Roulett. Peter Schmidt

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Roulett - Peter Schmidt

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dass ich etwas überreizt war, was die Kulisse von Hotelhallen und Speisesälen anbelangte.

      Seine Haltung ähnelte der eines überall verhassten Steuerbeamten oder Gerichtsvollziehers. Seinem ständig bewegten Blick entging nichts. Weder der abbröckelnde Lack der Stühle noch das zusammengewürfelte Geschirr und Porzellan.

      Jemand, der eine große leere Reisetasche besaß, musste es aus den verschiedensten Etablissements an der italienischen Mittelmeerküste zusammengetragen haben.

      Er sah die dünnen, rosafarbenen Vorhänge, durch die das Licht der untergehenden Sonne fiel, und bedachte sie (die Schäbigkeit der Vorhänge) mit höhnischem Lächeln. Er registrierte das Klingeln der alten Ladenkasse in der Vorhalle bei jeder Bestellung, die nicht im Menüpreis enthalten war – und seiner Miene nach zu urteilen war es ein weiteres schlagendes Indiz für die Perversionen des menschlichen Geschäftssinns.

      Nur mich schien er – anders als Cord – für Luft zu halten. Cord nahm mich auf eine schon geradezu aufdringliche Weise nicht wahr, indem sein Blick gegen jede Wahrscheinlichkeit immer genau im entgegengesetzten Winkel des Speisesaals weilte. Er dagegen blickte auf seltsam abwesende Weise durch mich hindurch.

      Als wir uns irgendwann zwischen Mamas Gängen am Pinkelbecken begegneten, sagte Ernie:

      "Sie sind doch Kakerlaken-Leo, hab ich recht? Der mit der Dressurnummer?" Dabei warf er einen vorsichtigen Blick nach hinten und flüsterte mir zu: "Das da draußen ist ein Detektiv der Agentur Pro-Pro. Doppelt Pro, Sie wissen schon. Nehmen Sie sich in acht vor ihm."

      "Kakerlaken-Leo ... was für ein Name! Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden."

      "Der Bursche mit dem Wanderzirkus."

      "Auch nicht die feine Art, jemandem einen so diskriminierenden Spitznamen zu verpassen."

      "Aber Ihr Vorname ist doch Leo, oder?"

      "Ich ... nein ..."

      "Sie sollten Ihre Nase begradigen lassen, Leo. Frauen mögen keine Hakennasen."

      "Ich glaube, das geht Sie einen feuchten Dreck an."

      "Aber Leo. Sind Sie nun ein Gentleman oder nicht? Nie die Kontenance verlieren. Immer über den Dingen stehen. Wer angreift, offenbart nur, dass er verletzt oder getroffen ist. Den Gegner mit einem Lächeln entwaffnen – ungefähr so."

      Er entblößte seine strahlend weißen Zähne, ein Gebiss wie aus dem Schaukasten der Zahntechniker.

      Mit diesem Ratschlag fing alles an. Ernie wurde zum Arzt, Beichtvater, Lehrer und Freund für mich; er rutschte wie selbstverständlich in seine Rolle als Lehrmeister. Vielleicht, weil er schon als Guru oder Medizinmann auf die Welt gekommen war. Oder weil auf seinen Genen der Fluch lastete, die menschliche Evolution voranzutreiben; falls dieses Wort bei seinem aufs Höchste verfeinerten Gaunertums überhaupt am Platze ist.

      Und das Verblüffendste daran: Ernie war in jeder Rolle gleich vollkommen, er füllte sie immer perfekt aus.

      Er wurde, ohne dass wir deswegen irgendeinen Vertrag geschlossen oder unsere Absicht auch nur per Handschlag besiegelt hätten, zum größten Lehrmeister für mich, den die Weltgeschichte je gesehen hat, Buddha oder Jesus Christus eingeschlossen. Und glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede.

      "Lassen Sie mal Ihre Krabbeltierchen laufen", meinte er und zeigte in den Speisesaal.

      Ich sagte mir, dass ich den Teufel tun würde. Aber als ich an meinen Platz zurückgekehrt war, sah ich diesen verhinderten Pinkertondetektiv in meiner Umhängetasche wühlen.

      Es war eine brasilianische Büffelledertasche mit zwei Geheimfächern, die ein unachtsamer Spaziergänger auf den Champs-Elysées verloren hatte, und er bemühte sich vergeblich, an den Inhalt der Geheimfächer zu gelangen, obwohl seine Fingerspitzen ihn schon durch das Leder ertastet hatten.

