Kostüm, Susanne im Kostüm. Zu befürchten haben sie nichts mehr. Schon nach dem zweiten Studienjahr nicht mehr. Exmatrikuliert wird höchstens, wenn jemand noch einen richtigen Bock schießt wie Wernerle. Die bis dahin durchkamen, wissen in der Regel, ihre Zunge zu hüten. Die Schule hat kein Interesse mehr, die Anzahl der Studenten zu dezimieren. Nebenfächer haben sie abgeschlossen. Den gesamten Philosophie-Komplex mit ML, Marxismus-Leninismus, Pol-Ök, Politische Ökonomie, Wissenschaftlichem Sozialismus, Geschichte der Arbeiterklasse, Englisch, Russisch, Kunstgeschichte, Ästhetik, Literaturgeschichte, Filmgeschichte. Eigentlich steht bei der Prüfung nichts auf dem Spiel. Sie werden zu ihrer theoretischen Abschlussarbeit befragt. Während des Studienjahres lieferten sie Arbeiten ab, die auf Filmadaptionen hinausliefen, hatten alle eine Konzeption abzugeben, zum Beispiel zur "Moskauer Novelle" von Christa Wolf Man kann die Studenten also einschätzen, ihre Fähigkeiten wie Weitsicht. Susanne wird ihre Theorieschwäche nachgesehen. Auf die spezielle Begabung kommt es an. Nicht einmal ein Abitur ist zu der Zeit notwendig. Susanne trotzdem aufgeregt, hat die ganze Nacht nicht geschlafen. Die Studenten werden einzeln hereingerufen. Ihnen gegenüber eine Versammlung von Damen und Herren der Schule, der Parteisekretär darunter und ein Vertreter der FDJ, Gäste von der Defa, Dramaturgen. Ein kleiner eleganter Herr, in teurem westlichem Anzug, Old-spice-Duft umweht ihn, Regisseur, Autor. Die Gäste neugierig, wollen begutachten, was das nächste Jahr für eine Ausbeute an Absolventen bringen wird. Bisher konnten - bis auf einzelne Absolventen der Dramaturgie - Studenten an die Defa übergeben werden. Die Stellen dort inzwischen knapp. Deshalb wohl das verzweifelte Bemühen von Fietz, seine Nähe zur Arbeiterklasse zu bekunden, indem er auf Specki-Tour geht.

      Dora gibt glänzend Antwort. Man lauscht draußen. Golzow bemüht Urvater Marx. Mühsam formen sich schon gedachte Gedanken neu, als Susanne befragt wird. Die Unbefangenheit der Oberschülerin, der Gersdorfer Alleinunterhalterin längst dahin. Langsam antwortet sie. Die Dozenten kennen Susannes Prüfungsnot. Seminarleiter Schwab lächelt. Mütterlich die klein-rundliche Verena Kammermeier neben dem langen schwarz-ernsten Kurt Kammermeier. Susannes Sätze beginnen zu fließen.

      Die Prüfung vorüber. Sie alle draußen auf der Diele. Die Türen zum Zimmer weit geöffnet. Ein wunderbares Licht. Vom Balkon herein Jasminduft. Aufgehoben die Trennung zwischen Dozenten, Gästen und Studenten. In Grüppchen stehen sie auf dem herrlich graublauen Teppich, zentimeterdick. Man plaudert, blödelt, witzelt, schaut sich um. Susanne wie in Trance: endlich vorbei, überstanden. Sie sieht Fietz in seinem grauen Flanellanzug dahinschweben, von Grüppchen zu Grüppchen eilend, hier ein Witz, dort eine Bemerkung. Fietz zündet sich elegant eine Zigarette an. Lange waren sie gut befreundet. Susanne hört eine Stimme neben sich. Aber da Susanne sich wie im Film befindet, nur als Zuschauer, am Ort des Geschehens, als Akteur also nicht anwesend, kann die Stimme nicht ihr gelten.

       "... Sie haben vielleicht bemerkt, dass ein Menschenleben in Casablanca nicht viel zählt. "

      Fietz stößt sie mit dem Zeigefinger an. Hör mal, du blöde Henne, sagt Fietz, Dort wartet jemand auf dich! Nun mach mal!, weist auf eine Kammer, die Tür halboffen. Susanne sieht, in der Kammer steht jemand. Susanne wandelt auf die Kammer zu. Ein blonder, angenehmer Herr, Gruppendramaturg bei der Defa, erwartet Susanne. Haben Sie sich schon überlegt, wie es nach dem Studium weitergehen soll?, fragt er.

       "Im Café Americain trifft sich alles."

      Susanne weiß, wie es nach dem Studium weitergehen soll, sagt es nicht, so klug ist sie doch. Schaut ihn bloß an. Na ja. Sie zuckt mit den Schultern. Und da kommt das Angebot, das einmalige, das nie wiederkehrende: Ich würde Sie gern in unserer Gruppe sehen!, sagt der Dozent. Susanne wirft sich ihm nicht an den Hals und jubelt. Verhält sich ganz still. Auch das kann Freude sein. Aber ist es nicht. Nur Verwirrung.

      Überlegen Sie es sich, sagt der Gruppendramaturg freundlich. Aber nicht zu lange. Und sagen Sie niemandem etwas darüber! Bringen Sie das fertig? Der Gruppendramaturg weiß um ihre Impulsivität, kennt Susanne nicht erst seit heute. Will sie vielleicht genau deshalb in seiner Gruppe von Dramaturgen haben, weil Susanne nicht lügen kann, ihrem Gefühl, Instinkt folgt. Und ihr Instinkt ist gut. Eine gute Nase ist manchmal besser als ein kluger Kopf. Wie sagt man: Ein kluger Kopf benutzt unter Umständen seine Klugheit, um sich ein Brett vor denselben zu nageln. Jaja, sagt Susanne. An diesem Tag kann sie alles. Auch schweigen. Sie torkelt zurück zu den anderen, zieht eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Tasche, raucht, ganz lässig.

       "Wenn du nicht hilfst, wird Victor Laszlo in Casablanca sterben." - "Na und wenn schon, ich werde auch in Casablanca sterben. Ist doch ein guter Platz dafür. "

      Lange hält sie es in der Villa nicht mehr. Aber wir feiern noch!, sagt Fietz. Jaja, geh nur, sagt Schwab, Schwäbchen genannt,

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