DIE NACHT DER ENGELSTRÄNEN. Michael Stuhr
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„Natürlich wird es schlimmer!“, schrie Kevin los. „Natürlich wird es schlimmer, wenn du dich gegen alles sperrst, was ich sage! Warum hörst du mir nicht einfach mal zu, Anna? Warum kannst du nicht sehen, dass ich dich liebe, und du mich auch? Liegt es an dem Blag da hinten, das dich immer an seinen Vater erinnert?“
„Lass Inti da raus!“
„Wie entschlossen du plötzlich klingst!“ Kevin lachte böse auf. „Willst wohl deine verdammte Brut beschützen, was? – Aber das werden wir schon noch rauskriegen, wie groß die Liebe ist.“
„Wie meinst du das?“
„Wenn du an mir nur halb so viel Interesse gezeigt hättest, wie an diesem Blag, hätte alles gut werden können, mit uns“, behauptete Kevin. „Ich bin gut im Bett! Ich kann eine Frau zum Wahnsinn bringen mit meinem Schwanz, aber noch nicht mal das konntest du erkennen. Nichts als `Bitte nicht!´ und `Aua-aua!´ und `Heul-heul´. – Echt zum Kotzen!“
„Jetzt red doch nicht so. Inti sitzt hinten“, erinnerte Anna ihn und schaute sich unsicher um.
„Der kleine Bastard kapiert doch sowieso nix“, meinte Kevin nach einem Blick in den Innenspiegel. „Der ist doch schon wieder völlig weggetreten!“
Anna sah, dass er vielleicht Recht hatte. Inti saß mit geschlossenen Augen in seinem Kindersitz und rührte sich um keinen Millimeter. Nur seine Lippen bewegten sich kaum merklich, als würde er still Worte formen. Anna kannte das schon. Das war seine Art, sich von der Welt loszuklinken, wie er es nannte. - Manchmal hatte er für einen Vierjährigen schon eine seltsame Art, sich auszudrücken. Zuerst hatte Anna befürchtet, dass ihr Sohn autistisch sein könne, aber das war es nicht. Er benutzte diesen Zustand nur als Schutzmechanismus, wenn er spürte, dass sich eine Krise anbahnte.
Anna musste vor sich selbst zugeben, dass ihr Sohn im letzten Jahr in einer einzigen Krise gelebt hatte. Kevin hatte ihn von Anfang an gehasst, das wusste sie jetzt. Er hatte Inti gehasst, so wie er alles hasste, was Anna etwas bedeutete. Es durfte nichts neben ihm geben: Keine Eltern und keinen Sohn, keine Freundin und keinen Freund, keine Arbeitskollegen und noch nicht einmal ein Tier.
Kevin konnte es einfach nicht ertragen, wenn er Annas Aufmerksamkeit nicht voll und ganz für sich allein hatte. Viel zu lange hatte es gedauert, bis sie endlich den Mut gefunden hatte, sich von ihm zu trennen.
Mut gefunden? Anna presste die Lippen zusammen. Nein, sie hatte keinen Mut gefunden. Sie hatte nur vor einem Monat zufällig gesehen, wie Kevin ihre Katze vom Balkon geworfen hatte. Er hatte das Tier einfach am Genick gepackt, über die Brüstung gehalten und losgelassen. Früh am Morgen war es gewesen, und er hatte wohl gedacht, sie schliefe noch.
Einen Sturz aus dem neunten Stock überlebt auch eine Katze nicht. Felina war sofort tot gewesen. Voller Zorn hatte Anna versucht, Kevin aus ihrer Wohnung rauszuschmeißen, aber das hatte nicht geklappt. Die Polizei hatte kommen müssen, aber bis die da war, hatte er ihr schon eine Platzwunde an der Augenbraue verpasst.
Auf eine Anzeige hatte Anna verzichtet, und die Wunde war inzwischen fast schon wieder verheilt, aber Kevin kam einfach nicht von ihr los. Danach war es erst richtig schlimm geworden.
„Hör mal, Kevin: du steigerst dich da in was rein ...“, begann Anna zaghaft, aber damit kam sie schlecht an.
„Ich?“ Kevins Stimme hatte einen schrillen Unterton bekommen. „Ich steigere mich in was rein? Du! Du bist es doch, die alles kaputt gemacht hat! Warum bist du mir nicht entgegengekommen? Ein kleines, ein winziges Stück nur, und alles wäre gut geworden!“ Er sah Anna kurz an und lächelte sanft. - „Ich will doch nur, dass wir zusammen glücklich werden. Nur wir zwei - für immer!“ Er hob die Hand und hielt sie ihr hin, aber sie schlug nicht ein.
