Korridorium – letzte Erkenntnisse. Cory d'Or
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Читать онлайн книгу Korridorium – letzte Erkenntnisse - Cory d'Or страница 3
»Eure Majestät, darf ich versuchen, Nemo hierher zu bringen? Ich habe da eine äußerst brillante Idee.«
Fasziniert und staunend betrachte ich die Imaginationen und Manifestationen meines Geistes, lausche der inneren Musique concrete meiner Seele.
Leider kann ich, trotz jahrelangen Trainings, nur eine kurze Zeitlang einen Rest Bewusstsein dafür bewahren, und wenig später (und viel zu schnell, immer viel zu schnell) nimmt mich Hypnos in seine Arme, umfängt mich der Schlaf.
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2.12.11
»Ich betrete den Korridor wie alle anderen auch«, sagte der Meister zu seinem Besucher, als der gefragt hatte, wie er seinen Weg durchs Leben finden könne.
»Dann seid Ihr ein Sucher wie ich?«, fragte der Besucher weiter.
Doch der Meister schüttelte den Kopf: »Der Weg verzweigt sich, viele Gänge stehen zur Auswahl, lange, kurze, gerade, abknickende, über Treppen hinauf und hinunter führende – und die meisten enden als Sackgasse.«
»Das ist es ja gerade«, klagte der Besucher. »In diesem Labyrinth finde ich meinen Weg nicht.«
Wieder schüttelte der Meister den Kopf: »Labyrinth? Das wäre ein langer gewundener Gang, der in vielen Schlaufen, aber ohne Abzweigungen ins Zentrum führt. Du dagegen sprichst von einem Irrgarten.«
Der Besucher zögerte. »Und wie finde ich nun meinen Weg durch den Irrgarten?«
Ein drittes Mal schüttelte der Meister den Kopf und wiederholte: »Ich betrete den Korridor wie alle anderen auch.« Dann lächelte er. »Doch unter meinen Schritten verwandelt sich der Irrgarten in ein Labyrinth.«
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6.12.11
Ich betrete den Korridor. Hier herrscht ein lustiges Treiben. Eine Frau in bunten, weiten Gewändern begrüßt mich lächelnd und mit einem Kuss auf die Stirn. Sie führt mich zu ihren Freunden, die mit ein paar Kindern um ein Feuer herumsitzen, singen, tanzen und Marshmallows braten. Ich gefalle offenbar noch weiteren Frauen aus der Gruppe. Sie betasten mich, schmiegen sich an mich und binden mir Blumen ins Haar. Als ich weitergehen will, zieht mich eine von ihnen zu Boden und bietet mir ein glimmendes Röllchen Papier an. Die Türen des Korridors – sehe ich nun – haben sie mit Fantasiewelten bemalt, mit Mandalas und Blumengirlanden.
Ich habe meinem Volk versprochen, nicht eher in meiner Suche innezuhalten, als ich das Tjurunga wiedererlangt habe, ohne das unser Schamane machtlos ist. Dennoch: Kann ich nicht kurz verweilen, mich von den Strapazen der Wanderung erholen? Vielleicht sollte ich die Sprache dieses Volks erlernen und bei ihnen in Erfahrung bringen, was mich am Ende des Korridors erwartet – und hinter den vielen Türen, die sie seit Jahren, vielleicht Jahrzehnten nicht mehr und womöglich nie geöffnet haben. Die fröhliche Stimmung dieser Menschen steckt mich an. Ja, ich bleibe: Ich nicke den Frauen zu und gebe ihnen zu verstehen, dass ich die freundliche Einladung annehme. Möglicherweise finde ich das Tjurunga ja hier bei ihnen. Mir wird ein wenig schwindlig von all den neuen Eindrücken. Der schwelende Papierstengel ist heruntergebrannt, und irgendwie weiß ich, dass der Rauch nie mehr bitter schmecken wird.
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12.12.11
Ich betrete den Korridor zwischen den Zellen. Eine große Ehre! – was habe ich gebeten, gebettelt und gebetet, einmal die Chance zu bekommen, mit den alten Meisterpoeten zu sprechen, ihren Rat einzuholen, von ihrer Weisheit zu profitieren? Nun endlich, nach langen Verhandlungen, wird mir der Zutritt zum Akasha-Palast gewährt. Hier werden nicht nur ihre zeitlosen Werke sicher verwahrt, hier lebt ebenfalls ihre damalige Persönlichkeit in immerwährender Sicherheitsverwahrung fort. Nichts vergeht, auch nicht der Geist unserer Ahnen, die uns Rede und Antwort stehen, falls wir denn den Weg zu ihnen finden.
