Roulett. Peter Schmidt
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Als er sich vorbeugte, ließ ich meine Sammlung auf seinen spärlich behaarten Schädel niedersausen. Das Glas zersplitterte, und ein paar der hellbraunen Käfer fielen auf den Boden. Er sagte "Oh ..." und kippte zur Seite.
Ich suchte nach meiner Brille – sie lag unversehrt unter seinem Körper – und richtete mich auf, weil ich eine kaum merkliche Bewegung aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte ...
Gegenüber im Fenster des Treppenaufgangs stand Ernie und sah uns zu. Er hatte die Arme verschränkt und beobachtete uns wie ein erfahrener Wetter auf der Tribüne der Galopprennbahn, der sehen wollte, ob er aufs richtige Pferd gesetzt hatte. Ein anerkennendes Grinsen zog über sein Gesicht.
Ich grinste verhalten zurück. Was hätte ich auch anderes tun sollen? Er brauchte nur an die Rezeption zu gehen und die Polizei zu verständigen. Sie würden mich am Bahnhof oder an der Landstraße erwischen. Das Hinterland mit seinen Bergen, auf denen karge schwarze Rebstöcke und einzelne verfallene Bauernhäuser aus Felsstein standen, war um diese Jahreszeit feucht und unwegsam. Nach Monaco konnte ich nicht gehen, weil ich schon einmal wegen "Landstreicherei" ausgewiesen worden war (Landstreicher nennen sie dort jemanden, der momentan zu wenig Geld in der Tasche hat, um ihre horrenden Hotelpreise zu bezahlen).
Die Prozedur ist ungefähr folgende: Man wird gegen Mitternacht am Hafen von zwei Zivilen eingesammelt, die aussehen wie Mitglieder der Mafia, dann auf der Polizeiwache eine Stunde lang verhört – Dolmetscher gibt es nicht – und später in einen Polizeiwagen gesteckt und an die französische Grenze nach Menton verfrachtet.
Das Ganze hat Ähnlichkeit mit der Beförderung von Sondermüll.
Gnade dir Gott, falls du es wagst, dich zurückzuschleichen. Sie haben zwar keinen Grenzposten, aber ein Heer von wachsamen Nachtwächtern in Zivil, die selbst noch die Bewegung einer sanft schwirrenden Libelle registrieren würden.
Meine Leiche gab unverständliche Laute von sich – Grunzen oder schwache Hilferufe – und griff nach meinem Fußgelenk. Ich stellte das freie Bein auf seine weißgefleckte Albinohand.
3
Ernie kam durch den Hofeingang herein. Er war die Ruhe selbst. "Fassen Sie mit an", sagte er und packte seinen rechten Schuh. "Wir bringen Kramer erst mal auf sein Zimmer. Da können wir weitersehen."
"Glauben Sie, dass er wieder zu sich kommt? Ich musste ihm eins über den Kopf geben, weil er versucht hat, nach meinem Bein zu greifen."
"Seine Lippen sehen blau aus", sagte Ernie nachdenklich. Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Ob Schlaganfall oder Kreislaufversagen. Er schob sein rechtes Augenlid hoch und betrachtete seinen Augapfel. "Hat Kramer Sie identifiziert?"
"Nein, er wollte meinen Pass sehen."
"Das haben Sie zu verhindern gewusst, was?" Ernie lächelte so breit, dass sein Schaukastengebiss blitzte und an einem Backenzahn ein kleines goldenes Emblem sichtbar wurde. Es sah aus wie ein winziger Adler, der seine Schwingen ausbreitete. Als wenn er gleich im Mund umherfliegen und sich auf der Zunge niederlassen würde, nachdem sich Ernies Lippen geschlossen hatten.
"Ich glaube, jetzt muss ich mir langsam Gedanken darüber machen, wie man ihn aus dem Weg schaffen könnte, oder?"
"Hm ..." Er wiegte nachdenklich den Kopf. "Meine Devise lautet: Niemals körperliche Gewalt anwenden. Gewalt erzeugt nur Gegengewalt, und zum Schluss werden wir auch noch um die Früchte unserer Arbeit gebracht. Das ist zwar eine Binsenweisheit, aber wir vergessen immer wieder, unsere Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Wir wollen nicht verstehen, dass wir früher oder später alle dem Untergang geweiht sind, wenn wir den alten Ratschlag Auge um Auge, Zahn um Zahn befolgen."
