DIE NACHT DER ENGELSTRÄNEN. Michael Stuhr

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DIE NACHT DER ENGELSTRÄNEN - Michael Stuhr

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mir doch mal“, bat der Alte mit schwacher Stimme. "Hilf mir doch mal, damit ich auf die Beine komme. - Verstehst du?" Er machte eine hilflose Geste. "Alleine schaff ich das nicht mehr. - Verstehst du?"

      Zögernd ging ich auf ihn zu. Er sah nicht nett aus, nicht freundlich, eher verschlagen und gemein. Sein hilfloses Lächeln hatte etwas katzenhaft Lauerndes. Vorsichtig streckte ich ihm die Hand entgegen. Bedächtig griff der Alte danach, legte seine gelben Finger um mein Handgelenk und drückte fest zu.

      Sachte fing ich an zu ziehen, um ihm beim Aufstehen behilflich zu sein, aber er machte keinerlei Anstalten sich zu erheben. Im Gegenteil! Er versuchte, mich zu sich herabzuzerren.

      "So fängt man Täubchen“, kicherte er leise. Der Zug seiner Hand wurde stärker.

      "Lassen Sie das!" Mit einem Ruck versuchte ich mich zu befreien, aber er hielt eisern fest.

      "Hast du Geld? Willst du mir nicht Geld schenken?" Näher und näher zog der Alte mich zu sich heran. Ich konnte seinen Atem spüren, der nach Fusel und Fäulnis stank.

      "Nein! Lassen Sie mich los!" - Geld schenken! Das wäre ja noch schöner! Da könnte ja jeder kommen!

      "Gib Geld! Gib Geld!“, zischte der Alte. Speichel rann aus seinem zahnlosen Mund. Noch näher, noch tiefer zog er mich an sein Gesicht. Mit aller Kraft stemmte ich mich dagegen.

      "Gib Geld, und ich sag dir ein Geheimnis." Er flüsterte fast. "Dein Geheimnis, ich kenne es! Gib Geld!"

      Vor Aufregung bekam ich kein mehr Wort heraus. Tief gruben sich die nikotinverfärbten Fingernägel in mein Handgelenk. Der Alte war unglaublich stark. Diesen zähen Kampf konnte ich unmöglich lange durchhalten.

      "He, Harry, du Penner, was machst du mit dem Mädchen?" Unbemerkt waren zwei junge Männer in Lederkleidung nähergekommen. Einer von ihnen hatte die Worte zu uns herübergerufen.

      "Verpiss dich, du Ratte!“, geiferte der Alte in seine Richtung. Sein Griff wurde eher noch fester, und er fing an, ruckweise zu ziehen.

      "Lass die Kleine los, oder ich komm' mal kurz rüber!" Der junge Mann wich einen Schritt von seinem Weg ab.

      Plötzlich war ich frei. Hastig ging ich ein paar Schritte zurück und rieb mir das schmerzende Handgelenk. Der Alte bleib sitzen. "Du wirst kein Glück haben“, zischte er. Und lauter: "Kein Glück!" Rasch drehte ich mich um und ging schnell davon.

      Harry, wie der junge Mann ihn genannt hatte, saß noch immer auf der Bank und kreischte vor Wut. "Diese Stadt liebt dich nicht!“, schrie er mir nach. "Diese Stadt hasst dich!"

      Unbeirrt ging ich weiter. Weg von ihm. Wen interessiert es schon, was ein alter Straßenräuber faselt? Trotzdem! Ein unbehagliches Gefühl blieb.

      Das war also die erste Lektion, die die Stadt für mich bereitgehalten hatte: Hüte dich vor alten Männern, die allein auf Bänken sitzen! - Nun gut, das hatte ich jetzt gelernt.

      Nach etwa hundert Metern blieb ich stehen und wartete auf die beiden jungen Männer, die langsam in meine Richtung schlenderten. Schließlich kann es nicht schaden, wenn man sich ordentlich bedankt.

      "Danke!“, sagte ich ein wenig linkisch, als die beiden auf meiner Höhe angekommen waren. "Danke, dass Sie mich vor dem Alten da", ich blickte kurz in die Richtung, wo die dunkle Figur des Mannes wieder zusammengesunken auf der Bank saß, "gerettet haben."

      "Was heißt hier Danke? fünfzig Euro will ich haben!“, wurde ich von meinem Retter angeknurrt.

      Ich muss wohl äußerst geistlos dreingeschaut haben. Jedenfalls lachten die beiden plötzlich laut los. Langsam ging es mir auf, dass das mit den fünfzig Euro wohl ein Spaß gewesen war. Eine seltsame Art von Humor hatten die Leute hier.

