DIE NACHT DER ENGELSTRÄNEN. Michael Stuhr

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DIE NACHT DER ENGELSTRÄNEN - Michael Stuhr

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ist schrecklich hier. Fahr doch bitte wieder nach oben.“ Anna versuchte unauffällig herauszubekommen, ob es hier Überwachungskameras gab, aber sie konnte nichts entdecken. Sie waren hier unten so allein wie auf der einsamsten aller Inseln. – Eher noch einsamer. Die Chance, dass hier irgendjemand auftauchte, der ihr helfen konnte, war gleich Null.

      „Ist doch schön hier“, stellte Kevin fest. Plötzlich hatte er das Messer wieder in der Hand und ließ es aufschnappen. „Hier können wir reden, und ob du jemals wieder nach oben kommst, das liegt ganz bei dir.“

      „Was willst du von mir?“ Anna drückte sich eng an die Tür. - Nur weg von der nadelspitzen Klinge, die im Schein der Leuchtstofflampen bläulich schimmerte. „Was erwartest du?“

      „Du musst einsehen, dass du einen Fehler gemacht hast, Anna.“ Kevins Stimme klang sanft, fast traurig. „Und du musst dafür bezahlen. Freiwillig bezahlen. Das würde mir zeigen, dass du mich liebst.“ Er nickte leicht, wie um seine eigenen Worte zu bestätigen.

      „Vergiss es!“

      „Kennst du `Black Rain´?“ Kevin nahm Annas Worte überhaupt nicht zur Kenntnis. Mit leerem Blick sah er durch sie hindurch in die Traumwelt hinein, die er sich aufgebaut hatte. „Da schneidet ein Japaner sich ein Fingerglied ab, weil er einen Fehler gemacht hat. Das ist eine schöne Geste. Sie erinnert einen das ganze Leben lang daran, dass man schuldig geworden ist.“

      Auf Annas Stirn erschien eine steile Falte. Das konnte jetzt nicht wahr sein, dass dieser Irre ernsthaft von ihr erwartete ...

      „Das erste Glied des kleinen Fingers der linken Hand.“ Kevin hielt ihr das Messer mit dem Griff voran hin. „Mach es einfach, und dann fahren wir nach Hause.“

      „Du – du bist völlig verrückt!“, stellte Anna entgeistert fest.

      „Bitte!“ Kevins Stimme klang eindringlich, fast flehend. „Es tut kaum weh. Siehst du denn nicht, dass das unsere letzte Chance ist?“ Mit der freien Hand fingerte er ein Päckchen Papiertaschentücher aus der Jackentasche. „Hier, leg was davon unter. Es wird ein wenig bluten.“

      Der Messergriff schwebte vor Annas Gesicht. Sie schob Kevins Hand weg. Himmel! Was für ein Wahnsinn! Sollte sie jemals wieder bereit sein, es mit einem Mann zu versuchen, würde sie sehr genau hinschauen. – Vorher!

      Verdammte Einsamkeit! – Zu was die einen so treiben konnte. Sie ertrug es nun mal schwer allein zu sein, das hatte Anna schon bei ihrem Au-Pair-Job in Lima festgestellt.

      Die deutschstämmige Familie bei der sie dort gejobbt hatte, war ganz nett gewesen, aber trotzdem hatte Anna sich sehr einsam gefühlt - und dann hatte sie abends am Strand Otoronco, den Jaguarmann, getroffen. Er hatte sich darauf spezialisiert, in dem reichen Stadtteil Miraflores die alte schamanische Medizin zu praktizieren, und er verdiente so gut dabei, dass er sich selbst ein schönes Haus in der Nähe des Strandes leisten konnte. Eigentlich aber kam er aus den Bergen, und er sehnte sich nach dort zurück. Sie hatten sich gegenseitig benutzt wie Spielzeuge gegen die Einsamkeit, und so war Anna auch nicht sonderlich überrascht gewesen, dass Otoronco sie einfach so hatte gehen lassen, als ihre Zeit in Lima um gewesen war. – Nicht gerade eine Traumbeziehung, das musste sie zugeben, aber immerhin hatte er ihr über eine schwere Zeit hinweggeholfen. – Und er hatte ihr etwas mitgegeben, was sie auf ewig an ihn erinnern würde.

      Leises Gemurmel kam vom Rücksitz. Inti hatte sich in so etwas wie eine Trance hineingesteigert und murmelte nun unverständliche Worte vor sich hin. Es hörte sich fast an wie Quetchua, die Sprache seines Vaters, aber das konnte natürlich nicht sein.