      Die beiden Wülste seines grauen Backenbarts standen ab wie Hundeschwänze, als wenn sie gleich vor Freude wedeln würden. Ein Zeichen dafür, dass sein Gehirn auf Hochtouren arbeitete, falls die Gehirne dieser Lohn-Kretins von Pro-Pro überhaupt in eine schnellere Gangart schalten können. Dann richtet er sich auf und sah mich vor sich stehen. Sein Blick wanderte ratlos zurück auf meine polierten Schuhspitzen.

      "Sie sind ein mieser kleiner Gauner, Leo", sagte er verlegen. "Die Agentur hat Sie durch ganz Europa gejagt, und eines Tages werden wir Sie auch zur Strecke bringen. Das ist nur noch eine Frage der Zeit."

      "Was werfen Sie mir denn vor?", fragte ich mit arglosem Augenaufschlag. "Dass ich Ihre Schwiegermutter vergewaltigt habe?"

      "Sie ..." Er streckte seine Hand nach meinem Hals aus, als wolle er mit den Fingerspitzen meinen Adamsapfel durchbohren, eine feiste, feuchte Hand voller kleiner Muttermale und am Handgelenk so dicht behaart wie eine Affenpfote. Ihre Haut war heller als die eines Albinos, ganz im Unterschied zu seinem Gesicht, das eine eher dunkelbraune Färbung hatte. Auf dem Tisch neben seinem Teller lagen weiße Handschuhe, vielleicht weil er an einer ansteckenden Hautkrankheit litt.

      Dann hielt er plötzlich meine Brille in der Hand. Es war ihm gelungen, den dünnen Drahtbügel zu erwischen, obwohl ich blitzschnell meinen Kopf weggedreht hatte. Er wusste, dass ich ohne Augengläser hilflos war.

      "Na, wo haben wir denn unsere kleinen Fensterchen zur Welt?“, fragte er. Seine Stimme bekam einen drohenden Unterton, als ich ein, zwei unsichere Schritte nach vorn machte. "Bleiben Sie, wo Sie sind, Leo!" Etwas Dunkles, wahrscheinlich seine Faust, fuchtelte vor meinen Augen herum. "Und nun her mit dem Pass."

      "Wozu?“, fragte ich.

      "Um mal einen Blick hineinzuwerfen. Ich glaube, dass Sie hier unter falschem Namen abgestiegen sind. In der Anmeldung steht Jakob Siedler, aber Ihr richtiger Name dürfte Leo Wunsch sein."

      "Ist das der Kerl, den Sie suchen?"

      "In einschlägigen Kreisen auch Kakerlaken-Leo genannt."

      "Und wie ist der arme Bursche zu diesem schäbigen Spitznamen gekommen?"

      "Das wissen Sie doch selbst am besten, Leo, verdammt noch mal – weil Sie wieder mit Ihrem Wanderzirkus auf Tournee sind."

      "Sie meinen Kakerlaken, wenn ich das richtig verstehe? Ordinäre braune Küchenschaben? Hab noch nie gehört, dass es jemandem gelungen ist, Ungeziefer zu dressieren."

      "Ihnen, Leo", erklärte er im Brustton der Überzeugung. "Sie haben das Kunststück fertiggebracht, die Viecher nach Ihrer Pfeife tanzen zu lassen." Er gab ein Geräusch von sich, das seinen abgrundtiefen Ekel ausdrücken sollte; aber es klang eher, als wenn seine Bronchien zu pfeifen versuchten. "Also geben Sie schon her, das verdammte Ding." Irgend etwas stieß mir unsanft gegen die Brust. Seine Faust, nahm ich an. Ich sah wirklich nicht die Hand vor Augen. Meine Sehnerven brauchten immer erst ein paar Minuten, um ohne Gläser zurechtzukommen.

      "Mein Pass liegt oben auf dem Zimmer."

      Er legte mir seine schwere behaarte Affenhand auf die Schulter. "Dann gehen Sie voraus ... da entlang. Und keine Fisimatenten, verstanden?"

      "Was Sie hier mit mir treiben, ist glatte Freiheitsberaubung."

      "Gehen, hab ich gesagt."

      "Sie müssen mich führen. Ich kann nichts sehen. Oder geben

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