Villa am Griebnitzsee. Beate Morgenstern
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"Ach, hier bist du also?", staunt Carmela, als sie Antonio "zufällig" im Haus seiner Familie trifft." "Ja, und der Papst ist in Rom", antwortet Antonio.
Aber gutes Kind, Herr Brauner würde Ihnen Arbeit geben! Wenn er Sie in irgendeiner Richtung für begabt hält, gibt er Ihnen eine Chance! Aber ein Studium muss sein, eine Grundlage! Das wird zukünftig in der DDR nicht anders sein! Und Sie sind nicht in der Partei, keine linientreue Genossin! Der Chefdramaturg gibt ihr den Rat, sich an die zuständige Abteilung beim Senator für Kultur zu wenden. Sie können sich gern wieder melden, sagt er zum Abschied. Susannes Beine tragen sie kaum noch. Wie ferngesteuert gelangt sie in die Senatsabteilung, ist in einen Paternoster hinein- und wieder herausgesprungen. Die Vorzimmerdame gibt Susanne einen Begriff von Abstand zwischen westlicher und östlicher Welt. Susanne ist niemand, gar niemand.
Carmela verzweifelt, bleich, nass die schwarzen Haare. In ihrem Eifer, ihrer Eifersucht hat sie Antonio wieder um eine Arbeit gebracht. "Wie du wieder aussiehst", sagt die Mutter. - "Lass mich sterben. Ich will sterben, ich will an Schwindsucht sterben. Was bist du überhaupt. Bist du noch meine Mutter? Immer, wenn ich ein gutes Wort brauche, hast du nichts weiter zu sagen als setz dich hin, benimm dich anständig!"
Susanne hat gar nichts zu melden, nichts zu fragen, ist am Ende ihrer Nerven. Sie heult.
Von den Tränen der fast Gleichaltrigen ergriffen, fragt eine zweite junge Dame: Könnten wir nicht Herrn Sowieso um ein Gespräch bitten? Sie wird von der Vorgesetzten angefahren. Da schreitet jener besagte Herr durch den Raum, elegant vom Scheitel bis zur Sohle, halbe Brille, die an der Kette hängt, ganz unüblich in jenen Zeiten, mit Stockschirm. Schon will er die gepolsterte Tür zu seinem Zimmer öffnen, als er stutzt, sich zur heulenden Susanne wendet: Kommen Sie mal mit! Die junge Dame freut sich, Susanne bemerkt es noch, bemerkt auch, wie sie ihre Freude schnell verbirgt vor jener anderen. Susanne setzt sich, fasst sich. Aha, aha, sagt der Geschniegelte-Gebügelte, da waren Sie beim Herrn Brauner und kommen vom Chefdramaturgen Sowieso. Er wird sehr menschlich und wiederholt das, was schon der Chefdramaturg sagte: Ohne Ausbildung geht es nicht! Hüben und drüben nicht. Auch bei Ihnen wird in Zukunft profundes Wissen verlangt werden! Ich könnte dem Herrn Senator vorschlagen, einen Termin mit Ihnen zu vereinbaren. Aber ich bin sicher, er wird Ihnen dasselbe sagen. Und dann sagt der Beamte etwas Erstaunliches: Sind Sie überhaupt sicher, ob Sie hierher wollen? Schließlich haben Sie sich an Ihrer Filmhochschule beworben! Die schlechten Zeiten drüben in der Zone können noch schlechter werden, vielleicht müssen Sie dann einfach gehen. Doch jetzt?! Den Sprung einfach so zu machen, ohne gezwungen zu sein, da müssen Sie sich schon fragen, ob Sie das wollen, in welche Welt Sie wirklich wollen! Und überlegen Sie sich, ob Sie gesundheitlich ein Studium als Werkstudentin durchhalten! Susanne ist erschöpft, der Beamte bemerkt es wohl. Es ist kein gutes Zeichen, erschöpft zu sein, gleichgültig, wie lange sie schon auf den Beinen ist. Überlegen Sie es sich wirklich gut!, sagt der Senatsbeamte. Und wenn Sie sich entscheiden, im Osten zu bleiben, rate ich Ihnen, lassen Sie sich nicht oft bei uns sehen!
Susanne setzt ihre Erkundungen fort. Carmela lächelt wieder, steigt unverdrossen ihrem Antonio nach. In einer Seitenstraße des Ku'damm entdeckt Susanne das Büro von Radio London, ein Schild weist auf die BBC hin: Auslandsbüro Deutschland. Susanne besitzt inzwischen ein leistungsfähiges westliches Kofferradio mit starkem UKW-Teil. 1000 Ostmark gab sie dafür aus. Hört Radio Basel, Radio London und ganz besonders gern die Sendungen von Austen Harrison. Es zieht sie in dieses Auslandsbüro. Sie betritt eine Eingangshalle mit Säulen, Marmor im Aufgang. Geht eine Treppe hinauf. Ich möchte gern mit jemandem reden, sagt sie. Sagt es, als arbeiteten nicht an die Dutzende Geheimdienste in der Stadt, deren Geschäft es ist, Leute zum Reden zu bringen. Eine Dame verweist sie an einen jungen Journalisten. Aja, aha, sagt er. Was? Und Sie hören immer die Sendungen mit Austen Harrison! Da haben Sie aber großes Glück! Warten Sie mal einen Moment! Der junge Journalist geht nach nebenan, erscheint gleich danach mit einem großgewachsenen Herrn: Austen Harrison! Susanne reißt es vor Freude vom Sessel. Die beiden Herren unterhalten sich mit Susanne, wollen von ihrem Leben drüben wissen. Haben Sie auch Halbstarke?, fragt Austen Harrison. Nee, sagt Susanne. In dem Sinn, in dem Sie's verstehen, nicht. Also, Langeweile gibt's wohl. Die gibt's zur Genüge. Aber schon, wenn sich ein Trüppchen am Bahnhof bildet, ist die Polizei da. Gruppen- oder Cliquenbildung heißt es. So was will man bei uns nicht. Alles könnten die beiden Herren fragen. Susanne würde Ihnen treulich antworten. Sie erzählt, sie wolle zum "Ausschuss freiheitlicher Juristen" gehen, um wegen ihres Vaters etwas zu erfahren.