"Das schafft ihn mir nicht vom Hals", sagte ich.
"Sie müssen etwas mehr Geduld haben. Sie müssen nachdenken und Ihren Verstand einsetzen, Leo."
"Lassen Sie uns das Wrack einfach in den nächsten Bach werfen, vielleicht ist er Nichtschwimmer."
"Nein, dort würde man ihn finden. Die Agentur wird erst ihn und dann Sie finden. Ein Mord wäre nicht das, was Sie in Ihrer Lage brauchen können, Leo. Denken Sie mal nach."
"Hm, ich muss ihn loswerden. Er hat mich hier aufgespürt, und wenn er wieder zu Bewusstsein kommt, wird er den Polizeiposten am Hafen verständigen. Sie werden mich in eine dieser winzigen Zellen werfen, die auf den Misthaufen und die Abtrittbuden blicken. Ich bin zu sensibel, um das auszuhalten. Ich brauche Sonne und frische Luft."
"Und gutes Essen, nicht wahr? Sie sind ein Gourmet, Leo. Deshalb lassen Sie ja auch Ihre Krabbeltierchen laufen. Nach dem letzten Gang taucht so ein Teufelsbraten von Schabe aus Ihrer Trickkiste auf, läuft schnell wie ein Windhund durch das kalte Büfett, um sich an der Mayonnaise gütlich zu tun, und alle Gäste verlassen schreiend das Restaurant, ohne ihre Rechnungen bezahlt zu haben."
"Sie übertreiben."
"Zahlen Sie Ihre Rechnungen, Leo?"
"Nur, wenn ich muss. Anders als ein paar hysterische alte Damen pflege ich immer an meinem Tisch sitzen zu bleiben, bis der Kellner kommt."
"Mag sein, ja. Und aus welcher Terrine quillt ein ganzes Heer von Hausschaben, wenn man Ihnen die Rechnung präsentiert?"
"Blatella germanica. Sie sind nur dreizehn Millimeter groß. Kein Grund zur Aufregung."
"Aus Ihrer Terrine, Leo – immer aus Ihrer. Aus Ihren Salaten kraucht das Ungeziefer hervor. Hab ich die gleiche Geschichte nicht schon mal in einem Hollywood-Film gesehen?"
"Das war nur ein schwacher Vorläufer", sagte ich missmutig. "Meine eigene Idee ist viel ausgefeilter. Ich habe den Film erst später gesehen. Er war wirklich nicht der Rede wert."
"Natürlich wollen Sie das Recht des Erfinders für sich reklamieren?"
"Ruhm ist mir schnuppe, ehrlich gesagt. Ich würde kein Copyright dafür verlangen. Ich habe zu lange an diesem Trick gearbeitet, als dass ich mir darüber Gedanken machen sollte. Vielleicht werde ich eines Tages ein Lehrbuch über die Dressur von Kakerlaken schreiben, das in alle großen Sprachen übersetzt wird. Am dressurfreudigsten ist die Amerikanische Schabe, Periplaneta americana, rotbraun, dreiundzwanzig bis zweiunddreißig Millimeter lang. Bei guter Pflege wird sie sogar viereinhalb Zentimeter groß, ohne Fühler, versteht sich. Sie braucht viel Wärme und Zuneigung und dunkle, feuchte Plätze. Ein hellbeleuchtetes Büfett mit tellerklappernden Gästen ist nicht der Platz, an dem sie sich besonders wohlfühlt, aber man kann sie daran gewöhnen. Es sind sehr verständige Tierchen. Man muss nur wissen, wie man sie zu nehmen hat."
"Und jetzt sind Sie pleite und abgebrannt? Sie sind hier untergekrochen, weil kein Kellner in Europa mehr auf ihre Blatella germanica hereinfällt?"
"Blatta orientalis – die Hauptarbeit macht die Orientalische Schabe."
Nachdem wir seinen Zimmerschlüssel (Innentasche, Jackett) hatten, setzten wir ihn in den alten Frankfurter Ohrenbackensessel, den Goethe auf seiner Italienreise im Hotel vergessen haben musste, ein wurmstichiges Monstrum aus dampfgebogenem Eschenholz und dunklem Rindsleder, aus dessen Sitzpolster zwei stählerne Spiralen ragten.
Wie