Villa am Griebnitzsee. Beate Morgenstern

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Villa am Griebnitzsee - Beate Morgenstern

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einfach ins Gestapo-Hauptquartier, und wenn ich ihn umgebracht habe, dann seid ihr vielleicht so liebenswürdig und sagt mir, warum.

      Georg brachte die Einkäufe nach oben. Zeit zum Reden war nicht geblieben. Auch war er unlustig, schlecht gelaunt. Die Wochenenden unterwegs mit seiner Band überanstrengten ihn offenbar. Er schaute auf seine Uhr, nahm seinen Lederrucksack auf.

      Susanne hätte es gern gehabt, wenn Georg gefragt hätte. Sie hätte gefragt, sie war immer neugierig auf Menschen gewesen. Frau Burkard, waren Sie auch in der Partei?, hätte Georg fragen können. Die Frage stellte sich jetzt immer. War man Mitläufer, gar engagiert gewesen? Vielleicht waren Georgs Eltern in der Partei gewesen, hatten ihre Ideale gehabt, möglicherweise sogar bis zum Ende an die Reformierbarkeit des Sozialismus, an den Sozialismus mit menschlichem Antlitz geglaubt. Im Alter von Georgs Eltern ging man freiwillig in die Sowjetunion, wurde man nicht wie nach dem Krieg als Spezialist gezwungen. Ich war Junger Pionier, hätte Susanne geantwortet. Gegen den Widerstand meiner Mutter und meiner alten Verwandten. Ich beschimpfte sie Schmarotzer, Parasiten. Sie nannten mich Verräter, denn mein Vater war als angeblicher Nazi im Lager umgekommen. In der FDJ war ich zunächst glühendes Mitglied, bis ich merkte, da funktionierte nichts außer den Fahnenappellen. Und Resolutionen wurden verfasst. Ich war in der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, weil wir die Lehrerin mochten und uns ehrlich mit dem Volk aussöhnen wollten, dem wir soviel Unrecht angetan hatten. Ich war mit dem russischen Volk und seinen edlen Zielen einverstanden. Den kleinen Leuten sollte es gut gehen. Die sollten nicht auf der Straße rumstehen, nicht wissend, wohin vor Langeweile. Im Kulturbund war ich, weil ich wollte, dass wir in der Schule Zirkel gründeten. Und in der GST, der Gesellschaft für Sport und Technik. Da allerdings nicht freiwillig. Wir wussten, es war eine paramilitärische Organisation. Wir vom Jahrgang 38 waren ja alle Kinder, die den Krieg, Nachkrieg miterlebt hatten, kannten die Folgen vom Krieg, waren mit Flüchtlingskindern aufgewachsen, die ihre Heimat verloren hatten. Schon als die Polizei gegründet wurde, war uns nicht wohl. In der Bevölkerung war sie verachtet. Wir wollten die Gesetzlosigkeit nach dem Krieg natürlich auch nicht. Doch dass die Polizei in unseren Augen weniger gegen Kriminelle vorging als gegen Politische, missfiel uns allen. Im Sinne Makarenkos wollte man Menschen helfen, die gestrauchelt waren. Sie sollten wieder nützliche Glieder der Gemeinschaft werden. So weit richtig. Doch man maß mit zweierlei Maß. In die GST wollten wir auf keinen Fall. Doch da gab es diesen Mathelehrer. Er verachtete uns, brachte sein Pensum ohne Rücksicht, ob wir mitkamen oder nicht, so dass wir zu den wenigen Schülern gingen, die zu Hause gearbeitet hatten, uns von denen erklären ließen. Und er machte sich unsere Angst zunutze. Eines Tages kam er in die Klasse, sagte: Meine Damen, hier! Wir waren eine reine Mädchenklasse. Er hatte einen Stoß Anträge für die GST in der Hand. Wir: Nö, was sollen wir dort? Er: Wer interessiert sich? Zwei Fingerlein meldeten sich. So, ich lege die Zettel hier vorn hin, sagte er. Ich komme in 'ner viertel Stunde zurück. Entweder sind die Zettel ausgefüllt, oder wir schreiben eine Mathematikarbeit, bei der keine von euch mehr haben wird als eine Vier, die meisten eine Fünf. Er ging raus. Wir sahen uns an, griffen uns die Zettel. Als er reinkam, schaute er sich den Stapel an, lächelte. Warum nicht gleich so, meine Damen! So war ich Mitglied in der FDJ, der DSF, im Kulturbund und in der GST. Und wurde dann auch Mitglied einer Partei. Aber nicht der. Ein Mädchen aus der Klasse schrieb Lokalspitzen. Das kannst du doch auch, sagte sie. Das Mädchen war bei der "Volksstimme". Da konnte ich also nicht hin. So ging ich zum Blatt der NDPD, der Nationalen. Na ja, sagte der Redakteur, das ginge schon. Aber Sie müssten erst Mitglied unserer Partei werden. - Geben Sie mir ein Aufnahmeformular, sagte ich. Er tat es. In fünf Minuten war ich Mitglied einer Blockpartei. Es war lächerlich, und so nahm ich es auch. Unter dem Motto: Wenn die's so wollen, wenn die so blöd sind! Ihre Generation hat es denen ja nicht mehr so leicht gemacht. Georg hätte gegenreden können oder nicht. Aber Georg war nicht mehr da.

