Regen am Nil. Rainer Kilian

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Regen am Nil - Rainer Kilian

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hoffen, dass er gerade nicht im Dienst war. Also eine Tochter war vorhanden. Ich nahm mir vor, sie zu besuchen.

      Aber jetzt würde ich zuerst einmal die Chora, den Hauptort von Ios, ansehen. Oder das, was noch davon übrig war, seit meinem letzten Besuch. Ich begann also den Spießrutenlauf an den Tavernen der Uferstraße vorbei, mit ihren werbenden Kellnern. Auch Nodas Bar war schon gut gefüllt. Ich deutete ihm durch Zeichen an, was ich vorhatte, nachdem er mich gesehen hatte. Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen und blickte flehentlich gen Himmel. Meine Neugier wurde dadurch nur noch mehr gesteigert. Im Rondell am Hafen bestieg ich den Bus.

      „Ella, Malaka! Komm rein, Weichei!“, forderte mich der Fahrer auf. Er schien es nicht so oft mit Fahrgästen zu tun zu haben, die die Landessprache beherrschten. Um so mehr war er überrascht, als ich ihm antwortete.

      „Ena Isitirio, parakalo! Eine Fahrkarte, bitte!“ Er wechselte rasch die Gesichtsfarbe von Rot bis Weiß. Es dauerte einen Moment, bis er seine Sprache wieder gefunden hatte.

      „Ke wäwia, Kyrie mou! Selbstverständlich, mein Herr!“ Ich lachte mir heimlich ins Fäustchen. Das waren die Momente, in denen sich all die Griechisch-Paukerei gelohnt hatte. Ich war mir sicher, er würde die nächsten Gäste etwas respektvoller behandeln. Als der Bus mit Fahrgästen gefüllt war, nahm er seinen Weg auf der gewundenen Straße aufwärts zur Chora. Auf ca. zwei Kilometer Distanz erklommen wir eine Höhe von 140 Metern.

      An einem kleinen Platz hielt der Bus an. Dort traf sich die Straße mit dem alten Fußweg, der hinunter zum Hafen führte. Gleich zwei Kirchen empfingen uns hier, die mächtige und moderne Mitropolis-Kirche und die kleine, ältere Kuppelkirche der Agia Ekaterini, der heiligen Katharina. Hier lag einst der heilige Bezirk der Ionier, von denen die Insel ihren Namen bekam. Ein Apollon-Tempel stand dort zuvor, von dem jetzt allerdings nichts mehr zu sehen war. Ich war überzeugt, dass die meisten der abendlichen Besucher das nicht wussten, geschweige denn sich überhaupt dafür interessierten. Statt dessen war hier schon hämmernde Disco-Musik zu hören. Ich ahnte, was Noda meinte. Aber jetzt war ich darauf gespannt, alles mit eigenen Augen zu sehen. Also auf ins Gewühl.

      Hier oben war ein deutlich jüngeres Publikum als unten in den Tavernen am Strand. Tatsächlich hatte sich hier eine Disco neben der anderen angesiedelt. Die Türsteher waren nicht minder lästig als die Kellner am Strand. Die engen Gassen erinnerten mich etwas an die Drosselgasse in Rüdesheim, bei uns zu Hause zur Hochsaison. Tatsächlich waren sie aber ursprünglich zur Verteidigung gegen Piraten so eng und verwinkelt gebaut worden. Den strömenden Touristenmassen hatte man sich aber kampflos ergeben.

      Ein sehr buntes Volk hatte sich hier oben eingefunden, um die Nacht zum Tag zu machen und durchzutanzen. Der Tanz war mir auch durchaus angenehm, aber die alkoholischen Begleiterscheinungen erschreckten mich. Scheinbar machten gerade die jüngeren Besucher ihre ersten Erfahrungen mit dem hochprozentigen Alkohol. Reichlich viele Schnapsleichen säumten den Weg. Aber ich bekam langsam Durst, also betrat ich mehr widerstrebend die „Slammer-Bar“ zu einem Drink. Die Luft schien dort keinen Sauerstoff zu enthalten. Statt dessen empfing mich blauer Nikotin-Dampf. Ich wollte am liebsten umkehren, aber eine Aktion in der Bar erregte meine Aufmerksamkeit. Dort kündete der Barkeeper einen „Slammer-Hammer“ an. Ein Gast, höchstens 17 Jahre alt, legte sich unter den johlenden Rufen seiner Begleiter auf einen Tisch und bekam einen Trichter in den Mund. Zwei Barkeeper schütteten aus mehreren Flaschen verschiedene Alkoholika hinein. Natürlich schneller, als das Opfer trinken konnte. Der Rest lief überall hin. Danach kam der „Hammer“. Die umstehenden Gäste waren mit Gummihämmern ausgerüstet worden und klopften jetzt auf den Motorradhelm, den der abgefüllte Gast aufgesetzt bekam. Ich hatte genug gesehen und verließ das Etablissement.

