Irma. Michael Tycher
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Der kleine Konferenzraum wird schlicht „The Hill“ genannt. Bei Erkenntnissen, die die Sicherheit oder dringende Bedürfnisse der USA berühren, ziehen sich hier die Spitzen der betroffenen Dienste zurück und beraten das weitere Vorgehen. Prasselnder Regen peitscht gegen die Fensterscheiben.
„Man hört ihn hier drin, den Regen. Was für ein Wetter? Der Wetterbericht hatte Sonne versprochen, wir sollten die Jungs mal überprüfen.“
Porter ist Behördenleiter der IC und Verbindungsperson ins Weiße Haus. Die blaue Krawatte ist viel zu kurz gebunden, der wachsende Bauch wird dadurch stärker betont als gewollt. Ein immer wiederkehrendes Phänomen bei amerikanischen Beamten.
„Machen wir es so schnell wie möglich, ich hätte auch nichts gegen einen zeitigen Feierabend. Der Sachstand ist ihnen bekannt.“
In „The Hill“ sitzen die Vertreter von sieben Diensten. Sie alle sind im Red Case-Fall involviert. Die Army (G2), CIA, NSA und weitere Vertreter, die auf unterschiedlichste Weise mit Aufklärungsarbeiten befasst sind. Porter geht zügig voran.
„Wir haben ein Telefonat aus Singapur abgefangen. Die Stimme des Anrufers konnte identifiziert werden. Das ist noch nichts Besonderes und würde uns nicht zu diesem Treffen hier zwingen. Aber zwei Punkte sind beunruhigend. Die Vergleichsstimme, die zur Analyse vorlag, ist knapp zehn Jahre alt. Seitdem gibt es kein Lebenszeichen von diesem Mann, er sollte entweder tot, untergetaucht oder inaktiv sein. Und der zweite Punkt ist: Es handelt sich um die Stimme von Charles Brooker. Mr. Sonderburg erzählen sie uns etwas über Brooker.“ Das war mehr ein Befehl als ein milder Vorschlag. Sonderburg aus dem Army Corps stellt eiligst die Kaffeetasse ab.
„Wir haben ein paar ehemalige Spitzenleute, die eine komplette Ausbildung in allen Dingen genossen haben, aus den Augen verloren. Es sind nicht viele, über einige wissen wir, dass sie als Söldner irgendwo auf der Welt arbeiten, andere sind verstorben. Sie …“
„Halten sie uns nicht mit Dingen auf, die wir schon wissen, Sonderburg! Was wissen wir über Brooker?“
„Nichts oder wenig.“
„Dann reden sie schon!“ Porter kann sehr schnell zu einer Ungemütlichkeit gelangen, die die Teilnehmer eines Meetings in unschöner Erinnerung behalten lässt. Zudem prägen sich die Notizen, die er anschließend in seine private Personalakte schreibt, auch noch über Jahre in sein Gedächtnis gut ein.
„Bis vor zehn Jahren diente Brooker in diversen Spezialeinheiten, er ist als Einzelgänger ausgebildet worden und beherrscht so ziemlich alle Techniken, die töten können, sowohl Einzelpersonen als auch Organisationseinheiten.“
„Also ein Killer im Dienste der USA?“
„Ja, wir brauchten damals diese Leute, die uns geräuschlos Probleme vom Hals geschafft haben.“
„Und heute?“
„Seit damals ist er von der Bildfläche verschwunden. Er hat es wohl nicht verknusen können, dass er keine Aufträge mehr bekommen hat, ich weiß es nicht. Wir haben gehofft, dass er sich mit einer neuen Identität zurückgezogen hat.“
„Diese Hoffnung können sie wohl begraben, Sonderburg. Was noch?“
Mrs. Flechter, eine ansehnliche Frau um die Vierzig mit hochgestecktem Haar meldet sich zu Wort. Sie vertritt das Office of Intelligence and Analyses (I&A), das im Wesentlichen im Zuständigkeitsbereich Innere Sicherheit tätig ist.
„Ich weiß, wir sollten uns an Fakten halten. Aber wir hatten schon immer die Vermutung, dass Brooker weiter aktiv ist, konnten aber nie Beweise finden. Es scheint ein unausgesprochenes Geheimnis bei uns zu sein, dass er als hoch bezahlter Profikiller weltweit unterwegs ist.“
„Was führt sie zu dieser Annahme, Mrs. Fletcher?“ Porters Finger finden sich an seinem Kinn ein. Immer dann, wenn er eine Spur oder eine interessante Erkenntnis findet, beginnen diese Fingerspiele.
