Gefahren - Abwehr. Jürgen Ruhr
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„So früh erstattet sie Bericht? Wegen der Zeitverschiebung?“
Bernd schüttelte den Kopf: „Nein, nicht wegen der Zeitverschiebung, es gibt nämlich keine. Christine ruft mich an, wenn sie zurück im Hotel sind und das jeweilige Konzert abgeschlossen ist. Deswegen die späte - oder frühe - Stunde.“
Ich nickte verstehend.
Bernd fuhr fort: „Nun, Dozer hält hier wie gehabt die Stellung. Er müsste bald eintreffen, denn sein erster Kurs heute beginnt um zehn Uhr. Soweit läuft alles seinen gewohnten Gang. Und deine Kollegin Birgit Zickler arbeitet momentan verdeckt als Politesse in Rheydt, nachdem es in letzter Zeit mehrere Angriffe auf die Ordnungskräfte der Stadt gab.“ Bernd seufzte leise. „Leider gibt es bisher noch keine Ergebnisse.“
In diesem Moment klopfte es an der Tür und noch bevor mein Freund ‚herein‘ sagen konnte, schob sich Jennifer mit einem Tablet durch die Tür. Der Duft nach frisch aufgebrühtem Kaffee und knackigen Brötchen zog durch den Raum und mein Magen fing leise an zu knurren. Mit einem Lächeln stellte sie das Tablett auf den Schreibtisch.
„Du hast doch bestimmt noch nicht gefrühstückt“, meinte sie mit einem Seitenblick auf mich und zwinkerte Bernd zu.
„Jennifer, du bist ein Engel“, lobte ich und blickte hungrig auf die belegten Brötchen, während ich im Geiste überlegte, mit welchem ich beginnen sollte. Die Standardbrötchen mit profaner Salami oder Käse gedachte ich im Stillen Bernd zu. Mir sagte jetzt eher das duftende Mett oder der saftige Kochschinken zu. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass Bernd die Tassen mit Kaffee füllte, während Jennifer sich mit einem Winken verabschiedete und das Büro verließ.
Während Bernd noch mit dem Kaffee beschäftigt war, nutzte ich die Gelegenheit die beiden Mettbrötchen vom Teller zu angeln. Rasch klappte ich sie zusammen und biss herzhaft hinein. Während mein Freund und Chef die Kanne abstellte, schaute er mich irritiert an.
„So hungrig, Jonathan? Schmeckt es denn?“
Ich nickte nur, da ich den Mund noch voll des köstlichen Brötchens hatte. Dann griff ich mir die Tasse und nahm einen Schluck. Der Kaffee war heiß und ich verbrannte mir fast die Zunge.
„Wenn man dich so sieht, Jonathan, dann könnte man meinen, du hättest in deinem Urlaub Hunger leiden müssen“, bemerkte er und nahm selber einen Schluck. „Dagegen spricht aber deine Gewichtszunahme ...“
„Also, so schlimm ist das nun auch wieder nicht“, warf ich gekränkt ein und beobachtete, wie ein angekautes Stück Brötchen knapp vor dem Tablett auf dem Schreibtisch landete. Man sollte halt doch nicht mit vollem Mund sprechen. Zum Glück schien Bernd das aber nicht bemerkt zu haben, denn er bediente sich jetzt seinerseits und griff ausgerechnet zu einer oberen Brötchenhälfte mit Kochschinken, die ich eigentlich für mich auserkoren hatte. Es blieb lediglich die untere Hälfte zurück und untere Hälften sind ja bekanntlich nicht so lecker, wie die oberen.
„Jonathan, was ist los? Du schaust so ernst und scheinst wichtige Gedanken zu hegen“, bemerkte Bernd und nahm auch noch das andere Schinkenbrötchen. Jetzt blieben lediglich Salami, Käse und zwei Hälften mit Marmelade übrig.
„Ich frage mich, ob du schon einen Auftrag für mich hast“, erklärte ich und war mit meinen Gedanken bei den Marmeladenbrötchen. Von Farbe und Konsistenz her konnte es sich um Erdbeermarmelade handeln. Rasch steckte ich den letzten Rest Mettbrötchen in den Mund und griff schnell zu der oberen Hälfte mit dem süßen Aufstrich. Dann nahm ich noch einen Schluck Kaffee und biss anschließend genüsslich in das Brötchen.