„Siehst du? Genau das ist es, was ich meine!“ Kevin zog seine Hand zurück und krampfte sie so stark um das Lenkrad, dass die Knöchel knackten. „Du bist einfach nicht kooperativ. Man muss auch mal `ja´ sagen können, zu Irgendwas. Einfach nur `ja´, aber das kannst du ja nicht. Du hast dich so in dein `nein-nein-nein-nein-nein´ reingesteigert, dass du schon gar nicht mehr anders kannst. – So geht das nicht! So wird das nichts mehr mit uns! Du musst umlernen, verstehst du? Du musst lernen mir mit Respekt zu begegnen. Du darfst nicht so undankbar sein, verstehst du?“
„Respekt? Wofür?“ Trotz der gefährlichen Situation lachte Anna bitter auf. „Für Schläge, Tritte und Beschimpfungen vielleicht? Für den Mord an Felina? Für die Gewalt in den Nächten? Du ekelst mich an, und ich will nie wieder etwas mit dir zu tun haben. Wofür sollte ich dir wohl dankbar sein?“
„Dafür, dass du noch lebst“, erklärte Kevin leidenschaftslos. „Jeder Mann der an eine Schlampe wie dich gerät, hat das Recht sie zu töten! Und du lebst doch noch, oder?“
„Danke dafür!“, stieß Anna hervor. „Und jetzt steig bitte aus und lass uns in Ruhe!“
Ein metallisches Schnappen ließ Anna zur Seite schauen, aber noch ehe sie sehen konnte, was das Geräusch verursacht hatte, spürte sie die Spitze der Klinge an ihrem Hals.
„Noch so ein Spruch und ich stech dich ab wie ne Sau!“
Unwillkürlich tastete Anna nach dem Türöffner.
„Willst du abhauen?“, lachte Kevin. „An der nächsten Ampel rausspringen und verschwinden? Mach nur! Dann stech ich dein Blag ab. Das macht mir nicht das Geringste aus. Das weißt du!“
Ja, das wusste Anna. Kraftlos ließ sie ihre Hand sinken.
„Wirst du jetzt vernünftig sein?“
Anna nickte vorsichtig.
Der Druck der Klinge verschwand. Kevin klappte das Messer zusammen, ließ es in der Tasche verschwinden und nahm die rechte Hand wieder ans Lenkrad. „Tut mir Leid“, sagte er mit einem raschen Seitenblick, „aber da siehst du mal, wozu du mich schon wieder getrieben hast! Lass das einfach sein. Hörst du? – Lass es einfach sein!“
„So!“ Kevin nahm Gas weg, setzte den Blinker und bog in die Einfahrt einer großen Tiefgarage ein.
„Wo willst du hin?“ Anna sah sich unsicher um.
Kevin stoppte an der Säule und zog ein Ticket. „Ich habe doch gesagt, dass wir reden müssen“, sagte er im Plauderton, während die Schranke sich öffnete. „Da brauchen wir doch ein ungestörtes Plätzchen.“
Waren auf den ersten Parkdecks kaum noch Parkplätze frei, so wurde es von Etage zu Etage leerer. Immer tiefer schraubte sich der kleine Wagen in die Erde. Von Parkdeck zu Parkdeck waren weniger Autos zu sehen, bis sie schließlich auf P7 ankamen, und es nicht mehr weiter abwärts ging. Hier unten war überhaupt kein Betrieb. Schon auf P6 hatten nur noch drei einsame Fahrzeuge gestanden, und hier war es völlig leer. Nur ein alter Audi stand auf einem der Parkplätze, aber die dicke Staubschicht auf den Scheiben zeigte, dass der Wagen seit Monaten nicht mehr bewegt worden war.
Überhaupt schien man sich um diese letzte Etage nicht besonders zu kümmern: Altpapier lag herum und am Fuß einer der kantigen Betonsäulen entdeckte Anna einen beschmutzten Damenslip. Staub lag fast knöchelhoch in dem Winkel, wo die Wand den Boden berührte. Irgendjemand hatte sich offenbar von dem leichten Uringeruch, der durch die Lüftung in den Wagen drang, nicht abschrecken lassen und hier ein kleines Picknick abgehalten. Jedenfalls lag unter einer der wenigen trüben Leuchtstofflampen auch eine dieser typisch-braunen Hamburgertüten.
Kevin