      „Was brabbelt der da?“ Kevin warf unwillig einen Blick nach hinten, und auch Anna schaute sich kurz um. – Musste der Kleine denn ausgerechnet jetzt Kevins Aufmerksamkeit auf sich ziehen?

      „Was ist jetzt?“, drängte Kevin und bot ihr wieder das Messer an. „Zeig mir, wie sehr du mich liebst!“

      Kurz flackerte in Anna der Gedanke auf, das Messer zu nehmen und Kevin die Klinge in den Körper zu treiben, aber sie wusste, dass sie das nicht fertigbringen würde. „Geh weg“, flüsterte sie kraftlos und drehte den Kopf zur Seite. „Geh doch bitte einfach weg.“

      „Du hast gewählt!“ Kevin nickte. Der Messergriff verschwand aus Annas Blickfeld. Sie hörte, dass er die Tür öffnete und ausstieg. – Konnte es wirklich so einfach sein? Würde er jetzt tatsächlich gehen und sie in Ruhe lassen, vielleicht für immer?

      Natürlich nicht! Annas Kopf schnellte herum, als die Rücklehne des Fahrersitzes nach vorne schwang und Kevin sich durch den schmalen Spalt wieder in den Wagen zwängte. „Das wird dich genauso gut daran erinnern, was für eine Schlampe du mal warst. Gib nicht mir die Schuld. Du warst es, die gewählt hat!“ Er zog ein Papiertaschentuch aus der Packung, legte es zusammengefaltet auf das gepolsterte Tischchen von Intis Kindersitz und griff nach der Hand des Kleinen.

      Schnell wie der Blitz war Anna aus dem Wagen heraus und um die Motorhaube herumgelaufen. Kevin hockte halb auf der vorgeklappten Rückenlehne des Fahrersitzes und hatte sich über Inti gebeugt. Sein rechtes Bein ragte aus der Türöffnung und er stützte sich mit den Zehenspitzen auf dem Asphalt ab.

      „Niemals drohen“, hatte Anna mal in einem Selbstverteidigungskurs für Frauen gelernt. „Der Kerl ist fast immer stärker. Sofort das Maximum an Schmerz erzeugen und dann schnellstens verschwinden.“ Sie knallte aus vollem Lauf die Tür zu und warf sich mit aller Kraft dagegen. Das Knacken der Türscharniere ging in Kevins Schmerzensschrei unter. Er bäumte sich auf, das Messer flog auf die Ablage unter der Heckscheibe, und er versuchte, die Tür wieder aufzudrücken.

      Noch einmal warf Anna sich mit aller Kraft gegen das Blech und wich dann zurück.

      Die Tür flog auf, und mühsam kam Kevin aus dem Auto gerutscht. „Du hast mir das Bein gebrochen“, jammerte er. „Du verdammte Sau hast mir wirklich das Bein gebrochen!“

      „Stell dich nicht so an!“ Das Bein war definitiv nicht gebrochen, sonst hätte Kevin es niemals so belasten können, wie er es tat. Er hatte sich an Dachkante und Scheibenrahmen hochgezogen und stand in gekrümmter Haltung in der geöffneten Autotür.

      „Dafür bring ich dich um!“

      „Versuch doch noch mal einzusteigen“, schlug Anna keuchend vor und duckte sich ein wenig, um sofort lossprinten zu können, „dann brech ich dir wirklich die Knochen!“

      „Ich bring euch um! Ich bring euch beide um!“ Kevin machte einen hüpfenden Schritt auf Anna zu. Blut begann sein rechtes Hosenbein zu verfärben.

      „Weg vom Auto!“, kommandierte Anna. „Du hast verloren! Verpiss dich!“

      „Du verdammte ...“

      Plötzlich drang gleißende Helligkeit die Rampe vom oberen Parkdeck herab, und gleichzeitig erklang donnerndes Motorengeräusch das schnell lauter wurde.

      „Was zum Teufel ...“, hörte Anna Kevin noch sagen, da kam auch schon das erste Motorrad die Rampe herab. Anna erkannte es sofort, aber sie konnte kaum glauben, was sie sah: Diese Maschine gehörte nicht in diese Stadt, nicht in dieses Land, ja noch nicht einmal auf diesen Kontinent. Die kobaltblau irisierende Lackierung und der schwarze Falkenkopf auf der Seite des Tanks machten diese Maschine einzig auf der Welt. Die Farbe des Himmels und das Zeichen des Falken: Das war die Maschine von Waman, dem Falken, dem Anführer der Bellacos von Lima! – Aber wie kam die hierher?

      Anna hatte Waman als einen

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