Zehn Jahre ist es her, dass jener Gutsbesitzer aus einem Dorf bei Oederan kam, ein Mithäftling des Vaters, um von dessen Tod zu berichten. Selbst vom nahen Tod gezeichnet, achtete er nicht die Schweigepflicht. Aber eine amtliche Bestätigung hat die Mutter nie erhalten. Susanne will nicht mehr wahrhaben, was der Gutsbesitzer sagte. Es ist so lange her. Vielleicht macht dieses Westberlin sie auch träumen. Alles ist hier anders, alles scheint möglich. Vielleicht leiten Nachforschungen die Auferstehung des Vaters ein. Austen Harrison geht. Der junge Journalist sieht Susanne eine Weile freundlich an. Dann sagt er: Oh, ich würde Ihnen nicht empfehlen, zu diesem Ausschuss zu gehen.
Wieso nicht?, fragt Susanne verdutzt.
Na ja, wissen Sie, dieser Ausschuss ist durchsetzt. Und Sie reden sehr offen. Man weiß nie, was Ihre Aussage auslöst, wo die Aussage hingelangt. Sie begeben sich ganz unnötig in Gefahr!
Susanne hat gespielt. Hat mit Gedanken gespielt. Und hat das Anfangsglück eines Spielers. Sie war hier und da. Aber den "Ausschuss freiheitlicher Juristen" meidet sie, was nach ihrer späteren Kenntnis mindestens das sichere Ende jeglichen beruflichen Fortkommens bedeutet hätte. In Wirklichkeit will sie gar nicht in den Westen. Es zieht sie auch nicht in die westliche Filmwelt. Wie viel Billigware, Ramsch wird produziert zwischen einzelnen herausragenden Filmen. Nein, sie will nicht in den Westen. Warum ner nich? Warum ner nich?, klagt die Mutter. Seitdem das mit ihrem Mann passierte, hat sie nur wenige Menschen um sich. Als ob der ganze Ort sich schäme, lässt er es die büßen, die Leidtragende sind. Und doch sind die Burkards auch wer. Geschäftsleute. Boehm & Burkard, der Name hat Klang. Susanne, von Kind an mit dem Makel behaftet, nicht richtig zu sein, erträgt die Vorstellung nicht, dass sie drüben niemand wären, Flüchtlinge aus dem Osten. Sie weiß ja von ihren Klassenkameraden, Jahre älter als sie, was es bedeutet, Flüchtlingskind zu sein. Da braucht es ein halbes Leben, ein ganzes, bis man vielleicht zwischen den Alteingesessenen Fuß fasst. Susanne hat ihre Ohren aufgesperrt bei allen Erzählungen von Weggegangenen und über Weggegangene. Mit feinen Antennen ausgestattet, hat sie Demütigungen herausgehört. Kennt die Dankbarkeit, die verlangt wird. Auch sie musste ja immer dankbar sein, verlangte der Onkel, Boehm-Otto, die Mutter, warum, wusste sie damals bloß nicht. Wer aus dem Osten kommt, ist nichts. Ob er aus dem nur ehemaligen deutschen Osten kommt oder dem Staat, der nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland als Deutsche Demokratische Republik ausgerufen wurde. So bleibt sie stur, wie sehr ihr die Mutter auch in den Ohren liegt.
Und dann gibt es noch mindestens einen Grund, weshalb Susanne dem Drängen der Mutter widersteht: Sie will die Wälder, Hänge, Berge, Dörfeln ihres Erzgebirges nicht missen. Hat sie sommers wie winters durchstreift. Sie hat eine Treue zu dem Landstrich, in dem sie aufwuchs. Als sei es nichts, eine Gegend, Menschen, eine Ordnung zu verlassen, dachte Susanne. Eben hat man noch die Kriegsflüchtlinge bedauert. Nun hat sich jeder zu rechtfertigen, der geblieben ist! Ihr schien, drei Jahre nach der Einheit nahmen die Absurditäten eher noch zu.
III
Es war nicht kalt, doch feucht. Susanne kam früh kaum aus ihrem Bett. Dämmerung noch, als Georg eintraf. Susanne mochte nicht reden. Auch Georg maulfaul. Nach der längsten Nacht der kürzeste