„Natürlich habe ich schon einen Auftrag für dich“, ließ sich Bernd vernehmen. „Wir können uns schließlich keinen Leerlauf erlauben. Aber iss erst einmal, du scheinst ja halb verhungert zu sein.“
Ich nickte. Halb verhungert traf es auf den Punkt. Schließlich hatte ich mich an das umfangreiche Buffet im Hotel gewohnt. All ‚you can eat‘ war dort die Devise gewesen und ich ließ mich nicht zweimal bitten. Während Bernd mir lächelnd gegenüber saß und mich beobachtete, schnappte ich mir auch noch das letzte Brötchen. Satt und zufrieden ließ ich mich auf dem Stuhl zurücksinken. Im Urlaub führte mich mein nächster Gang nach dem Frühstück immer direkt zum Strand und bei dem Gedanken daran musste ich leise seufzen.
„Alles in Ordnung?“
„Ja, danke. Ich habe nur gerade an meinen Urlaub denken müssen und jetzt hat mich schon der Alltag zurück ...“
Bernd schüttelte den Kopf: „Jonathan, du hast jetzt vier Wochen Nichtstun hinter dir, wenn ich dich richtig verstanden habe. Jetzt geht es eben wieder an die Arbeit. So ist das Leben halt, denn von irgendetwas müssen wir schließlich alle leben. Haben die keinen Animateur dort gesucht? Das wäre doch vielleicht ein Job für dich. Immer an der Sonne, in frischer Luft und nicht so gefährlich wie unsere Aufträge.“
Ich sah Bernd erschreckt an. Wollte er mich etwa loswerden? Wollte er mir kündigen? Lag es daran, dass ich die Mettbrötchen gegessen hatte? Ich versuchte etwas zu sagen, doch mein Freund hielt die rechte Hand hoch. „Sag jetzt nichts, Jonathan, das war nur ein Scherz. Wir brauchen dich hier und du hast dich in den letzten Jahren ja auch ganz gut eingearbeitet. Und über deinen neuen Job erzähle ich dir gleich mehr, sobald du dich ein wenig gesäubert hast ...“
Ich sah Bernd an. Was meinte er denn jetzt wieder? Dann schaute ich an mir herunter. Alles tadellos. „Was meinst du mit ‚gesäubert‘?“
„Nun ... Du hast da etwas vom Frühstück in deinem Bart hängen, das aussieht wie Marmelade, Mett und Kaffee. Ich glaube, du musst erst noch lernen, mit deinem Bewuchs im Gesicht richtig klarzukommen. Tu mir den Gefallen und geh kurz in den Waschraum. Danach sprechen wir über den Auftrag.“
Im Toilettenraum betrachtete ich mein Spiegelbild. Bernd hatte Recht gehabt und es fanden sich Wurst und Marmeladenreste in dem Bart. Auch etwas Kaffee war dabei. Aber lange nicht so gravierend, wie mein Freund es darstellte. Da hätte er mich im Urlaub erleben müssen! Einmal verfing sich sogar ein komplettes Stück Currywurst in den Haaren. Ich musste grinsen, als ich daran dachte, dass ich den ganzen Abend mit der Wurst im Gesicht herumgelaufen war. Da hätte Bernd mich einmal sehen müssen!
Aber vielleicht stimmte ja, dass es bei mir noch einen gewissen Lernbedarf gab, was meinen Bart und das Essen anbelangte.
„Das hat aber gedauert“, empfing mich mein Chef und deutete erneut auf den Stuhl. „Du hast doch nicht komplett geduscht, oder?“
„Nein, nein. Ich musste nur an einen Abend in Spanien denken, als ich einmal mit Curr...“
„Gut, Jonathan“, unterbrach er mich. „Kommen wir jetzt zu deinem Auftrag, denn du hast um elf Uhr schon einen Termin bei unserem Klienten. Und zuvor willst du doch bestimmt noch kurz die Kollegen begrüßen? Sam wirst du allerdings erst heute Nachmittag treffen können. Also sollten wir jetzt keine Zeit verlieren.“
Ich nickte. Auf Sam freute ich mich schon. Der gerade einmal ein Meter achtundsechzig große Doktor der Molekularen Medizin hieß mit vollem Namen Samuel L. Terbarrus und blickte auf einen asiatischen Ursprung zurück. Auch er hätte in seinem ursprünglichen Beruf ein ruhiges Auskommen haben können, entschied sich damals aber für das aufregende Leben als Personenschützer. Wie