      Hässlich ist Nanne. Nanne, das hässliche Mädchen. Die Mutter hackt auf Nanne herum. Nanne muss es glauben. Sie zieht Hosen an, um ihre Beine nicht zu zeigen, wird das Hosenmädchen genannt. Die Mutter schleppt Nanne zur Schneiderin, macht Vorschläge. Die Schneiderin nimmt Nanne zur Seite: Hör bloß nicht auf deine Mutter, sagt sie. Du hast doch Geschmack! Susanne kauft sich in Westberlin eine James-Dean-Weste, die dreißig Westmark kostet beim Kurs 1:5, eine Strickjacke mit Samteinsatz vorn und einen Wintermantel für umgerechnet 300 Ostmark. Im Sommer zwei Kleider. Sie trägt geschneiderte BHs. Bis sie an die Schule kommt. Ein Mädchen aus dem Nachbarzimmer begutachtet ihre eigentümliche Ausrüstung, schleppt sie nach Potsdam, zwingt sie, einen Teil ihres Stipendiums für zwei BHs der neuesten Mode auszugeben, Monroe-Büste mit Körbchen. Der Erfolg umwerfend. Im Seminar übergeht man noch Susannes Vervollkommnung. Aber als Susanne in die Regieklasse tritt, anerkennende Laute, Pfiffe. "Donnerwetter", sagen die Jungs. Die Schauspielmädchen schneiden Susanne die Haare kurz. Die Mädchen schminken sie. Susanne nicht mehr das hässliche Mädchen. Eine List der Mutter war es, die alles tat, um Susanne von den Jungen fernzuhalten. Nicht einmal auf den Tanzboden hatte sie sich gewagt.

      Dass ich nicht tanzen ging, ist mir bei meiner zweiten Aufnahmeprüfung an der Schule fast zum Verhängnis geworden. Susanne sprach in Gedanken wieder mit Georg. Gehen Sie tanzen?, fragte der Parteisekretär. Nein, sagte ich. - Ein junges Mädchen, das nicht tanzt?, fragte der Parteisekretär, schüttelte den Kopf. - Ja, ich muss doch immer Klavier spielen, hab ich schnell gesagt. Dann tanzen die anderen. Und als ich es dann mal probiert habe, habe ich gemerkt, ich hab den Takt nur in den Händen, nicht in den Füßen! Lacher in der Runde. Ich hatte gewonnen.

      Den Takt hat Susanne nicht nur in den Händen. Aber wie kann sie tanzen gehen, wenn sie sich vor Scham kaum auf die Straße getraut. Sie zieht sich nach Hause zurück. Liest. Und sie kauft Bücher. Verwendet während der Oberschulzeit ihr Essengeld dafür, Friedensware aus dem Lager zu Hause, die ihr die Mutter gibt, Kurvenlineale, Zirkelkästen bessern außerdem ihre Kasse auf Susanne räumt den Bücherschrank zu Hause um. Die Bücher in der hinteren Reihe bringt sie zu den alten Verwandten, den Boehms, stellt ihre hinein, stellt die von hinten langsam nach vorn. In einem entfernteren Raum ihres Hauses existiert ein alter Bücherschrank des Vaters. Vorn Nazischwarten. Verlag Eder "Volk unter dem Hammer". In der zweiten Reihe Bücher ganz anderer Art, Weltliteratur durchweg. Susanne lernt ihren Vater von einer neuen Seite kennen. Und für Biologie, Geologie interessierte er sich. Die Nazischwarten der Alibireihe verschwinden. Weltliteratur gesellt sich zu Weltliteratur.

      An meinem Vater hab ich gehangen wie an niemandem sonst, dachte Susanne. War er da, war alles gut.

      Banker war der Vater in Chemnitz. Doch die Mutter träumte vom eigenen Laden, von Selbständigkeit. Susannes Großvater war noch mit dem Bauchladen unterwegs gewesen. Die Mutter wollte einen deutlichen Aufstieg, drängte ihren Mann. Still und weich war er, ein Mann, wie ihn sich herrschsüchtige, unleidliche Frauen suchen. Er gab nach.

      Er gab auch nach, als der Schwager zum Eintritt in die Partei drängte. Kein Eubener Geschäftsmann, der es wagte, nicht Mitglied dieser Partei zu sein. Und Boehm & Burkard hatten schließlich zwei Geschäfte.

      Nur einmal gab er nicht nach. Als es um die Adoption eines Kindes ging. Ausgerechnet Susanne hatte es sein müssen, das Mädchen mit dem jüdischen Namen, das er holte. Warum es so schwierig war, Susanne zu adoptieren, konnte später niemand sagen. Der Vater handelte die Angelegenheit ohne Mitwissen der Verwandten aus, kämpfte Monate. Am Reformationstag 38 war es so weit: Er fuhr mit der Mutter in einem Opel vor dem Heim in Dresden-Radebeul vor, um Susanne mitzunehmen. Ein Jahr später war Krieg. Obwohl 38 Jahre, Inhaber von zwei Geschäften, wurde er als einer der Ersten einberufen. Nie zeichnete er sich aus, bekam keinen Sonderurlaub wie andere. Doch er kehrte gesund aus dem Krieg heim. Ganze glückliche 14 Tage waren Vater, Tochter und Mutter zusammen. Dann holten die Russen und zwei Deutsche den Vater als Nazi ab, steckten ihn in einen Sammeltransport. Noch waren die Männer, die man abgeholt hatte, im Rathaus eingesperrt. Boehm-Otto, der Schwager, drängte die Mutter. Susanne verstand nicht, worum es ging. Nur dass die Mutter Angst um Susanne hatte. Erst später wurde Susanne klar, die Mutter hatte es nicht gewagt, die Umstände der Adoption auf dem Rathaus zur Sprache zu bringen. Sie hatte die Furcht, nach dem Mann auch noch das Kind zu verlieren an die Mutter, die

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