      Draußen war die Luft deutlich besser. Meine Lungen konnten wirklich Frischluft gebrauchen. Ich war echt bedient und überließ den übrigen Nachtschwärmern die Chora. Bergab nahm ich den alten Fußweg, der in unzähligen Treppen abwärts bis zum Bus-Rondell am Hafen zurückführte. Zwischendurch wurde ich mit einem fantastischen Ausblick auf das kykladische Meer belohnt, das im Mondlicht glänzte. Der Spaziergang hatte mich hungrig gemacht. Bei Noda würde es bestimmt noch etwas geben.

      „Na, schon wieder zurück? Wie war es?“, empfing er mich grinsend.

      „Ich bin begeistert!“, gab ich sarkastisch zurück. „Aber bei dir gefällt es mir besser“, schmeichelte ich ihm.

      „To xero, das weiß ich!“, gab er sich selbstbewusst. „Wenn es anders gewesen wäre, hättest du mich schwer enttäuscht. Dann wärst du nicht mehr der Felix, den ich kennengelernt habe.“ Er schob mir einen Teller mit Schafskäse und Oliven zu. Er konnte wohl meine Gedanken lesen.

      „Du hast recht, Noda. Das hat alles nichts mehr mit der Kultur zu tun, die dein Land berühmt gemacht hat.“

      „Es ist aber noch nicht alles verloren gegangen.“ Er schmunzelte schon wieder so geheimnisvoll. Ich ahnte etwas. „Ich sagte dir ja bereits, dass wir einen Besuch bei unserem Inselheiligen machen werden. Dann wirst du wissen, was ich meine.“ Ich lächelte gequält. Ich war erneut in seine Falle getappt.

      „Warum bist du so versessen darauf, mich zu deinem Heiligen zu bringen, Noda?“ Er wirkte wieder sehr ernst.

      „Du bist mein Freund. Du trägst ein Zeichen mit dir, das du erst erkennen musst. Und ich sehe es dir an, dass dich etwas quält. Unser Heiliger hat schon vielen Menschen geholfen. Alleine ihm nahe zu sein, hat viele Kranke geheilt. Er kann Wunder tun!“

      Ich wagte es nicht, Zweifel an seinem Heiligen zu äußern. Schließlich fühlte ich mich ja nicht krank. Ich gähnte vernehmlich.

      „Mein Gott, schon so spät. Ich werde ins Bett gehen. Es ist ja schon bald wieder hell!“ Noda musterte mich mit zusammengekniffenen Augen misstrauisch, sagte aber nichts. Ich hatte das Gefühl, er konnte hinter meine Stirn sehen und meine Gedanken lesen. Es war mir unangenehm, und so verabschiedete ich mich von ihm bei der ersten sich bietenden Gelegenheit. Er musste sich ja noch um die anderen Gäste kümmern.

      In meinem Zimmer angekommen, fühlte ich mich sicher. Ich ließ mich erleichtert aufs Bett fallen. Was hatte Noda mit dem Zeichen nur gemeint? Ich verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Decke. Allein mit meinen Gedanken döste ich ein, bevor ich meine Kleider abgelegt hatte.

       Herr der Kornkammern

      Der Morgen brachte eine unerwartete Überraschung. Senenmut hatte noch tief geschlafen, als er von lautem Hufgetrappel geweckt wurde. Aufgeregt kam seine Mutter Hatnofer zu seiner Schlafstatt gerannt.

      „Sohn, schau nur, wer draußen auf dich wartet!“ Senenmut erhob sich schlaftrunken von seinem Lager und sah nach draußen. Zwei Soldaten der Leibwache des Pharaos verneigten sich vor ihm.

      „Herr, verzeiht uns die Störung, aber wir wurden gesandt, um dich zu den Kornkammern zu geleiten!“ Senenmut war etwas verblüfft. Die Sonne war in der Gestalt des jungen und erneuerten Sonnengottes Cheper gerade dabei, am östlichen Horizont zu erscheinen. Es waren noch ein paar Sterne am Himmel zu sehen.

      „Es ist keine Eile, Herr!“, versicherte ihm der ranghöhere Soldat. „Aber wir wurden vom wandelnden Horus hierher befohlen, um dich zu beschützen. Den Nubiern ist es nicht recht, dass wir ihren Gehilfen im Feuermeer verbrannt haben. Ihre Spione werden es schon gemeldet haben. Darum sind wir gekommen, um dein Leben zu bewachen.“

      Senenmut erschrak innerlich über die mögliche Gefahr. Er hatte genug damit zu tun gehabt, die sich überstürzenden Ereignisse zu verarbeiten. Er war nun der Herr der Kornkammern, eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Aber er wusste auch, dass er sich damit nicht nur Freunde geschaffen hatte.

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