Man hat mich in den Korridor der Dichter gelassen – einen eigenen für Kurzprosatexter gibt es nicht – und wer sich von ihnen nicht nur auf Lyrik beschränkt hat, dessen Zelle öffnet sich schätzungsweise noch zu anderen Korridoren hin: Tragödien, epische Dichtung, Komödien, Chorlyrik, astrologische Deutungen …
Aber das ist nur eine Vermutung, keine Gewissheit. Die Wächter hier sind nicht sehr auskunftsfreudig. Jedenfalls scheint das Aufnahmekriterium für die Insassen der Kuss einer Muse zu sein. Hier also wohl der von Euterpe. Ich lese auf den Schildchen an den Türen Namen wie Milton, Dante, Bolo, Orpheus, Neidhart, Brant, Shiki, Bukowski, Vergil, Yeats, Tyrtaios, Tao Yuanming und viele, die ich noch nie gehört habe. Euterpe war fleißig. Oder war es Erato?
Wen soll ich hier befragen? Man lässt mir nicht viel Zeit. Ich darf einem der Dichter hinter den schweren Bohlentüren eine Frage stellen. Jahre, Jahrzehnte habe ich über diese eine Frage nachdenken können. Ich kenne sie in- und auswendig. Es ist die Frage, der Schlüssel zur Antwort hinter allen Antworten.
Der Wächter wirkt bereits ungeduldig. Aus der Zelle Bukowskis scheint ein Heulen zu dringen, aber vielleicht ist es auch der Wind der Zeit, der sich in diesen endlosen verschlungenen Korridoren gefangen hat. Mein Blick fällt auf den Namenszug Rumi. Ja! Er soll es sein! Er wird die Antwort wissen und sie mir gerne sagen. Innerlich jubiliere ich, als ich die kleine Holzplatte in der Tür zur Seite schiebe. Ja, wer könne mir besser Auskunft geben als der persische Meisterpoet und Visionär der mystischen Liebes- und Gottesekstase!
»Dschalaluddin?«, rufe ich ins Dunkel seiner Zelle. Undeutlich sehe ich dort einen Mann mit einer turbanumkränzten Derwischmütze, der sich mit ausgebreiteten Armen auf der Stelle dreht. Er strahlt, jenseits aller denkbaren Worte, eine unendliche Ruhe dabei aus, und gleichzeitig dringt mir eine unsägliche Freude, die in schimmernden Spiralen von ihm ausgeht, tief ins Herz.
Ich weiß nicht, ob ich einen Atemzug lang dort stand oder eine Ewigkeit verging. Die Hand des Wächters schiebt die kleine Holzpforte zu Rumis Zelle zu. Er geleitet mich zurück. Als ich endlich wieder im Freien stehe und der Wächter die Tore des Palasts hinter sich geschlossen hat, beginne ich mich zu drehen, langsam um meine Achse, mit ausgebreiteten Armen.
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14.12.11
Ich betrete den Korridor aus verschiebbaren Plastikwänden. Die Forscher starten ihre Stoppuhr. Sie wollen testen, ob ich etwas weiß, was ich eigentlich nicht wissen kann: ob sich aus den Lernerfahrungen einzelner Individuen sogenannte morphische Felder bilden, auf die andere Individuen derselben Spezies Zugriff haben.
Ich für meinen Teil kenne den Weg durch diesen Irrgarten nicht. Aber vor mir sind unzählige andere Ratten solange hindurchgeirrt, bis sie sich die kürzeste Route zum Futter merken konnten. Einige von ihnen sind inzwischen tot und seziert – sie begleiten mich unsichtbar mit ihren Kenntnissen, helfen ihrem unwissenden Genossen, geben mir Impulse ein, hier rechts, dort links zu laufen oder Abzweigungen zu ignorieren.
Am Ziel des Parcours lasse ich mir das Dosenfleisch schmecken, die Belohnung