„Es sind unaufgeklärte Mordfälle, es sind Tote, bei denen keine eindeutigen Aussagen zu treffen sind, ob Fremdeinwirkung im Spiel war. Und bei genauer Analyse der Umstände von Todesfällen zeigen sich immer wieder Personen, die unmittelbare Vorteile vom Ableben des Opfers hatten. Es sind bei uns die Brookers-Fälle, es ist eine Allgemeinformulierung geworden. Ob Brookers bei den dokumentierten Morden seine Finger im Spiel hatte, werden wir nie erfahren, es sei denn, er erzählt es uns. Aber einiges spricht dafür und jetzt umso mehr, da wir wissen, dass er noch existiert und wohl auch aktiv ist.“
„Okay. Ribbley, was für eine Verbindung gibt es zwischen Brooker und Caiden, diesem Investment-Banker?“
Das FBI möchte immer gerne überall mitspielen, doch es stößt oft an personelle und technische Grenzen.
„Über Caiden halten mächtige Hände ein großes Schutztuch. Vermutlich hat er auch Kontakte in dieses Haus hier. Seine Taktik ist sehr schlau, er macht sich den Tod von Menschen, die an Schaltstellen sitzen, zunutze. Möglicherweise arbeitet Brookers für Caiden. Wir wissen es nicht, das Telefonat ist ein Indiz dafür. Jeder halbwegs gebildete Rechtsanwalt würde uns die Anklage, Caiden beschäftige einen Profikiller, in Stücke reißen. Und Caiden könnte eine ganze Brigade davon aufbieten.“
„Meine Dame, meine Herren, wir stehen vor einem Problem.“ Porter wirkt aber so, als hätte er schon Lösungen parat.
„Wir überwachen diesen Caiden ab jetzt verstärkt und beziehen seine gesamte Geschäftstätigkeit mit ein. Der bislang unbeteiligte Dienst des Finanzministeriums wird mit in die Ermittlungen einbezogen. Ihre nächsten Aufgaben erhalten sie postwendend.
Was Brooker betrifft, werden wir den Bundesnachrichtendienst in Deutschland informieren. Dort wird er zuschlagen. Gegen wen oder was wissen wir nicht. Wir haben einen modernen Terroristen ausgebildet und beschäftigt, jetzt müssen wir uns um ihn kümmern und ihn außer Gefecht setzen. Dieses Gespräch hier untersteht der obersten Geheimhaltungsstufe. Ich nehme sogleich Kontakt mit dem Stab des Präsidenten auf, um für unser Vorgehen in diesem RC-Fall grünes Licht zu bekommen.“
Berlin
Perfekt, Anzug und Auto sind in einem einwandfreien Zustand. Lars ist zufrieden mit seiner Vorbereitung. Der Lufthansa-Flug aus Frankfurt soll pünktlich kommen. Das Abholschild ist beschriftet mit „Prof. Dr. Irma Mitteldorff“, ein paar Kollegen am Gate warten ebenfalls auf ihre Fahrgäste. Einige kennt Lars noch aus seiner Berliner Zeit. Die neugierigen Fragen beantwortet er souverän. Ein Kollege kann sich an seine Verfolgungsfahrt in Berlin erinnern, mit der er einen Pharmafall lösen konnte. Lars betont aber, dass er das ohne Mithilfe seiner Freunde nicht geschafft hätte.
Die ersten Passagiere eilen aus dem Gate. Geschäftsleute, nur mit Handgepäck ausgestattet, greifen zu ihren Mobiltelefonen als wären sie für ihr Überleben die einzige Lösung. Die ersten Chauffeure finden ihre Fahrgäste und geleiten sie zu den bereitgestellten Limousinen. Lars geht fest davon aus, dass er warten muss. Erstens wird die alte Dame Reisegepäck bei sich haben und zweitens ist sie wohl nicht mehr die Schnellste.
Alle Kollegen sind mit ihren Fahrgästen bereits über alle Berge und haben sich in den Staus der Stadt eingereiht. Von weitem sieht Lars durch die Verglasung einen Rollstuhl und zwei Mitarbeiter vom Flughafenservice. Einer greift einen großen Koffer, der andere spricht mit einer alten Dame. Sie wird es wohl sein. An den Rollstuhl hat Lars gar nicht gedacht, auch in den Auftragsunterlagen war davon kein Wort zu lesen. Das macht immer dann Probleme, wenn die Luxuslimousinen kaum