      "Nochmals Danke!" Der Eine sah ja richtig gut aus. Ich strich über meine Haare und stellte mich ein wenig in Positur. "Das war knapp."

      "Gar nichts war knapp", behauptete der Andere. "Harry ist harmlos."

      "Na, Mahlzeit! Wenn der zu der harmlosen Sorte zählt, dann möchte ich die gefährliche aber lieber nicht kennenlernen!"

      "Diese Stadt liebt dich nicht, hat er gesagt", schaltete sich mein gutaussehender Retter wieder ein. "Kann sein, dass er Recht hat!"

      "Wieso?" Ich verstand nicht so ganz.

      "Weil das alte Orakel bei mir auch Recht hatte. - Jedenfalls bis jetzt! Er hat mir vor Jahren auf den Kopf zugesagt, dass ich schwul bin. Und dann hat er noch gesagt, das ich mal umgebracht werde, und zwar von einer Frau. Und darum würd' ich mal sagen, mach's gut, Schatz!" Lachend hakte er sich bei seinem Begleiter ein und die beiden schlenderten weiter.

      Junge, das war starker Tobak! Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Wenn das so weiterging, würde ich meine Freizeit wohl lieber in meinem Zimmer bei Tante Lucy verbringen. So ein süßer Junge! Wirklich jammerschade.

      Unmerklich war es dunkler geworden. Langsam bekam ich schon Schwierigkeiten, die Straßennamen auf dem Stadtplan zu erkennen. Eine breite Straße war ich hinuntergegangen und dann links abgebogen. Hinter einem Bahntunnel war ich auf ein Neubaugebiet gestoßen und dahinter auf einen Ortsteil, der aussah, wie ein kleines Dorf. Hier gab es kaum Verkehr. Die ersten Lichter flammten hinter den Fensterscheiben auf.

      Ich beschloss, jetzt auf geradem Weg nach Hause zu gehen.

      `Talbrückenstraße', das war der kürzeste Weg. Auf der Karte führte die Straße im Außenbezirk der Stadt ein Stück weit durch saftgrüne Wiesen. Ein bisschen Landluft kam mir gerade recht. Nicht, dass ich Heimweh gehabt hätte, aber in der Stadt war es die ganze Zeit lang so bedrückend eng gewesen. Man kommt sich so klein vor, zwischen all den hohen Häusern. Entschlossen marschierte ich los.

      Als ich die letzten Häuser passierte, wurde das Dämmerlicht langsam zur Dunkelheit. Ein Taxi fuhr an mir vorbei, hielt an, und setzte ein Stück zurück. Die Seitenscheibe schnurrte ein Stück weit herunter. "Wollen sie mit?"

      "Nein danke“, lehnte ich ab. "Ich laufe lieber!"

      Wortlos schloss der Mann die Scheibe wieder und fuhr weiter.

      Jetzt war es schon richtig dunkel. Mit schnellen Schritten ging ich auf der linken Straßenseite weiter, als plötzlich schräg über mir, im Scheinwerferlicht eines Fahrzeugs, ein gewaltiger, gemauerter Bogen auftauchte. Langsam, nach oben schauend, ging ich weiter. Ein kleiner Schwarm Sternschnuppen zischte über den Himmel. – Hübsch! Noch lieber wäre es mir aber gewesen, wenn der Vollmond ein wenig heller geleuchtet hätte.

      Wieder kam ein Auto die Talbrückenstraße entlang. Im Streulicht der Scheinwerfer konnte ich genauer erkennen, was da in der Dunkelheit über mir schwebte: Eine Brücke. Eine uralte, aus Quadersteinen gemauerte Brücke! Die gewaltigen Säulen verloren sich links von der Straße in der Finsternis, während der Bogen direkt über mir so hoch war, dass ich ihn nicht erkennen konnte. Ich blieb stehen.

      Ein Kleinlaster kam die Straße herunter. Er musste schwer beladen sein, die Scheinwerfer standen sehr hoch. Nun erst sah ich, dass die Brücke gar nicht über die Straße führte. Sie hörte ein wenig abseits einfach mitten in der Luft auf. Wie das Ende einer Sprungschanze ragte der letzte Viertelbogen weit über mir in die dunkle Nacht. Eine Brücke ins Nichts! Dahinter war kurz die schlanke Silhouette einer Betonkonstruktion zu erkennen, die, wohl anstelle der alten Brücke, das Tal überspannte. Klar, ich stand ja auf der Talbrückenstraße, fiel es mir

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